Von Dominique Grisard. Dieser Beitrag ist Teil der Serie «Barbie im Spannungsfeld (queer-)feministischer Theorien und Aktivismen».
Noch nie wurde so viel über Barbie gesprochen wie heute. Greta Gerwigs Barbie-Film hat eine globale Debatte ausgelöst: Ist Barbie (zu) feministisch? (zu) woke? (zu) queer? (zu) divers? (zu) inklusiv? (zu) binär? (zu) körper-normierend und ableistisch? (zu) weiss und rassistisch? Marktfeministischer Mainstream eben? Zwar wurde die erste erwachsene Puppe mit Zielgruppe Mädchen bereits Ende der 1950er Jahre kontrovers diskutiert. Selten wurde sie jedoch als feministische Vorreiterin betrachtet. Ganz im Gegenteil: Bis vor kurzem stand Barbie vor allem für sexistische und rassistische Schönheitsnormen.
In einem Luzerner Schaufenster entdeckte Ruth Handler, amerikanische Unternehmerin und Mitbegründerin des Spielzeuggiganten Mattel, in den 1950ern eine Puppe namens Lilli. Diese warb für die schlüpfrig-sexy-sexistische Comicfigur «Lilli», in der Nachkriegszeit vielen aus der Bild Zeitung bekannt. Zielpublikum der «Bild-Lilli» waren erwachsene Männer und Frauen. Schon bald sicherte sich Mattel die Rechte an Lilli, deren Produktion kurz darauf eingestellt wurde. Um Barbie vom sexy-sexistischen Image Lillis reinzuwaschen?
So ganz sollte das Mattel nicht gelingen. 1970 riefen Protestierende am New Yorker Women’s March for Equality: «I am not a Barbie Doll!» Gemeint war das mit Barbie verbundene Schönheitsideal: blond, dünn, überdimensionierte Brüste und Füsse, die nur in hochhackige Schuhe passten und die Mobilität der Puppe stark einschränkten, ja das eigenständige Aufrechtstehen schier unmöglich machten. Für die Protestierenden propagierte Barbie eine Weiblichkeit, die von den bestätigenden Blicken Anderer abhing, statt eigenständig und unabhängig mit beiden Füssen auf dem Boden zu stehen. Und dies, obwohl Mattel Barbie von Anfang als Frau von Welt vermarktete, die immer wieder neuen Berufen nachging, wofür sie notabene auch immer neue Outfits und Accessoires benötigte. Als Mattel 1965 eine Astronautinnen-Barbie schuf, hatte es erst eine Frau ins Weltall geschafft: die 26jährige Russin Valentina Tereshkova. Ist Barbie eine Pionierin der Berufswelt mit Vorbildcharakter? Oder viel eher Patriotin, die in Zeiten des Kalten Kriegs dazu beiträgt, den «Wettlauf ins All» für die USA zu entscheiden? Und wie ist das heute?
Der Barbie-Film trug eindeutig zur rhetorischen Normalisierung marktfeministischer Werte bei. Dieses Jahr kandidiert Barbie bereits zum 8. Mal für die US-amerikanische Präsidentschaft. Den Sprung ins Amt hat sie bisher noch nicht geschafft. Gleichwohl sind sich Mainstream-Medien einig: «Barbie helped raise a generation of feminists» (Time Magazine, 19.7.2023). Denn etwas hat sich in den letzten Jahren verändert: Feminismus ist, wenn er wie im Barbie Film humorvoll und marktförmig daherkommt, heute definitiv kein Schimpfwort mehr.
In (queer-)feministischen Theorien und Aktivismen spielt die Puppe spätestens ab den 1990er Jahren eine Hauptrolle. Für internationale Aufmerksamkeit sorgte die Hacking-Aktion der Barbie Liberation Organisation. Sie hatte in US-Amerikanischen Spielzeugläden die Sprachboxen von «Teen Talk Barbie» mit denjenigen von GI Joe ausgetauscht. GI Joe rief nun: «Want to go shopping?», während Barbie deklarierte: «Dead men tell no tales». Die Debatte über Geschlechterstereotypen in der Kinderkonsumkultur war lanciert.
In der Geschlechterforschung waren zwei Publikationen der 1990er wegweisend für die differenzierte, intersektionale Auseinandersetzung mit Barbie als kulturellem Phänomen: 1994 thematisierte Ann duCille die Vermarktung von Race- und Geschlechterdifferenzen am Beispiel von «Black Barbie», die in den 1990er Jahren nie einfach nur «Barbie» sein konnte. Auch unterschied sich «Black Barbie» – abgesehen von Haut, Augen und Haaren – kaum vom blonden Prototyp. Denn: Die Produktion unterschiedlicher Gesichtszüge und Körperformen hätte damals massive finanzielle Einbussen zur Folge gehabt. So setzte Mattel weiterhin auf Homogenität.
Welche Auswirkungen die eintönige, gleichförmige Spielzeugwelt auf Schwarze Kinder und Kinder of Color hat, beschrieb duCille an ihren eigenen Kindheitserfahrungen in den USA der 1950er Jahre. Die Tatsache, dass alle Puppen, Märchenfiguren und Bilderbücher weiss waren, hinterfragte sie als Kind nie. Für sie war das absolut selbstverständlich. Allerdings wirkte sich dies aus auf ihre Fantasiewelt aus, die so wenig Schwarz war wie die Puppen, mit denen sie spielte. Es beeinflusste auch, wie sie sich selbst wahrnahm: als anders als die weisse Norm, fremd, gesichtslos, unbekannt.
That is to say, the «me» I invented, the «I» I imagined, the Self I day-dreamed in technicolor fantasies was no more black like me than the dolls I played with. In the fifties and well into the sixties of my childhood, the black Other who was my Self, much like the enemy Other who was the foreign body of our war games, could only be imagined as faceless, far away, and utterly unfamiliar”.
duCille 1994, Dyes and Dolls: Multicultural Barbie and the Merchandising of Difference, S. 48
Für duCille lag das Problem mit Barbie in der gesellschaftlichen Normalisierung der Kinderkonsumkultur und einer Fantasiewelt in der „weiss“ mit „gut“ und „schön“ gleichgesetzt wurde und wird. So werden vereinfachte Vorstellungen von race-, ethnisch- und geschlechtsspezifischen Unterschieden vermarktet, ohne die damit verbundenen Herrschaftsverhältnisse zu benennen.
1995 publizierte Erica Rand eine der ersten kritischen Auseinandersetzungen mit «Barbie’s Queer Accessories.» Ihr Fokus lag auf künstlerischen und aktivistischen An- und Umeignungen der beliebten Plastikpuppe. Rand führte Interviews mit queeren Menschen über ihre Kindheit und queere Identität. Dabei spielte Barbie bei einem Grosssteil ihrer Interviewpartner*innen eine tragende Rolle in ihren Coming Out-Geschichten. Für die einen war das intensive Spiel mit Barbie ein erster Hinweis auf ihre Queerness, für die anderen war die vehemente Abgrenzung und/oder der rabiate Umgang mit der Plastikpuppe ein frühes Indiz queerer Identität.
Seither sind viele Studien entstanden, die das Phänomen Barbie aus pop-feministischer, queer-marxistischer, posthumanistisch-feministischer, postkolonial-feministischer, Schwarzer feministischer, Latinx-feministischer, sexpositiv-feministischer, crip-feministischer Perspektive, u.v.m. beleuchten. Gleichzeitig setzen Aktivist*innen und Künstler*innen Barbie immer wieder ein, um wirkungsvoll in gesellschaftliche Verhältnisse zu intervenieren. Am 1. August 2023 kündigte Mattel eine neue, komplett biologisch-abbaubare «Ecowarrior Barbie» an. Die aus Pilz statt Plastik hergestellte Barbie-Serie versammle Vorbilder der Klimabewegung wie Greta Thunberg, Nemonte Nenquimo oder Julia Butterfly Hill. Natürlich stellte sich die «Ecowarrior Barbie» als erneuter Hoax der Barbie Liberation Organization heraus. Diese nutzte die mediale Aufmerksamkeit des Barbie-Films, um auf die Auswirkungen von massenproduziertem Plastikspielzeug auf die Klimakrise hinzuweisen, aber auch um eine plastikfreie Konsumwelt denkbar zu machen.
Wie prägte Barbie unsere Eltern in ihrem Geschlechterverständnis? Wie beschreibt ein sehbehindertes Kind das Aussehen von Barbie? Welche Rolle spielte Barbie in der eigenen queeren Identifikation? Was verbindet Barbie mit der Farbe Pink? Warum rührte Glorias Monolog im Barbie Film so viele Frauen zu Tränen? Diese und andere Themen beleuchten Studierende in Blogbeiträgen im Rahmen des Seminars «Barbie im Spannungsfeld (queer-)feministischer Theorien und Aktivismen».
