Von Lea Dora Illmer. Eine Analyse der Statistischen Erhebung zu den Schweizer Literaturpreisen 2012-2018 von Tabea Steiner.

Schweizer Literaturpreise würdigen und fördern das aktuelle literarische Schaffen in der Schweiz. Das Bundesamt für Kultur verleiht jährlich zwei Schweizer Grand Prix Literatur und fünf bis sieben Schweizer Literaturpreise. Alle zwei Jahre kommt ein Spezialpreis Übersetzung hinzu, alternierend mit dem Spezialpreis Vermittlung. Teilnahmeberechtigt sind Schweizer*innen sowie in der Schweiz wohnhafte Autor*innen, die im Vorjahr ein literarisches Werk in einer der Landessprachen oder einem Schweizer Dialekt publiziert haben.[1]

Die Preisträger*innen erhalten finanzielle Unterstützung und gewinnen an Bekanntheit. Buchpreise sind auch immer ein Versuch, so die Autorin Ruth Schweikert, das Medium Buch zu retten[2]. Literaturpreise spielen eine grosse Rolle bei der Sichtbarmachung von Autor*innen. Diejenigen, die es trifft, werden sichtbar, sichtbarer. Und diejenigen, die es nicht trifft, bleiben unsichtbar oder werden gar unsichtbarer[3]. Die Rangordnungen, welche durch Preise geschaffen werden, sind «eigentlich ja allem diametral entgegengesetzt, was Literatur macht und sein kann», dieses «eins, zwei, drei», «Bücher wie Rennpferde, die dann losgaloppieren»[4]. Dass ein prämiertes Buch andere zum Verschwinden bringt, kann nicht dem Buch angelastet werden. Was sich dennoch lohnt, ist eine genaue Betrachtung: Wer erhält welche Preise? Wie oft? Und in welchem Alter? Tabea Steiner hat im Oktober 2019 eine statistische Erhebung durchgeführt und aufschlussreiche Erkenntnisse gewonnen.

Die Ausgangslage

Alles beginnt damit, wer sich bewirbt. Auch wenn die Eingabezahlen stark schwanken, blieben die vertretenen Sprachanteile im untersuchten Zeitraum mehr oder weniger konstant. Ein Ungleichgewicht ist in Bezug auf die Geschlechter erkennbar: Männer bewerben sich durchgehend häufiger als Frauen. Steiner weist darauf hin, dass diese Erkenntnis im Gesamtkontext gesehen werden muss. Bücher von Frauen werden weniger oft besprochen, Literatur von Männern gilt nach wie vor als Norm. Eine wichtige Ergänzung würde eine Erhebung bilden, die untersucht, in welchem Geschlechterverhältnis Schweizer Verlage Bücher publizieren. Ein grosses Problem ist zudem die Tatsache, dass Menschen, die sich jenseits der geschlechtlichen Binarität Mann-Frau identifizieren, non-binär oder agender sind, statistisch vom Bundesamt für Kultur gar nicht erst erfasst werden.

Der Schweizer Literaturpreis

Zwischen 2012 und 2018 wurden insgesamt 50 Bücher mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet. In Bezug auf die Geschlechter bildet sich ein Ungleichgewicht ab: Frauen sind zu 44% und Männer zu 56% vertreten. Da die Verteilung der Preise in Bezug auf die Geschlechter von Jahr zu Jahr schwankt, lässt sich keine deutliche Entwicklung ausmachen. Auffällig ist, dass alle Preisträger*innen unter dreissig weiblich sind. Davon abgesehen sind ausgezeichnete Frauen im Schnitt älter als Männer. Die Altersgruppe von 50-60-Jährigen ist insgesamt am häufigsten vertreten. Frauen sind in ebendieser Gruppe jedoch am deutlichsten untervertreten. Diese Beobachtung könnte damit zusammenhängen, dass Frauen nach wie vor einen Grossteil der Sorge- und Hausarbeit leisten. Wenig erträgliche Tätigkeiten wie das Schreiben werden demnach hinten angestellt. Die schriftstellerische Karriere leidet darunter, verzögert sich.

Eine Studie des Vereins Suisseculture Sociale (2016) zeigt zudem, dass Männer eher vom Schreiben leben können als Frauen. In Bezug auf das Herkunftsland der ausgezeichneten Autor*innen ist die Schweiz deutlich übervertreten, gefolgt von Deutschland. Alle weiteren Herkunftsländer liegen in Europa. Die Schweizer Literaturszene ist nach wie vor wenig divers. Neue Positionen und Sichtweisen müssen, so Steiner, zuerst anerkannt und integriert werden, wie etwa der 2019 erschienene Essay der Schriftstellerin Ivona Brdjanovic in der WOZ verdeutlicht.

Der Grand Prix Literatur

Der Grand Prix Literatur würdigt mit 40’000 Franken eine Persönlichkeit, die sich auf besondere Weise für die Schweizer Literatur einsetzt. Das kann eine Person aus dem Bereich Vermittlung, dem Verlagswesen, der Produktion, der Kulturpolitik, dem Unterricht, der Forschung oder aber der Literaturkritik sein. Es ist nicht möglich, sich für den Grand Prix Literatur zu bewerben.[5]

Zu Beginn des Untersuchungszeitraums wurden vor allem Männer mit dem Grand Prix Literatur ausgezeichnet. Nachdem das Ungleichgewicht erkannt wurde, erhielten Frauen den Preis mehrmals in Folge. Insgesamt wurden vier Frauen und sechs Männer ausgezeichnet. Alle Preisträger*innen waren zum Zeitpunkt der Auszeichnung über 50, die Hälfte sogar über 80 Jahre alt. Im Gegensatz zum Schweizer Literaturpreis gibt es in Bezug auf das Alter der Preisträger*innen keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Das Verhältnis der Verteilung nach Sprachen entspricht in etwa dem Verhältnis des Schweizer Literaturpreises sowie der Eingaben insgesamt.

Spezialpreise: Vermittlung und Übersetzung

Mit dem Spezialpreis Übersetzung wird eine literarische Übersetzer*in prämiert, mit dem Spezialpreis Vermittlung ein besonderes Engagement zugunsten der Schweizer Literatur und deren Zugang zum Publikum. Auch hier ist es nicht möglich, sich zu bewerben.[6] Die Preise werden an Einzelpersonen sowie an Gruppen oder Institutionen vergeben.

Von den ausgezeichneten Einzelpersonen sind bis auf eine alle über 65 Jahre alt. In den ausgezeichneten Institutionen sind die Beteiligten jünger, da sie noch berufstätig sind. Bisher haben drei Männer und eine Frau einen Spezialpreis als Einzelperson erhalten. In den ausgezeichneten Institutionen sind teilweise beide Geschlechter vertreten. Im Bereich der Übersetzung fällt jedoch auf, dass diese vorwiegend aus Frauen bestehen. Folglich bedeutet das, dass Frauen sich die Preise häufiger teilen müssen.

Nach der Auszeichnung

Preise bedeuten nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch mehr Bekanntheit und Reichweite, höhere Verkaufszahlen und grössere Chancen, in andere Sprachen übersetzt zu werden. Tabea Steiner hat analysiert, dass knapp die Hälfte, der mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichneten Werke, in andere Landessprachen übersetzt wurden. Deutschsprachige Romane werden am häufigsten übersetzt. Lyrik und experimentelle Texte haben eine schwierigere Ausgangslage, was sprachimmanenten Gründen geschuldet sein kann.

In short: Fazit und Ausblick

Schweizer Literaturpreise gehen häufiger an Männer als an Frauen. Zudem zeichnen sie Männer häufiger im berufstätigen Alter aus. Das hat Konsequenzen: Frauen werden in der Literaturszene weniger wahrgenommen. Sie üben meist einen zweiten Beruf aus, um genügend Geld zu verdienen. Das Schreiben von Frauen wird nach wie vor an den Rand gedrängt, auch sinngemäss, wie Steiner betont: Frauen Schreiben in den Randzeiten, wenn sie jung sind und später wieder, wenn sie älter werden. Eine grosse Zeitspanne an Erfahrung dazwischen kommt ihnen abhanden. Und ihnen bleibt weniger Sichtbarkeit, weniger Öffentlichkeit. Nicht selten gehen die Preise mit Übersetzungen einher, die das Schaffen im Ausland bekannt machen.

Steiner schlägt einige Instrumente vor, die dabei behilflich sein können, die Auszeichnungen fairer zu verteilen. Die Preisvergaben sollten auf regelmässiger Basis eruiert werden: Wer erhält sie? Wie alt sind die Preisträger*innen? Handelt es sich um Einzelpersonen oder Gruppen und wie ist deren Zusammensetzung? Eine weitere Möglichkeit bieten Quoten. Diese müssen nicht jährlich angewendet werden, sondern können einen Fokus von beispielsweise fünf Jahren haben. Innerhalb dieser Zeitspanne müssten dann gleich viele Männer wie Frauen ausgezeichnet werden. Weiter gilt es zu erfassen, wie viele Männer beziehungsweise Frauen in Schweizer Verlagen publiziert werden. Auch hier wären längerfristige Quoten denkbar. Zudem sollten statistisch nicht nur Frauen und Männer, sondern auch non-binäre Menschen erfasst und bei Preisverleihungen stärker berücksichtigt werden. Die Zeiten sind vorbei, in denen wir behaupten können, dass zwei Geschlechtskategorien uns genug Einblick in geschlechtsbezogene Diskriminierungsstrukturen gewähren.

Sicher ist: Preise haben – im Gegensatz zu Rennpferden – auf verschiedenen Ebenen eine nachhaltige Wirkung. Die Schweizer Literaturpreise haben als staatliche Preise deswegen die Pflicht, das literarische Schaffen aller Geschlechter gleichermassen zu stützen.

Lea Dora Illmer studiert Geschlechterforschung, Philosophie und Literaturwissenschaften an der Universität Basel. Ihre Masterarbeit schreibt sie zur sogenannten Frauengesundheitsbewegung in der Schweiz. Daneben schreibt sie für die an.schläge und andere Magazine. Sie ist Mitbegründerin des Vereins FKK (Feministische Kulturkritik).


[1] Vgl. https://www.bak.admin.ch/bak/de/home/kulturschaffen/literatur/schweizer-literaturpreise.html

[2] Vgl. Gespräch mit Ruth Schweikert, November 2020. Ab Minute 01:01:20.

[3] Ebd., ab Minute 01:00:44.

[4] Ebd., ab Minute 01:02:37.

[5] Vgl. https://www.bak.admin.ch/bak/de/home/kulturschaffen/literatur/schweizer-literaturpreise.html

[6] Vgl. ebd.




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