«A Room of One’s Own – and a little break»

, , ,

veröffentlicht am

Von Eleonora Wicki


In der Gesprächsreihe «Zeitgenoss*innen» im Anschluss an Julia Haennis Theaterstück «frau heilt (party)» im Theater Winkelwiese in Zürich, unterhalten sich Andrea Zimmermann und Julia Haenni vor der Bühne über Geschlechterverhältnisse auf und hinter der Bühne.

Auf der Bühne

*Beginn der immergleichen Geschichte*

Drei Frauen auf der Bühne ringen mit «der» Geschichte. Sie wollen sie nicht mehr erzählen, diese Geschichte. Eine sagt:

Nein! Ich will da nicht mehr drüber sprechen wirklich nicht ich will eine andere Geschichte bitte!
(Haenni, S. 12)

Alles an dieser Geschichte ist «einfach schon so oft gesagt worden». Und doch kommen die Frauen nicht los von dieser Geschichte des Patriarchats. Sie erzählen sie wieder, erzählen sie neu, erzählen sie in all ihren Ausprägungen und Variationen in diesem Stück (wie auch in den meisten anderen Stücken der Autorin).[1]

Vor der Bühne über die Geschlechterverhältnisse auf und hinter der Bühne

Andrea Zimmermann gefällt die sprachlich wie performativ vorgeführte Wiederholung im Stück: «Ich glaube, dass wir an einem Punkt der rhetorischen Übersättigung sind. Die Leute haben das Gefühl, wir haben es doch jetzt besprochen. Es hat sich doch schon so viel verändert.» Dass sich viel verändert habe, ist Zimmermann zufolge jedoch ein Trugschluss: «[D]ieser Wandel hin zu anderen Strukturen hat eigentlich noch nicht stattgefunden.»

Dieser Wandel brauche Zeit, meint Julia Haenni: «Eigentlich müsste man sich mal ein Jahr lang mit dem Geld für eine Spielzeit Zeit nehmen, um diese Strukturen zu erdenken, zu diskutieren, Vertreter*innen aller möglichen Gruppen einzuladen und darüber sprechen, wie wir Diversität hinkriegen. Und was brauchen wir alle, damit wir so arbeiten können?» Doch Zeit sei leider immer mit Geld verbunden und beides sei im Theater knapp vorhanden.

Das Stück stelle ja die Frage, so Zimmermann, warum diese Geschichte immer wieder erzählt, immer wieder aufbereitet werden müsse. Es stehe damit in der Tradition Virginia Woolfs, die ebenso damit gerungen habe, wie sie ihre Kritik formulieren könne damit sie von der Gesellschaft gehört wird. «[W]as machen wir eigentlich mit der Wut, die manchmal aufkommt über die Strukturen, die sich nicht verändern?»

Man hat das Gefühl: Ich muss darüber sprechen, weil sonst spricht man [gar] nicht drüber.

Energetisch betrachtet sei es tatsächlich nicht vorteilhaft, meint Haenni, sich immer mit demselben Schmerz zu beschäftigen, um allen anderen die Bedeutung dieser schmerzhaften Erfahrung zu vermitteln. Im Stück «frau heilt (party)»setzt sich Haenni mit dem Thema der Endometriose auseinander, die aufgrund des gender bias in der westlichen Medizin wenig erforscht ist und deren Erforschung, wie auch bei anderen Krankheiten, die den weiblichen Körper betreffen, mit wenig Geldern gefördert wird. Obschon Haenni keine besondere Lust hat, über Endometriose zu schreiben, gibt es für sie keinen anderen Weg: «Man hat das Gefühl: Ich muss darüber sprechen, weil sonst spricht man [gar] nicht drüber.»

Auf der Bühne

Ich hab nämlich keine Lust mehr darüber zu sprechen

Immer die zu sein die darüber spricht

Die darüber sprechen muss





Als wäre mein Sein damit verwachsen

Als wär das meine Haupt Sache mein Haupt Beruf mein Hauptwesensdaseinsgrund

Ich bin doch nicht hauptsächlich dazu da den Schmerz zu äh sein

In immer bisschen anderen Farben zwar wieder und bisschen moderner mit der Zeit also freizügiger auch und bisschen mehr mit coolem Ponyhaarschnitt und so

Aber eigentlich immerzu dieselbe Geschichte

Ja

Leider

Als wär ich dazu verdammt nur immer immer immerzu meine Zeit und meine Kreativität dazu zu verbraten

nur immer immer immerzu

dieselbe Geschichte

immer

wiederholen

zu

müssen



Als hätte ich keine anderen Interessen keinen anderen Antrieb kein anderes in der Welt sein

Ja als wären der Schmerz und ich zusammen von diesem beschissenen Baum der Sünde gefallen

(Haenni, S. 6)

Vor der Bühne über die Geschlechterverhältnisse auf und hinter der Bühne

«Was waren die Bedingungen dafür, dass eine Zusammenarbeit gut geklappt hat für dich?», möchte Zimmermann wissen. Sie stellt sich vor, dass eine Praxis von Sorge und Selbstsorge dem Kulturbetrieb etwas entgegenhalten könnte, da der Betrieb oft davon ausgeht, dass alles, was nicht der Kunst entgegenkommt (inklusive essen und schlafen) unsichtbar bleiben müsse.

der Betrieb [geht] oft davon aus, dass alles, was nicht der Kunst entgegenkommt (inklusive essen und schlafen) unsichtbar bleiben müsse

Als Regisseurin habe sie leider noch nicht herausgefunden, wie eine Art Care-Situation zu erschaffen wäre auf der Probe, ohne dass der ganze Druck am Schluss auf den Schultern der Regie hängen bleibe, «weil alle finden, sweet, dass sie nach Hause gehen können, aber ich muss mich fragen: Fuck, was mach ich jetzt? Ich habe noch fünf Tage Zeit, dann ist die Premiere.» Ein Kollege habe jedoch kürzlich vorgeschlagen, sowas wie Puffertage einzubauen. Mit diesen könnte auf Krankheiten und andere arbeitserschwerende Ereignisse reagiert werden, indem Proben ausfallen, denn «weniger Proben ist manchmal mehr. Also weniger, aber besser vorbereitet.»

Auf der Bühne

[Arzt] Kann es sein, dass Sie einfach besonders schmerzempfindlich sind?

Nein ich denke

Ich denke Sie sind einfach sehr schmerzempfindlich

Schauen Sie die Menstruation ist nunmal was Schmerzhaftes da muss man halt durch

Man? Wer ist man?

[…]

Hatten Sie viel Stress in letzter Zeit?

unterbricht er mich

Ja nein also

Wie soll ich das sagen: Mit meinem Körper hat man eigentlich immer Stress in dieser Welt ist Ihnen der Begriff Patriarchat schonmal untergekommen

Das sagst du?

Nein das sag ich natürlich nicht weil da keine Zeit ist in dem gewinnbringenden Zeitplan

Es kann auch vom Stress sein viele Patienten mit Gebärmutter haben stärkere Blutungen wenn sie Stress haben

PatientEN mit Gebärmutter??

Really?

Arbeiten Sie viel?

Hahahaahhahhaaaaaaaaaaa

Nein ich bin reich geboren und Care Arbeit ist mir auch fremd und die Leere des neoliberalen Versprechens hab ich schon früh durchschauen können und hab deshalb eine safe Karriere gewählt und sicher nicht was in der KREATIVWIRTSCHAFT haha also nein ich chilllllllle den ganzen Tag rum und bilde mir ein ich hätte Schmerzen

hätte ich gesagt wenn er nicht direkt

Ich schreib Ihnen stärkere Schmerzmittel auf probieren Sies damit und sonst kommen Sie wieder

(Haenni, S. 10–11)

Vor der Bühne über die Geschlechterverhältnisse auf und hinter der Bühne

Im Stück spielen die ganz grossen Erzählungen der Moderne eine gewichtige Rolle, fällt Zimmermann auf. Die grossen Erzählungen über die Religionen, die Psychoanalyse, «all die grossen Wahrheiten über Weiblichkeit, sozusagen. Aber die Frage ist auch, wie können wir aus diesem Wiedererzählen und diesem Rekonstruieren dessen, wie Frau definiert wird und wie Weiblichkeit hergestellt wird, herauskommen? Und da finde ich genau diesen Moment von Unterbruch [der im Stück als Pause für die Schauspielerinnen inszeniert wird] interessant, weil es auch ein Moment sein kann, wo sich Dinge einfach mal in Frage stellen. Dass die Erzählung nicht einfach weitergeht.»

Deswegen funktioniert das System ja auch so gut, weil niemand hat Zeit, um über die Revolution nachzudenken.

«Ja», meint Haenni, «wie kann ich überhaupt mal reflektieren, wie es anders sein könnte, wenn ich gar keinen Break habe? Deswegen funktioniert das System ja auch so gut, weil niemand hat Zeit, um über die Revolution nachzudenken. Ich glaube, da liegt auch die Veränderung drin. Also, sozusagen: A ‹Room of One’s Own› – and a little break.»

Zimmermann: «Und was passiert danach?»

Auf der Bühne

Sie denkt an all die Schwestern aus allen Zeiten deren Worte sie gelesen hatte immer wieder wie helfende Hände in denen sie sich endlich erkannt gesehen verstanden gefühlt hatte wie in einem Paralleluniversum und denkt: ich kann das. Auch ich kann das.

[…]

Und wenn alle da sind schauen wir gemeinsam in den Himmel hinauf wie früher in ein Kino einen Guckkasten und sehen wie der Nebel sich langsam verzieht und die sanft leuchtende Sichel des neuen Mondes freigibt der gerade aufgegangen ist

Eine neue Zeit hat begonnen.

(Haenni, S. 67, 71)

Vor der Bühne

Zimmermann: «[D]ie Idee vom Zusammen in deinem Stück finde ich sehr schön. Das Miteinander, diese Momente von Begegnung, die auch in diesen anstrengenden Strukturen trotzdem stattfinden. Und so Abende wie heute Abend, die man zusammen erleben kann. Danke dir dafür und für das schöne Gespräch.»

*Ende dieser Variation der immergleichen Geschichte*


Fussnote

[1] Siehe Wölfinnen (2015), Frau im Wald (2018), frau verschwindet (2019), Don Juan. Erschöpfte Männer (2020) von Julia Haenni.

Literatur

Julia Haenni: «frau heilt (party)», Verlag der Autoren, Frankfurt am Main, 2024.

Julia Haennis ganze «frau»-Trilogie wird im Herbst 2025 unter dem Titel «frau verschwindet. Eine Trilogie» beim Verlag der Autoren in Buchform erscheinen.

Das gesamte Gespräch zwischen Julia Haenni und Andrea Zimmermann kann hier als Transkript gelesen werden.

Beitragsbild: «frau heilt (party)», aufgeführt am Theater Winkelwiese, 2024. Foto: Heike Mondschein.