Von Andrea Zimmermann.

Am kommenden Mittwoch, den 24. April, veranstaltet das Literaturhaus Basel in Kooperation mit art of intervention eine Lesung mit Nicole Seifert. Es geht um ihr neues Buch „Einige Herren sagten etwas dazu“. Die Autorinnen der Gruppe 47, das im Februar dieses Jahres im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. Nicole Seifert war auch mit ihrem letzten Buch FrauenLiteratur, Abgewertet, Vergessen, Wiederentdeckt (2021) präsent bei art of intervention: Nicht nur haben wir damals gemeinsam auf der Buch Basel mit Tabea Steiner über die Situation von Autorinnen im Literaturbetrieb diskutiert (moderiert von Martina Läubli), vielmehr hat Nicole Seifert auch schon zum Akt der Verdrängung von Autorinnen aus der Literaturgeschichte einen Blogbeitrag verfasst.

Zentral für Nicole Seiferts Arbeiten ist die Einsicht, dass es sich bei der Unsichtbarkeit von Autorinnen in der Literaturgeschichte eben nicht um das Ergebnis eines passiven Vergessens handelt, sondern um eine aktive Verdrängung. Auch mit ihrem aktuellen Buch schreibt Nicole Seifert gegen diese Verdrängungsmechanismen an – und hat sich diesmal einer besonderen Grösse angenommen: der Gruppe 47. Für die deutschsprachige Nachkriegsliteratur eine zentrale Instanz. Zahlreiche Autoren dieser Gruppe rund um Hans Werner Richter gehören heute unhinterfragt zum Kanon der deutschen Literatur. Bei den Autorinnen dagegen sieht es anders aus. Den meisten Menschen, die mit deutschsprachiger Literatur vertraut sind, dürften wahrscheinlich nur zwei Autorinnen aus diesem erlesenen Kreis einfallen/bekannt sein: Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger.

Nicole Seifert zeigt auf, wie die Autorinnen lediglich als Muse, jedoch nicht als Künstlerinnen bei ihren Kollegen Anerkennung fanden.

Verdrängung spielt jedoch für diese Gruppe, die sich dem Anliegen des gesellschaftlichen und sprachlichen Neuanfangs widmete, auch in anderer Hinsicht eine Rolle. Es ist erneut der Verdienst von Nicole Seifert, sichtbar zu machen, dass viel mehr Autorinnen bei den berühmten Treffen der Gruppe 47 anwesend waren und gelesen haben. Und wieder kann rekonstruiert werden, wie diese Autorinnen aktiv aus der Geschichte der Gruppe 47 herausgeschrieben wurden. Und, was vielleicht noch erschütternder ist: Nicole Seifert zeigt auf, wie die Autorinnen lediglich als Muse, jedoch nicht als Künstlerinnen bei ihren Kollegen Anerkennung fanden.

In unserem Gespräch am kommenden Mittwoch werden wir eine Re-Lektüre der bisherigen Literaturgeschichtsschreibung vorstellen und uns fragen, welche Parallelen sich auch heute noch zu den Arbeitsbedingungen und der Rezeption von Autorinnen ziehen lassen. Ich freue mich, dass Nicole Seifert vorab fünf Fragen beantwortet hat, die uns einen ersten Einblick in ihr neues Buch geben:

Portrait von Nicole Seifert. ©Katja Scholtz


1. Wie kam es zur Beschäftigung mit der Geschichte der Autorinnen der Gruppe 47? Was war der Anlass für Deine Recherchen?

Sie hat sich eigentlich aus meinem letzten Buch ergeben. In Frauen Literatur, Abgewertet, Vergessen, Wiederentdeckt von 2021 habe ich mir relativ breit angesehen, wie die verschiedenen Bereiche im literarischen Feld bei der Benachteiligung zusammenspielen: Schule und Uni, Literaturgeschichte, Buchverlage, Literaturkritik und Medien. Dieser letzte Punkt scheint mir der entscheidendste. Gleichzeitig lässt sich schwer der Finger darauf legen, wie diese Abwertung in der Literaturkritik genau wirkt. Ich wollte an der Stelle noch einmal genauer hinsehen. Aber nicht anhand einer einzigen Autorin – dann hätte es wieder geheissen: Ja, die hat aber auch das und das gemacht, ist also selbst schuld / hat nichts Gutes geschrieben / ist ein schlechtes Beispiel. Ich brauchte eine logisch zusammenhängende Gruppe von Autorinnen, um das Strukturelle untersuchen zu können. Und damit war ich relativ schnell bei der Gruppe 47.

2. Was war das Überraschendste, was Du im Lauf Deiner Recherche und Beschäftigung mit den Dokumenten zur Gruppe 47 erlebt hast?

Ursprünglich ging es mir vor allem darum zu zeigen, dass die Autorinnen, die bei den Treffen der Gruppe 47 dabei waren, nicht von der Literaturgeschichte ignoriert wurden, weil ihr Werk es nicht wert gewesen wäre/ist. Das war meine Ausgangsthese. Dass ich in den 1950er Jahren auf Sexismus stossen würde, war im Grunde keine Überraschung, wie ausgeprägt der aber war, wie viele Facetten er hatte, wie er jede ernsthafte Auseinandersetzung mit den Texten der Frauen verunmöglicht hat – das hat mich sehr überrascht. Das Ausmass des Ganzen. Immerhin waren das ja Männer, die sich für links hielten und für die Avantgarde der deutschen Literatur.

3. Gab es einen Moment, der Dich wütend gemacht hat?

Ja, das ist vielleicht ein bisschen ungerecht (weil natürlich ebenfalls strukturell und patriarchatsbedingt), aber am wütendsten macht es mich eigentlich, wenn die Frauen abfällig übereinander reden. Das ist in ein paar Quellen der Fall und auch in einem Teil der Interviews, die ich mit noch lebenden Autorinnen geführt habe, deutete sich so etwas an. Dagegen konnte ich über manch krasse, aber eben auch absurde Aussage von Hans Werner Richter und anderen bald nur noch lachen – wahrscheinlich ist dies auch ein Schutzmechanismus, wenn man sich mit solchen Themen befasst. Galgenhumor. Denn im Grunde kommt die Gewalt natürlich von dort.

4. Welche Autorin oder welches Werk würdest Du den Leser*innen besonders ans Herz legen wollen und warum?

Mir liegt sehr daran, das Panorama an Autorinnen, das ich im Buch aufgefächert habe, nicht im Nachhinein wieder zu verengen und die Lesenden selbst entscheiden zu lassen. Ich kann aber sagen, dass Griseldis Fleming für mich zu einer Schlüsselfigur des Buches geworden ist mit ihren bildkräftigen, unvergesslichen Gedichten, die leider nur zum Teil erhalten sind.

5. Welche Frage ist auch nach Abschluss des Buches für Dich offengeblieben? Oder gibt es eine Frage, der Du weiterhin nachgehen wirst?

Ich glaube, dass es auf die Frage, warum Autorinnen in der Literaturgeschichte und im Schulunterricht so unterrepräsentiert sind, noch weitere Antworten gibt, auch wenn Sexismus natürlich zu allen Zeiten eine Rolle gespielt hat. Aber das kann man ja auffächern. Wenn das nächste Buch immer schon im vorigen enthalten ist, wie Daniela Dröscher geschrieben hat, dann führt mich dieses vielleicht als nächstes zu den Autorinnen des Exils, die ja bei der Gruppe 47 nicht erwünscht waren und deren Leben und Schreiben wieder auf andere Weise vernichtet wurde.



Weiterführende Informationen

Verlagsseite und Leseprobe von „Einige Herren sagten etwas dazu“. Die Autorinnen der Gruppe 47

Besprechungen des Buches:
NZZ Feuilleton
WOZ
FAZ
Deutschlandfunk Kultur

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Beitragsbild: Portrait von Nicole Seifert. ©Katja Scholtz