Über das Projekt «wet dreams» von Valerie Reding in Zusammenarbeit mit Genosidra, Bast Hippocrate und William Cardoso
«… and we soon recognize ourselves as watery bodies among watery bodies, all sloshing around in a watery world. To understand ourselves as bodies of water thus also asks that we flush our understanding of what it means to be a ‹body› free of its anthropocentric hang-ups.»
– Astrid Neimanis, We Are All Bodies of Water, 2009[1]
«Du rührst dich. Du bist niemals ruhig. Du bleibst niemals. Du bist niemals. Wie dich nennen? Immer anders? Wie dich ansprechen? Im Fluss bleibend, ohne ihn gerinnen zu lassen. Ihn erstarren zu lassen? Wie diese Strömung in die Worte einfliessen lassen. […] Diese Bewegungen, die der Durchlauf von einem Ursprung zu einem Endziel nicht beschreibt. Diese Ströme ohne einziges und definitives Meer. Diese Flüsse ohne beständige Ufer. Diese Körper ohne feste Ränder. Diese rastlose Mobilität. Dieses Leben. Das, was man vielleicht unsere Unruhen, unseren Wahnsinn, unsere Falschheiten und Lügen nennen wird. So sehr bleibt das alles demjenigen fremd, der vorgibt, sich auf Solides zu gründen.»
– Luce Irirgaray, Wenn unsere Lippen sich sprechen, 1979
Es ist Dienstagmittag und ich fahre extra mit dem Zug von Basel nach Zürich, um mir und meiner Freundin ein T-Shirt kaufen zu gehen. Wohlgemerkt, nicht irgendein Shirt, sondern vielmehr eines der bedruckten secondhand Shirts, die Valerie Reding zusammen mit transdisziplinärer*m Künstler*in Aron Smith und dem mexikanischen Jungdesigner Evergreen designt und handgefertigt hat. Auf den limitierten Shirts steht «wet dreams» und produziert wurden sie auch, um das gleichnamige Performance-Projekt mitzufinanzieren, welches im Januar im Tanzhaus Zürich Premiere feiern wird.
Valerie Redings Arbeiten sind dafür bekannt, sowohl in der Konzeption als auch in der Ästhetik und Umsetzung aufwendig zu sein. Das erste Projekt, welches ich von they kennenlernte, heisst «Metamorphosis» (2013) und besteht aus einem fast vierstündigen Video, ungeschnitten und nur eine einzige Einstellung nutzend. Darin verwandelt Reding sich von einer Figur zur nächsten, mittels Make-Up, Perücken und Kleidung. Im Dazwischen des An- und Abschminkens, des Kleider- und Perückenwechsels, zeigen sich Erschöpfung, Trauer, Schmerz. Dabei wird erfahrbar, was sonst vielen eher in der Abstraktion bekannt ist, der Konstruktionscharakter von Geschlecht. All diese Figuren, so scheint mir, sind Reding und sind they doch nicht und sie passen in enge Geschlechterstereotypen und dann wieder nicht. Ein bisschen wie beim Versuch, mit den Händen Wasser zu schöpfen, wird nie alles eingefangen und ständig fliesst auch wieder etwas durch die Finger ab. Auf Redings Website steht zum Projekt: «The multiple hours long procedure of construction and deconstruction of subjectivities suggests that identity is not stable or clearly definable, but on the contrary convertible, modulatable and fluid.»[2]

Seither hat Reding eine Vielzahl an visuell nicht minder beeindruckenden, konzeptuell scharfsinnigen und emotional berührenden Projekten, Performances, Bühnenarbeiten, Videos und Fotografien, und Partys (ko-)produziert. Und während ich die meisten nur von Bildern und Reels auf Instagram kenne, so blieb mir Redings Arbeit stets im Gedächtnis. Dass nun der Kauf eines T-Shirts mich wieder in direkten Kontakt mir Reding und theyren Arbeit brachte, ist daher kein Zufall, sondern markiert einfach einen Anlass, der sich mir bot und den ich nutzte. Mensch könnte sagen, es hat mich hingespült und ich habe mich treiben lassen.
Das Fliessende ist ästhetisch wie konzeptuell ein wiederkehrendes Element in Redings Arbeit. In «wet dreams», theyren jüngstem Projekt, entwickelt in Zusammenarbeit mit Genosidra, Bast Hippocrate und William Cardoso, «tauchen vier Performer*innen in die trüben Ströme des Zusammenseins ein – als Menschen und daher als durchlässige und miteinander verflochtene Wasserkörper auf einem wässrigen Planeten. Inspiriert von Hydro-Feminismus (Astreida Neimanis) und Pleasure Activism (adrienne maree brown) erkunden sie die Schwellenräume zwischen Fluidität und Reibung, Lust und Fürsorge, Wut und ansteckender Freude. Sie regen dazu an, über Verkörperung, Interdependenz und Widerstand nachzudenken» (über «wet dreams» beim Tanzhaus Zürich).
Dass es auch hier wieder um grosse existenzielle Fragen geht und um das Ringen nach einer Antwort darauf, wird in Redings Artists Statement deutlich, welches they mir auf Anfrage zuschickte. Darin werden als Ausgangspunkt der Arbeit die multiplen Krisen unserer Gegenwart benannt, die alle miteinander zusammenhängen und sich derzeit auf zutiefst beängstigende Weise verschärfen: die zunehmende soziale und ökonomische Ungleichheit, der sich beschleunigende Klimawandel und ökologische Kollaps, das Erstarken autoritärer und faschistischer Ideologien und eine weit verbreitete Verschlechterung körperlicher und psychischer Gesundheit. All dies, so das Statement weiter, sei symptomatisch für die strukturelle Ausbeutung von Land, Arbeit und Körpern. Es ist Ausdruck der Hegemonie einer kapitalistisch-kolonialen Logik, die Individualismus, Konsumverhalten, Produktivität und ein kommodifiziertes Verständnis von ‹self-care› idealisiert und gar als Lösung angesichts dieser Verschränkung multipler Krisen anpreist.
Es gäbe viele Wege, diesen Zustand der Verflechtung, in der wir uns befinden, zu veranschaulichen. Bei «wet dreams» wird hierfür das Wasser gewählt.
Redings vorgeschlagene Antwort, die auch Anlass für «wet dreams» ist, beginnt mit der Anerkennung der Realität unser aller Verbundenheit miteinander – über die Grenzen von Spezies hinaus. Es gäbe viele Wege, diesen Zustand der Verflechtung, in dem wir uns befinden, zu veranschaulichen. Bei «wet dreams» wird hierfür das Wasser gewählt. Wasser als Element, welches als zentrale Grundlage für jegliches Leben auf diesem Planeten ausgemacht werden kann, welches ungefähr 71% der Erdoberfläche bedeckt, aus dem der menschliche Körper zu 60-70% besteht und eine einzelne Zelle zu 80%. Wasser als Metapher, welche dem fliessenden und sich wandelnden Charakter des menschlichen (insbesondere feministischen und queeren) Selbstverständnisses – mit dem sich Reding schon lange beschäftigt – einen Sprachraum, eine Denkfigur anbietet. Reding schreibt:
«This project proposes an alternative ontology of being-together – one rooted in care, mutual support and collaboration across human and more-than-human life forms. Embracing fluidity, contradiction and the inherent messiness of existence, the work engages with collective dreaming as a radical method for envisioning post-capitalist futures. I want us to relearn how to hold difference.»[3]
Performance, Kostüme und Make-Up, Choreografie – Reding schöpft für dieses Projekt aus dem ganzen Repertoire an Fähigkeiten, die sich they über die Jahre angeeignet hat, um zusammen mit einem transdisziplinären und sowohl sozial wie kulturell diversen Team einen Gegenentwurf zur oben erwähnten kolonial-kapitalistischen Logik anzubieten. Eine emotional ansteckende Geste der Verbindung, welche andere, utopische Formen des zusammen Seins ins Zentrum stellt. Das, was sich gut anfühlt, was uns Freude am Leben bereitet und wonach sich unser Begehren ausrichtet, sind dabei die Wegweiser, denen «wet dreams» folgt. Statt einer logischen Gegenerzählung geht es um ein körperliches, affektives Empfinden von guten Alternativen: Entgegen der kapitalistischen Herstellung von Knappheit und Mangel in allen Lebensbereichen, soll unser Gefühl für die Fülle, die in uns ist und uns umgibt, gepflegt werden. Reding zitiert hierzu adrienne maree brown:
«I believe our imaginations – particularly the parts of our imaginations that hold what we most desire, what brings us pleasure, what makes us scream yes – are where we must seed the future, turn toward justice and liberation, and reprogram ourselves to desire sexually and erotically empowered lives. […] Pleasure activism is the work we do to reclaim our whole, happy, and satisfiable selves from the impacts, delusions, and limitations of oppression and/or supremacy. […] Pleasure activists believe that by tapping into the potential goodness in each of us we can generate justice and liberation, growing a healing abundance where we have been socialized to believe only scarcity exists. […] Pleasure is not one of the spoils of capitalism. It is what our bodies, our human systems, are structured for; it is the aliveness and awakening, the gratitude and humility, the joy and celebration of being miraculous.»[4] (adrienne maree brown, Pleasure Activism: The Politics of Feeling Good, 2019)
browns Vision folgend, lassen sich Begehren und Lust als Werkzeuge des Widerstandes und der Verbindung begreifen, die uns helfen, unsere Kapazitäten und unseren Hunger zu fördern – nach gegenseitiger Fürsorge, nach der Freude am Gedeihen des Lebens um uns, nach der Teilhabe an der Herstellung lebensfreundlicher und wohlwollender Strukturen, die nicht auf Bestrafung, Erniedrigung und Ausbeutung aus sind. «wet dreams» ist eine Einladung, der gegenwärtigen Dystopie ihre Selbstverständlichkeit zu nehmen und das Verlangen nach dieser Eutopie, dem «guten Ort», zu stärken und zu erkennen, dass sie nicht nur möglich, sondern in uns auch bereits angelegt ist – nicht zuletzt in unseren feuchten Träumen.
Bemerkungen
«wet dreams» feiert Premiere am 22.01.2026 im Tanzhaus Zürich
Du möchtest dir auch ein Shirt kaufen und «wet dreams» unterstützen? Besuche den Wintermarkt vom Tanzhaus Zürich & Nude am 20. und 21. Dezember (Sa: 12 – 19 Uhr, So: 11 – 17 Uhr).
Beitragsbild: Foto © Aron Smith.
Fussnoten
[1] Auf Deutsch: «… und wir erkennen uns bald als wässrige Körper unter wässrigen Körpern, die alle in einer wässrigen Welt herumschwappen. Um uns selbst als Wasserkörper zu verstehen, müssen wir daher auch unser Verständnis davon, was es bedeutet, ein ‹Körper› zu sein, von seinen anthropozentrischen Vorurteilen freispülen.», übersetzt von C. Z. mit Hilfe von DeepL.com
[2] Auf Deutsch: «Die mehrere Stunden andauernde Prozedur der Konstruktion und Dekonstruktion von Subjektivitäten suggeriert, dass Identität nicht stabil oder klar definierbar, sondern im Gegenteil austauschbar, anpassbar und fliessend ist.», übersetzt von C. Z.
[3] Auf Deutsch: «Dieses Projekt schlägt eine alternative Ontologie des Zusammenseins vor – eine, die in Fürsorge, gegenseitiger Unterstützung und Zusammenarbeit über menschliche und mehr-als-menschliche Lebensformen hinweg wurzelt. Fluidität, Widersprüchlichkeit und die inhärente Unordnung des Daseins annehmend, beschäftigt sich diese Arbeit mit kollektivem Träumen als eine radikale Methode, um postkapitalistische Zukunftsvorstellungen zu entwickeln. Ich möchte, dass wir wieder lernen, Differenz zu halten [alternative Übersetzung: auszuhalten, mit Unterschieden umzugehen, Anm. C.Z.].», übersetzt von C.Z.
[4] Auf Deutsch: «Ich glaube, dass unsere Fantasien – insbesondere jene Teile unserer Vorstellungskraft, die das enthalten, was wir uns am meisten wünschen, was uns Freude, Lust und Wohlbefinden bereitet, was uns «Ja» schreien lässt –, der Ort sind, wo wir unsere Zukunft verwurzeln, uns der Gerechtigkeit und Befreiung zuwenden und uns neu programmieren müssen, um ein sexuell und erotisch selbstbestimmtes Leben anzustreben. […] Pleasure Activism ist die Arbeit, die wir leisten, um unser ganzes, glückliches und erfüllbares Selbst von den Auswirkungen, Täuschungen und Einschränkungen von Unterdrückung und/oder Vorherrschaft zurückzugewinnen. […] Aktivist*innen für Lust glauben, dass wir durch die Erschliessung des potenziellen Guten in jeder*m von uns Gerechtigkeit und Befreiung schaffen und eine heilende Fülle entwickeln können, wo wir sozialisiert wurden, zu glauben, dass nur Knappheit existiert. […] Lust ist keine Beute des Kapitalismus. Sie ist das, worauf unsere Körper, unsere menschlichen Systeme, angelegt sind; sie ist die Lebendigkeit und das Erwachen, die Dankbarkeit und Demut, die Freude und das Feiern, dass wir wunderbar sind.», übersetzt von C. Z. mit Hilfe von DeepL.com



