Von Daria Wechsler. Dieser Text ist Teil des Schwerpunktes «Schreibweisen, Genres und die Verhältnisse der Geschlechter» von Art of Intervention.
Im Rahmen des Seminars «The Art of Intervention», in dem wir uns auch mit der écriture féminine auseinandergesetzt haben, bin ich auf die französische Schriftstellerin Hélène Cixous gestossen. Ihre Art des Schreibens faszinierte mich. Bereits nach einer halben Seite von «le rire de la méduse» (Das Lachen der Medusa) war ich in ihren Bann gezogen und hatte das Gefühl, mit meinem ganzen Körper in den Text zu tauchen. Hélène Cixous’ eigene Art des poetischen Schreibens erweckt den Eindruck, dass sie sich ebenfalls mit ihrem ganzen Körper in den Text begibt und ins Schreiben eintaucht.
Die Chance ein Gespräch zwischen ihr und Peter Engelmann sowie eine anschliessende offene Fragerunde mit ihr zu erleben, organisiert vom Passagen Verlag und der Universität Zürich, wollte ich mir daher nicht entgehen lassen. Als wichtige feministische Autorin und Mitbegründerin der écriture féminine spricht sie bei diesem Anlass davon, wie sie diese eher écriture féline (= katzenhaft) hätte nennen sollen – da wären weniger Fragen gekommen.
Aber was verbirgt sich denn eigentlich in Hélène Cixous’ Körperlichkeit des Schreibens und der écriture féminine? Wie ist diese als Intervention in vorherrschende Schreibweisen zu verstehen und welche Aktualität kann ihr heute noch zugesprochen werden?
«Es ist sehr körperlich […] Es ist eine Frage der Atmung. Manchmal habe ich das Gefühl schwimmen zu müssen. Manchmal habe ich auch das Gefühl vom Klettern»
Cixous 2020a: 10:54-11:21
Das Schreiben beginnt für Hélène Cixous immer mit einer körperlichen Empfindung, einem Bedürfnis, etwas auszudrücken. Auch wenn sie dies nicht immer einordnen kann. Zu Beginn, so beschreibt sie, war das herausfordernd, beinahe bedrohend. Sie spricht davon, wie das Schreiben sie ergreift und sie davon getragen wird mit einer Geschwindigkeit, die sich nur durch einen Stopp der Atmung verlangsamen lässt. Denn das Schreiben ist schnell und passiert mit dem ganzen Körper. Schreiben braucht Raum, es braucht Raum und Zeit. Im Prinzip braucht es den Raum der ganzen Welt sowie die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft (vgl. Cixous 2020b). Der Körper kann nicht ausserhalb der sprachlichen Strukturen gedacht werden und der Text nicht vom Körper losgelöst (vgl. Nünning 2013: 157). Diese Dichotomie der Trennung von Körper und Geist muss letztlich überwunden werden, so Cixous.
In ihrem eigenen Schreiben untersucht Hélène Cixous eine écriture féminine. Féminine bedeutet aber nicht, dass es um das Schreiben von Frauen an sich gehe, sondern steht für eine alternative Schreibweise. Cixous trennt Weiblichkeit und weibliches Schreiben folglich von einem biologischen und essentialistischen Verständnis von Geschlecht. Féminine ist eine effiziente Art, um von Texten mit gewissen Charakteristika zu sprechen (vgl. Cixous 2020a). Diese Merkmale sind Fluidität, Nichtlinearität und Vielfältigkeit, sowie die Betonung der Materialität der Sprache. So soll die phallozentrische Sprache[1] der patriarchalen Kultur dekonstruiert werden (vgl. Nünning 2013: 815). Der Ausschluss des Anderen, des Nicht-Logischen im patriarchalen System wird als Weibliches zusammengefasst. Mit einem femininen Schreiben soll dies aufgebrochen werden (vgl. Pritsch 2008: 180).
Für Hélène Cixous beinhaltet eine écriture féminine ein Schreiben mit dem Körper und vom Körper (vgl. Nünning 2013: 157). Bereits in ihrem Text «le rire de la méduse» («Das Lachen der Medusa») schreibt sie 1975:
«Und warum schreibst Du nicht? Schreib! Schrift ist für Dich, Du bist für Dich. Dein Körper ist Dein, nimm ihn.»
Es ist ein Versuch, die patriarchale Aneignung des weiblichen Körpers sowie der weiblichen Sexualität durch Sprache zu überwinden (vgl. Nünning 2013: 157). Die écriture féminine ist somit Teil einer feministischen Literaturkritik, die eine damit verbundene Schreibweise als Männlich kritisiert und sich auf die Suche macht nach einem alternativen (Weiblichen) Schreiben. Ein ‹Text der Weiblichkeit› lässt Sprache in Bewegung geraten und betont ihre phonetische Seite. Das heisst, dass ein ‹Weiblicher Text› für die Stimme geschaffen ist. Denn die Stimmhaftigkeit entsteht in einem Kampf mit der Sprache – eine Frau muss lebhaft Schreiben, gegen das Schriftbild ankämpfen, um sich von der hegemonialen Männlichkeit der Sprache loszureissen und Klischees zu entfliehen (vgl. Cixous 1980: 85f). Es gilt, diese übermächtige Männlichkeit aufzubrechen, die für lange Zeit die literarischen Erzählungen prägte. Alle anderen Sichtweisen gingen dabei verloren.
Da Sprache unser Weltbild prägt, so Cixous, muss Veränderung dort ansetzen. Mit dem Weiblichen, dem féminine, kann interveniert und sollen neue Erzählstrukturen geschaffen werden, die die Geschichte und den Alltag um-erzählen, damit die Machtgefälle (zwischen den Geschlechtern, zwischen Mehrheiten und Minderheiten et cetera) überwunden werden können. Mit der écriture féminine und dem nicht abschliessenden Schreibens des Körpers, wie Cixous es versteht, können die Herrschaft- und Knechtschaft-Verhältnisse (wie Hegel sie benennen würde) überwunden werden und einem nichthierarchischen Zusammentreffen der Menschen weichen (vgl. Nünning 2013: 194).

Hélène Cixous hat massgeblich dazu beigetragen, dass der Zusammenhang zwischen Geschlechterdifferenzen und der Ethik des Schreibens, das ein Schreiben als mögliche Begegnung mit dem Anderen rahmt, in die feministische Literaturtheorie aufgenommen wurde. Trotzdem erfahren ihre Texte und die damit verbundene écriture féminine Kritik. Kritisiert werden die Festschreibung des Dualismus männlich-weiblich sowie die Verfestigung des Ausdrucks der Weiblichkeit als Metapher (vgl. Nünning 2013: 104). Dazu kommt der Vorwurf, Cixous würde der Sprache und dem Schreiben für die Überwindung des Patriarchats zu viel Bedeutung beimessen (ebd.: 158).
Doch wie fest steckt Hélène Cixous denn im binären Denken der Geschlechter? Und verfestigt sie dieses wirklich in ihren Texten? – Ihr kommt es eben genau nicht auf Weiblich oder Männlich als biologisch begründete Kategorien von Geschlecht an, sondern auf die Anerkennung von Differenz. In «Das Lachen der Medusa» schreibt sie, dass das Einander-Gegenüberstellen der Geschlechter nur «eine historisch-kulturell bedingte Schranke ist» (Postl et al. 2013: 48).
Cixous denkt in Kategorien von Übergängen. Dies findet sich in ihrer Sprache und ihrem Schreiben wieder, die fliessend und rhythmisch sind: Vom einen ins nächste und wieder zurück, ein Spiel mit der Sprache, ein Spiel mit Verbildlichungen und Symbolen. Ein gleichzeitiges in Betracht ziehen von dem, was passiert, und allem, was sich assoziativ damit verbindet. Gerade in der Frage der Bedeutung von Geschlecht für die Literatur ist eine ständige Beweglichkeit wichtig. Es gibt zahlreiche Existenzweisen (vgl. Maihofer 1995), die alle möglich sind und nicht ausgeschlossen werden dürfen (vgl. Cixous 2020a). So befindet sich Cixous auf dem Weg in ein queeres Denken, denn queer ist eine kritische Denkbewegung, die Kritik an der heteronormativen, hegemonialen Geschlechterordnung ausübt und etwas in Bewegung versetzen möchte. Bei einem queer writing sollen Machtverhältnisse entlarvt und durchque(e)rt werden. Wichtig ist es dabei, auch Transformationsprozesse miteinzubinden, etwas, das auch für Cixous von Bedeutung ist. Sie steht für eine Fluidität im Schreiben:
«Genau deshalb ist ja Proust interessant, denn wenn du glaubst, diese oder jene Figur sei eine Frau, sagt er dir sofort nein, das ist eine Alge. Nein es ist keine Alge, es ist eine Qualle – das ist mir wichtig»
Cixous 2020a: 41:31-41:45
Auch die Herausgeberinnen der deutschen Übersetzung von «Das Lachen der Medusa» betonen, dass Cixous ein Verständnis von «Frau» hat, dass sich gut mit Ansätzen der Queer Theory verbinden lasse. Weder das Konzept des Weiblichen noch der écriture féminine seien in einem biologischen Sinne zu verstehen, sondern vermittelt durch die Sprache und das Schreiben. Cixous meine nicht «Frauen» als einen bestimmten Repräsentationstypus in der patriarchalen Ordnung, sondern sie meint diejenigen, die es im Symbolischen nicht gibt und die noch keine Schrift haben. Das «Andere», das Nicht-Erfasste, das anhin im Patriarchat Nicht-Sprechbare, muss eine Sprache und Schrift finden. Es geht darum, neue Formen auszumachen, um vielfältige, mehrdimensionale Repräsentationsweisen zu verwirklichen – und dieses Anliegen liegt in gewisser Weise auch der Queer Theory zugrunde (vgl. Passagen Verlag).
So komme ich nun nach meiner Beschäftigung mit dieser Autorin und ihren Texten zum Schluss: Ganz im Sinne einer Dekonstruktion übt Cixous in ihrem Schreiben und damit auch in der Erforschung einer écriture féminine Kritik an einer hegemonialen Geschlechterordnung. Es geht ihr nicht darum, die Geschlechter binär in biologisch männlich und weiblich aufzuteilen und damit stillzustellen. Sie denkt grundlegender und weiter. Die fixierten, symbolischen Strukturen der binären Sprache (wie es bereits Jacques Lacan betonte) müssen aufgebrochen werden, um eine Veränderung der herrschenden patriarchalen Machtverhältnisse zu ermöglichen. Dabei sind weder ihr Denken noch ihr Schreiben abschliessend. Die Beweglichkeit bleibt ihr zentrales Instrument, Formen können sich ändern.
Dieser dynamische Ansatz des Schreibens, der den ganzen Körper einbezieht und das eigene Schreiben immer in das Verhältnis zum Anderen stellt, kann als eine Intervention in bestehende Literatur verstanden werden. Durch Unabgeschlossenheit und Beweglichkeit kommt der écriture féminine auch heute noch ein Potenzial zu: Vielleicht können wir mit diesen Texten und Cixous’ Verständnis von Sprache lernen, mehr in Übergängen zu denken und mit Vieldeutigkeit umzugehen und uns letztlich vom kategorischen Denken losreissen, um erstarrte Machtstrukturen zu überwinden.
[1] Phallus = erigierter Penis / als ‹männlich› markiertes Geschlechtsorgan. In der phallozentrischen / phallogozentrischen (also der männlich dominierten) Sprache werden Weiblichkeitsentwürfe aus der Perspektive des Mannes formuliert und betrachtet.
Literatur
Cixous, Hélène (1980): Weiblichkeit in der Schrift. Berlin: Merve Verlag.
Nünning, Ansgar (2013): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie; Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Stuttgart: J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung & Carl Ernst Poeschel GmbH.
Maihofer, Andrea (1995): Geschlecht als Existenzweise: Macht, Moral, Recht und Geschlechterdifferenz. Frankfurt aM: Ulrike Helmer.
Passagen Verlag (unbekannt): [Interview] Den Körper schreiben. Ein Interview mit Esther Hutfless, Gertrude Postl und Elisabeth Schäfer, zul. abgerufen am 24.01.2021.
Postl, Gertrud / Schäfer, Elisabeth / Hutfless, Esther / Cixous, Hélène (2013): Hélène Cixous: Das Lachen der Medusa: zusammen mit aktuellen Beiträgen. Wien: Passagen Verlag.
Pritsch, Sylvia (2008): Rhetorik des Subjekts. Zur textuellen Konstruktion des Subjekts in feministischen und anderen postmodernen Diskursen. Bielefeld: transcript.
Gespräche mit Hélène Cixous
Passagen Verlag (2020): Passagen Streams #4 Über das Schreiben, 17.11.2020, zul. abgerufen am 24.01.2021 (im Text markiert als Cixous 2020a).
Passagen Verlag (2020): Live-Diskussion mit Hélène Cixous, 24.11.2020, zul. abgerufen am 24.01.2021 (im Text markiert als Cixous 2020b).
Bild: Gorgone, zur Verfügung gestellt von Christian Hansen via Wikimedia Commons.