Kitchen Politics: Die Verdauung

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Von Christina Zinsstag


Im Rahmen der 8. Konferenz der SGGF veranstaltete AoI mit dem Forschungsnetzwerk rag (research, art, gender) einen Workshop zum Thema «Kitchen Politics. Emanzipatorische, transdisziplinäre Wissensordnungen». Dabei wurden nicht nur gemeinsam Wissen ausgetauscht, sondern auch zusammen gekocht. Dieser Beitrag blickt darauf zurück und bietet, ganz im Sinne der Küchenpolitik, eine Verdauung des Geschehenen.

Auf den Tischen war alles vorbereitet: Teller mit Gemüse und Tofu, Schalen mit Minze und Koriander und einer Erdnuss-Sauce standen neben Gedeck, Stiften sowie orange leuchtenden Servietten. Bei jedem Sitzplatz lag zudem ein eingerolltes Stück Papier, dass sich, neugierig geöffnet, als Rezept für die heutige Mahlzeit entpuppte: vegane Spätsommerrollen. Während Dominique Grisard und Andrea Zimmermann den Workshop eröffneten, bot Leadora Illmer eine stumme Demonstration zur Herstellung einer Spätsommerrolle. Ihrem Beispiel folgend begannen die Teilnehmenden damit, eigene Rollen herzustellen.

Das Rezept für vegane Sommerrollen. Foto © Leadora Illmer.

Vier Inputs gestalteten während der Zubereitung und Aufnahme der Spätsommerrollen den Workshop. Der erste Beitrag von Grisard und Zimmermann trug den Titel «Möglichkeitsräume schaffen durch affektives, biographisches und künstlerisches Wissen. Ein Kochrezept». Der Beitrag befasste sich mit der Geschichte der Hausfrau und der Küche als ihrer «natürlichen Umgebung» im Verlauf des 20. Jahrhunderts, der queer-feministischen Kritik daran sowie künstlerischen Interventionen, die heteronormative Erwartungen unterwandern und entnormalisieren. Eine persönliche Lieblingsarbeit, die erwähnt wird, ist «Housewives Making Drugs» von Mary Maggic.

Adelheid Mers und Doris Ingrisch sprachen über «Das Intra-View in der Küche. Rezepte teilen». Ein Intra-View, so erfahren wir, ist die Kunst, Gespräche im Dazwischen zu führen, beim Kochen oder Haushalten, denke ich, oder auf dem Weg oder beim Warten, und neben dem Hörsinn auch anderen Sinnen Raum zu geben. Ingrisch leitete eine kurze Übung dazu an, die eine bewusstere, vielfältigere Wahrnehmung der Umgebung ermöglichte. Dieser Kunst liegt etwas Widerständiges zugrunde, es bedeutet, bewusst im Hier und Jetzt zu sein, sich Raum zu nehmen und einander zu geben, trotz einem vollen Arbeitsalltag. Es bedeutet, Verbindungen zu knüpfen und zu erhalten, trotz einer binären Logik, die alles in «das Eine» oder «das Andere» unterteilen möchte.

Christa Binswanger und Anne-Berenike Rothstein befassten sich mit «Die unglücklichen Hausfrau im Chronotopos Küche und Literatur als Möglichkeitsraum der Transformation in The Hours (Cunningham 1998/Daldry 2002)». The Hours ist ein Roman, der später verfilmt wurde. Er kreist um drei weibliche Figuren, die über Zeit und Raum hinweg durch den Roman Mrs. Dalloway von Virginia Woolf miteinander verknüpft sind. Der Fokus des Vortrags von Binswanger und Rothstein lag dabei auf der zweiten Figur, Laura Brown, eine Hausfrau in den 1950ern, die den Roman liest und darin einen Weg findet, ihr eigens Lebens zu reflektieren und mehr Selbstbestimmung zu finden. Die Küche symbolisiert dabei nicht nur «den Ort der Hausfrau», sondern wird auch zu dem Ort, wo sie Solidarität und eine zarte, queere Begegnung erlebt.

Was tun wir eigentlich in der Küche?

Leadora Illmer stellte schliesslich das «Archiv der vollen Bäuche» vor, welches sie zusammen mit Louisa Raspé gegründet hat. Darin werden Essenserinnerungen und kulinarische Geschichten festgehalten. Zu den Fragen, welche sie beschäftigen, gehören: Weshalb zählt (Alltags-)Kochen nicht als Arbeit? Können wir Rezepte als Wissensspeicher begreifen? Was tun wir eigentlich in der Küche? Und wie dokumentieren wir das, was wir tun? Ist Kochen ein Nachdenken über die Welt? Wie gestalten das Essen und Nähren unsere Beziehungen? Was sind unsere «Recipes of Resistance»? Und wie wird kulinarisches Wissen weitergegeben?

Diese Fragen werden auf verschiedene Weisen verhandelt und dokumentiert: Durch das Archiv selbst, durch öffentliche Veranstaltungen in Form von «kulinarischen Salons» sowie, natürlich, im Schreiben. Auch die Teilnehmenden fügen dem Archiv etwas bei: Sie werden dazu eingeladen, eine oder mehrere Erinnerungen, die sie mit Essen verbinden, aufzuschreiben – auf dem Tischtuch.

Es war eine reichhaltige und nährende Veranstaltung, die sich erlaubte, die Breite der Themen rund ums Essen, Kochen und In-Beziehung-sein auszuloten. Selbstverständlich wurden dabei auch viele Spätsommerrollen mit leckerer Erdnusssauce verspiesen. Leider musste ich schon früher gehen und konnte deswegen dem Archiv der vollen Bäuche keine Erinnerung beisteuern. Doch beim Schreiben dieser Zeilen musste ich an Weihnachten 2020 denken, als ich mit meiner Schwester zuhause zum ersten Mal Ramen kochte, und wie es uns so gut geschmeckt hat, dass ich in den folgenden zwölf Monaten etwa jede zweite Woche Ramen kochte, für mich allein, für Freund*innen und Familie, für Dates – just diesen Samstag werde ich sie wieder kochen. Vielleicht findet diese Erfahrung so doch noch ihren Weg ins Archiv der vollen Bäuche.


Beitragsbild: Während des Workshops «Kitchen Politics. Emanzipatorische, transdisziplinäre Wissensordnungen«, Foto © Leadora Illmer.

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