Barbie im sozialistischen Bulgarien

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Von Deyan Gakov. Dieser Beitrag ist Teil der Serie «Barbie im Spannungsfeld (queer-)feministischer Theorien und Aktivismen».

Die erste Barbie, die meine Mutter je gesehen hat, sie war damals etwa 13 Jahre alt»

Meine Mutter ist in den 1970er Jahren im Osten aufgewachsen, in einer Zeit geprägt von strikten Regeln und an einem Ort, an welchem die Funktionsweise und Handhabung des Sturmgewehrs Kalaschnikow in der Schule beigebracht wurde. Sie lernte Barbie erst kennen, als sie 7 Jahre alt war. In Bulgarien, wo sie damals aufwuchs, wurde die Puppe nicht verkauft. Allerdings erzählt sie immer, wie gleichgestellt die Menschen im Regime damals waren. Es habe keine Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern oder typische Männer- und Frauenberufe gegeben, im Gegenteil: Werbung mit Frauen als Kranführerinnen war beispielsweise üblich.

Auch ich bin Bulgarien geboren, kurz nach dem Ende eines sozialistischen Regimes, das mit den Verhältnissen in der Schweiz und anderen westlichen Ländern schwer zu vergleichen ist. Aufgewachsen bin ich mehrheitlich in der Schweiz. Daher beschäftigt sich mein Beitrag mit der Wirkung, die die ikonische Barbie-Puppe im sozialistischen Bulgarien / Osteuropa hatte, für was sie stand und wie sie aufgenommen wurde. Ich habe meine Mutter (und Grossmutter) befragt.

Barbie, ein Symbol westlicher Konsumkultur?

Obwohl es Barbies bereits seit 1959 gibt und sie sich auch im Osten grosser Bekanntheit erfreuten, wurden während der Kindheit meiner Mutter im Bulgarien der 1970er Jahre keine Barbies zum Verkauf angeboten. Jedenfalls nicht im Land selbst. Zur damaligen Zeit war es sehr schwer aus dem Land zu reisen. Grundsätzlich war es innerhalb der Mittelschicht fast nur LKW-Fahrer*innen erlaubt auszureisen, um Waren zu transportieren. Wer dann im Ausland etwas kaufen wollte, brauchte Dollar oder Deutsche Mark, die so gut wie niemand besass. Somit konnten nur wenige an Barbie Puppen gelangen. Die Kinder hätten mit anderen Puppen gespielt, erzählt meine Mutter, vor allem Stoff- oder Porzellanpuppen mit selbstgenähten Kleidern. Auch sie habe ihren nicht-Barbie-Puppen Kleider genäht, sie geschminkt oder sich liebevoll um sie gekümmert.

Die erste Barbie, die meine Mutter je gesehen hat, sie war damals etwa 13 Jahre alt, war diejenige einer nach Italien ausgewanderten Freundin, die diese stolz präsentierte, als sie für die Ferien nach Bulgarien zurückkam. Meine Mutter schildert, wie fasziniert sie von dieser Puppe gewesen sei, vom erwachsenen Aussehen der Puppe, den beweglichen Beinen und Knien, aber auch etwas verwirrt ob ihrer grossen Oberweite. Wie gerne hätte sie eine solche Puppe besessen. Dies sollte ein Traum bleiben. Aus diesem Grund habe sie dafür gesorgt, dass ihre Tochter sehr viele Barbies besitzen würde (auch wenn meine Schwester diese gar nicht so toll fand).

Meine Mutter vermutet, dass die Barbie-Puppe im damaligen Regime unerwünscht gewesen sei. Die Puppe sei als Symbol westlicher Konsumkultur wahrgenommen worden, die Kinderspielzeug auf problematische Weise sexualisiere. Sie erinnert sich an Diskussionen über den unrealistischen, sexualisierten (Erwachsenen-)Körper der Barbiepuppe. Denn die Frauen im Osten seien ja gleichgestellt gewesen und wurden dementsprechend auch nicht auf ihr Äusseres reduziert. Auch herrschte die Vorstellung, dass die Einfuhr von Konsumgütern aus dem Westen die Geschlechterordnung des Regimes auf negative Weise verändern und in der Bevölkerung Gefühle der Benachteiligung und des Mangels schüren würde. Zu dieser Zeit standen beispielsweise nur zwei Kinderfahrräder zum Verkauf. Diese waren identisch, einmal ein rotes für Jungen und einmal ein blaues für Mädchen. Meine Mutter erzählte mir, dass sie viel mehr Spielzeug hatte, als ihre Eltern je besessen hätten, aber dass sie im Vergleich zur heutigen Generation fast keine Spielzeuge besass.

Die geringe Auswahl war wohl auch ein Grund dafür, wieso sich kaum jemand stark benachteiligt fühlte; alle hatten das Gleiche, zwar nicht viel und vielleicht in einer anderen Farbe, aber das Gleiche. Es wurden alle Sachen verkauft, die man auch sonst wo kaufen konnte, aber es gab nicht zigmal das gleiche Produkt von unterschiedlichen Herstellern. Um anders oder speziell zu sein, musste man selbst kreativ werden, ähnlich, wie in Hollywoodfilmen, in denen Mädchen ihr Kleid für den Abschlussball selbst nähen.

Spielzeug im Retro Museum, Varna. Photo: Deyan Gakov.
Puppen Retro Museum, Varna. Photo: Deyan Gakov.

Barbie, ein Vorbild?

Später im Gespräch erfahre ich auch, dass ihrer Meinung nach die Barbie-Puppe und ihre Kurven keine negativen Auswirkungen auf ihr Selbstbild und das ihrer Bekannten und Freund*innen hatte. Mit Puppen werde ja in der Kindheit gespielt und da würden sich Kinder noch nicht so viele Gedanken machen über ihre Geschlechtsmerkmale machen oder die Grösse ihrer Augen, sondern einfach spielerisch die Welt erkunden. Ausserdem, erklärte sie, handle es sich ja um eine Puppe und keinen realen Menschen. Sie habe sich erst mit ihrem Körper und Aussehen auseinandergesetzt, als sie gar nicht mehr mit Puppen spielte. Ihren Beobachtungen nach sei das bei ihrer Tochter sehr ähnlich verlaufen. Als der Zeitpunkt der Pubertät kam, seien Puppen in den Hintergrund gerückt und neue Vorbilder kamen auf. Heutzutage seien dies eher Vorbilder aus den sozialen Medien, die durchaus genauso unrealistisch wie Barbie aussähen, aber nicht zwingend an kleine Kinder gerichtet seien.

Dementsprechend nahm meine Mutter Barbie nie als Vorbild wahr. Sie stand nicht für die Freiheit, alles werden zu können, was man nur möchte. Denn beruflich standen meiner Mutter bereits alle Türen offen. Natürlich habe es feministische Bewegungen auch im Osten gegeben, aber sie seien nicht wirklich notwendig gewesen, findet meine Mutter. Im Vergleich dazu sei die Gleichberechtigung in der Schweiz, die bekanntlich als sehr fortschrittlich gelte, eher holprig unterwegs. Erstmals im Westen habe sie Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts erlebt. Vorher habe sie das nicht gekannt.

Deyan Gakov: Mein Biologiestudium ist geprägt von Fakten und biologisch-wissenschaftlichen Prozessen. So bot mir das Seminar in den Gender Studies die Möglichkeit, mein «Inneres» als Teilergebnis gesellschaftlicher Verhältnisse zu reflektieren und mit meiner Mutter darüber ins Gespräch zu kommen. Das Schönste für mich war, meine Mutter zu betrachten, während sie in alten Erinnerungen rumstöberte und wieder das Kind in ihr erweckte.


Beitragsbild: Puppen Retro Museum, Varna. Photo: Deyan Gakov.