Die Arbeit eines australischen Künstlers wirft die Debatte über den Wert menschlicher Arbeit in Verhältnis zu Würde und Freiheit im Spätkapitalismus am Beispiel Amazon auf. Unter dem Eindruck der aktuellen Covid-19 Pandemie spiegelt das Kunstwerk die Situation verschiedener Gesellschaftsgruppen und Kunstinstitutionen im Lockdown auf vielschichtige Weise wieder.

In der aktuellen Ausstellung Circular Flow. Zur Ökonomie der Ungleichheit des Kunstmuseum Basel|Gegenwart zeigt der australische Künstler Simon Denny die Arbeit Amazon Worker Cage projection. Amazon meldete 2016 ein Patent auf einen neuen „Workspace“ für Arbeiter*innen an. Dabei handelt es sich um einen metallenen Käfig mit Greifarm und Rollen. Die Arbeiter*innen sollten in diesem Käfig sitzen, ihn durch den Arbeitsplatz fahren und mit dem Greifarm Güter bewegen. Was vielleicht als Schutzmaßnahme gedacht war, ist ein giftiger Kommentar zur Würde der Arbeiter*innen in einem globalen Konzern. Der Käfig lässt sich nämlich nur von außen öffnen. Tatsächlich hat Amazon einen solchen „Workspace“ aufgrund enormer öffentlicher Kritik niemals gebaut und von dem Patent keinen Gebrauch gemacht. Erst Denny materialisierte diese Erfindung in seiner Arbeit.
Aufgrund der aktuellen Covid-19 Pandemie und dem gefolgten Lockdown entwickelt sich ein neuer Blick auf diese Arbeit. Neben einer entmutigenden Zurschaustellung des Wertes menschlicher Arbeit thematisiert das Werk das komplexe Verhältnis von Schutz, Grenze, Freiheit und Bewegung und wie sich dieses Kräfteverhältnis in Krisenzeiten massiv verschieben kann. Das „Einsperren am Arbeitsplatz“ versucht sich unter dem Mantel des Arbeitnehmerschutzes zu tarnen. Der Guardian berichtet im Februar 2020 über menschenunwürdige Verhältnisse in den Lagerhallen des Versandriesen. Ilya Geller, eine „Pickerin“ bei Amazon, berichtet in eben diesem Beitrag über das Tracking-System des Konzerns, das die Produktivität und Arbeitsgeschwindigkeit der Mitarbeitenden überwacht. Wird man diesen nicht gerecht, generiert der Algorithmus eine Meldung ans Management – 3 Meldungen bedeuten den Jobverlust. Ein Käfig als Arbeitsplatz würde die bereits auf ein Minimum beschränkte (Bewegungs-)Freiheit weiter beschneiden und die Kontrolle über die Angestellten weiter erhöhen. Wie sieht es aber im globalen Lockdown aus? Wer wird aufgrund von „Systemrelevanz“ Ansteckungsgefahren ausgesetzt? Wo hingegen ist Würde und Freiheit unantastbar und wie weit darf Schutz reichen? Diese Fragen versuchen demonstrierende Arbeitnehmer*innen bei Amazon, Walmart und Target genauso zu beantworten, wie die als „Coronaidioten“ bezeichneten Massen, welche den Besuch beim Friseur vermissen.

Wie die Ausstellung Circular Flow deutlich macht, sind wirtschaftliche, politische, rechtliche und soziale Ungleichheitsverhältnisse aufgrund von „Rasse“, Geschlecht und Sexualität nicht erst mit Covid-19 entstanden. Auch soll nicht der Eindruck entstehen, dass vor der Pandemie sich alle gleichermassen „frei“ bewegen konnten. Gleichwohl hat das Virus die globale Ökonomie der Ungleichheit noch verstärkt und auch stärker sichtbar gemacht: Time berichtet von einer strukturell stärker betroffenen Niedriglohn Gesellschaft durch das Virus, die TAZ und der NDR arbeiten heraus, warum Frauen die Krise heftiger und nachhaltiger trifft als Männer. Wurde der „Workspace“ Amazons eventuell wegen hohen öffentlichen Drucks nicht umgesetzt, ist der Lockdown durch Covid-19 ein Marker dafür, wer es sich leisten kann, sich selbst zu schützen.
Im Amazon-Käfig spiegelt sich eine weitere aktuelle Situation. In Zeiten der Ökonomisierung aller Gesellschaftsbereiche sehen sich auch die Kunstmuseen und Galerien der hohen Erwartung ausgesetzt, immerzu sichtbar, produktiv und auch profitabel zu sein. Je nachdem, welche Art der Kunstinstitution, ob nun staatlich gefördert, privat finanziert oder als Geschäftsmodell verstanden, changiert der Anspruch. Seit dem Lockdown sind die Museumshallen verlassene Orte. Die Erwartung, Kunst öffentlich zugänglich zu machen und dabei möglichst viele Klicks zu generieren, steigt.
Bereits vor den Lockdown saßen die Institutionen in einer Art Amazon-Käfig, gebaut aus finanziellem Druck, hohen Erwartung nach Sichtbarkeit und Besucher*innenzahlen. Mit dem Lockdown schließen sich nun buchstäblich die Türen des „Workspaces‘“. Der Handlungsspielraum hat sich stark reduziert, bzw. kann nicht mehr in gewohnter Manier bespielt werden. In unglaublicher Geschwindigkeit haben Kunstmuseen und Galerien auf die Lage reagiert. Die zuvor mal mehr mal weniger gestalteten Social-Media-Kanäle werden zu Arenen der Kunstvermittlung ausgebaut. Jede Institution produziert ihrer spezifischen Aufgabe und Herausforderung entsprechend Blogs, Live-Talks und virtuelle Ausstellungen und Führungen. Das Kunstmuseum Basel veröffentlicht beinahe täglich ein Blogbeitrag, einmal Färben mit Kurkuma (für Kinder und alle, die es noch werden wollen), Vorstellung und Besprechung der Lieblingswerke von Mitarbeitenden oder Führungen mit Direktor Dr. Josef Helfenstein. Die Kunstgalerie KÖNIG aus Berlin hat gemeinsam mit der Kuratorin Annika Meier und dem Künstler Manuel Rossner eine einjährige Ausstellung in der St. Agnes auf die Beine gestellt – als App. Suprisingly, this rather works steht für alle Smartphone-Nutzer*innen kostenlos im App Store zur Verfügung. Sogenannte Live-Talks auf Instagram und Co. scheinen für alle verpflichtend zu sein. Selten war es so leicht, aus einem kleinen Dorf wie Maikammer die Ausstellung im MoMA zu sehen und gleich danach „the essential staff members“ des MET kennen zu lernen. Für all die Menschen, die sich mit Instagram, Challenges, IGTV, App-Ausstellungen oder Live-Talks nicht auskennen, keinen Zugang zum digitalen Raum haben oder schlicht nicht im Besitz von Smartphone, Tablet und Notebook sind, bleiben die Kunstinstitutionen jedoch stumm.

Produktivität in der Krise oder kreative Auszeit – Einmal mehr muss über die Aufgabe und Zugänglichkeit von Kunstinstitutionen reflektiert werden. Wird das Museum künftig an den Einsatz neuer Technologien gekettet und an der globalen Reichweite seines Medienauftritts gemessen, so wie uns das Dennys Amazon Workers‘ Cage vor Augen führt? Die Ausstellung Circular Flow wirft einen kritischen Blick auf ökonomisch begründete Sachzwänge und erinnert daran, dass mehr (digitale) Bewegungsfreiräume für die einen, mehr Einschränkung, Kontrolle und Überwachung für die anderen bedeutet.
Text von Charlotte Pfirrmann.