Von Hanna Schweighofer
Ich empfinde viel Wut, wenn ich an Abtreibungsgegner*innen denke. Glücklicherweise werden solche Bewegungen stets kritisiert, so auch an der Veranstaltung «Du sollst Mutter sein. Zur Stigmatisierung der Abtreibung in der Schweiz» im Oktober 2024, welche im Rahmen der Ausstellung von Paula Rego im Kunstmuseum Basel organisiert wurde. Auch Rego bekämpfte, etwa in ihrer «Abortion Series», die patriarchale Gewalt und hierarchische Zweigeschlechterordnung, die sich noch heute in der Stigmatisierung von Abtreibung niederschlagen. Wie Franziska Schutzbach (2024, S. 170) treffend schrieb, sind Regos Gemälde «ein Aufstand gegen das anhaltende Leid, die Beschämung und die Gefährdung der Frauen, gegen die Herrschaft über ihre Körper».
Wer abtreibt hat nicht versagt
Franziska Schutzbach, Autorin und Soziologin, eröffnete den Abend mit einem Input, welcher die Stigmatisierung von Abtreibungen aus historischer und politischer Perspektive beleuchtete. Beispielsweise ging sie auf Anti-Abtreibungsbewegungen ein, die behaupten, dass alle Menschen, die abgetrieben haben, am Post-Abortion-Syndrom leiden würden. Natürlich ist die individuelle Erfahrung von Abtreibung ein sehr sensibles Thema, dennoch ist es überholt, verallgemeinernd und stigmatisierend zu behaupten, alle Personen würden unter ihrer Entscheidung für immer psychisch leiden (Schutzbach 2024, S. 168). Diese antifeministischen und demokratiefeindlichen Bewegungen möchten Rechte einschränken und veraltete Verfügungsansprüche gegenüber Weiblichkeit, Körper und Care-Arbeit zementieren, die durch feministische Aktivist*innen hart erkämpft und abgeschüttelt wurden.
Dieser Logik zufolge liegt das, was nach dem Geschlechtsverkehr geschieht, rein in der Verantwortung von Frauen.
Die Anti-Abtreibungsbewegungen sind Teil einer patriarchalen Gesellschaftsordnung, die den weiblichen Körper mit den Techniken der Bio-Macht (nach Michel Foucault, 1980) regulieren und kontrollieren möchte: Individuen werden dazu gedrängt, sich selbst zu disziplinieren, den eigenen Körper ‚gesund‘ zu halten und den sozialstaatlichen Apparat nicht zu stark zu beanspruchen. (Das eigene Wohlbefinden liegt, wie wir von bürgerlicher Seite und Versicherungen immer wieder erfahren, in der sogenannten «Eigenverantwortung»). Dieser Logik zufolge liegt das, was nach dem Geschlechtsverkehr geschieht, rein in der Verantwortung von Frauen: «Wenn eine Frau abtreibt, hat sie sich unverantwortlich verhalten. Wer abtreibt, hat versagt» (Schutzbach 2024, S. 168).
Im Gleichschritt mit der Normalisierung weiblicher Verantwortung wird der Frauenkörper auf Mutterschaft reduziert. Auch diese Prämisse dreht Paula Rego in ihrer «Abortion Series» auf den Kopf: Die intimen Gemälde der Frauen spiegeln zwar Schmerz wider, jedoch bereut augenscheinlich keine der Frauen die Abtreibung – sie werden als autonome Subjekte dargestellt, die sich eben nicht auf Mutterschaft festlegen lassen. All dies schwingt auch heute, über 20 Jahre nach der Einführung der Fristenregelung in der Schweiz, in Diskursen rund um Abtreibung mit[1].

Körperliche Erfahrungen, die verbinden
Nach dem Input performten Anja Schweitzer und Stefanie Mrachacz eine szenische Lesung, inszeniert von Hannah Pfurtscheller, aus Annie Ernaux› autobiografischen Roman «Das Ereignis». Ernaux beschreibt darin ihre eigene Abtreibung in den 1960er-Jahren in Frankreich – eine Zeit, in der der Eingriff illegal war:
«Ich sah eine kleine Babypuppe an einer rötlichen Schnur aus meiner Scheide hängen. […] Ich nahm es in eine Hand – es war seltsam schwer – und überquerte den Flur, indem ich es zwischen meinen Schenkeln hielt. Ich war ein Tier» (Ernaux 2021, S. 80–81).
Schon bei der ersten Beschreibung eines mit Blut und Schmerz verbundenen Moments spürte ich die Reaktion des Publikums und von mir selbst: die Enge der Bestuhlung und die graue, kühle Ästhetik des Raumes liessen kaum Möglichkeit, dem Aufgeführten zu entkommen. Bei mir löste die Performance eine im Hals steckengebliebene Übelkeit sowie als unendlich schwer empfundene Glieder aus. Die Intensität des Themas, gepaart mit der unverblümten Direktheit von Ernaux’ Schreibstil sowie dem eindrucksvollen Schauspiel, kulminierte darin, dass eine Person im Publikum kurz das Bewusstsein verlor. Es wurde eine Pause eingelegt.
Zum ersten Mal fühlte ich mich als Glied in einer Kette von Frauen, die die Generationen miteinander verbindet.
Annie Ernaux
Diese Geschehnisse in Kombination mit der Stigmatisierung und Tabuisierung des Themas liessen mich über die körperlichen Dimensionen des Erfahrens/Erlebens von Kunst, aber auch von Abtreibung nachdenken: Obwohl die Erfahrung von Ernaux über 50 Jahre zurückliegt, trifft ihr Bericht darüber noch heute Menschen so sehr, dass (neue) körperliche Erfahrungen aufgrund des Geschehenen gemacht werden. Ernaux nannte sich eine «Ethnologin ihrer selbst» (Kopp 2022), und beschrieb ihr «Ereignis» mit einer Ehrlichkeit, die in gleichen Teilen notwendig wie abstossend ist. Dass sich dies so auf das heutige Publikum überträgt, ist ein Beweis ihrer Schaffenskraft und eine gemeinsame sowie gleichzeitig individuelle Erfahrung, wie ich sie nur selten erlebt habe: «Zum ersten Mal fühlte ich mich als Glied in einer Kette von Frauen, die die Generationen miteinander verbindet» (Ernaux 2021, S. 93).

Von Schwangerschaft und Würde
Das abschliessende Podiumsgespräch zwischen Franziska Schutzbach und Pascale Schreibmüller, Hebamme, Theoretiker*in, Künstler*in, von Andrea Zimmermann moderiert, ging auf die zunehmende, immer frühere Subjektivierung des fötalen Lebens ein, unter anderem auch durch neue Technologien wie der Pränataldiagnostik. Der schwangeren Person wird dahingegen der Subjektstatus abgesprochen.Diese Fokussierung auf den Fötus führt unter anderem dazu, dass der schwangere Körper zu einer „Hülle“ degradiert wird, die gesellschaftliche und moralische Erwartungen zu erfüllen hat. Selbst die Sonografie dient mit der Verschiebung vom Körper auf den Bildschirm wortwörtlich als eine Projektionsfläche für das Leben, dass mensch sich für den Fötus bzw. das Kind vorstellt. Ausserdem werden so vermehrt Ansprüche von Aussenstehenden im Namen des Fötus (!) gestellt und legitimiert. Die neuen technologischen Möglichkeiten haben also die medizinische Überwachung des Fötus verstärkt – und damit auch dessen cis- und heteronormative Kodierung als «Leben» und «Geschlecht».
Die Veränderung der Betrachtung des weiblichen Körpers aus einer biopolitischen Sicht gilt jedoch nicht für alle – denn das «Ziel Muttersein» steht nicht allen gleich zu. Schreibmüller, welche*r aus der eigenen Erfahrung als praktizierende Hebamme spricht, benennt diesen Umstand und erklärt, dass beispielsweise nicht-weisse Frauen, geflüchtete Frauen und Personen mit Behinderung, die schwanger sind oder werden wollen, nicht im selben Masse wahr- und ernstgenommen werden. Schreibmüller fragt entsprechend prägnant: Gibt es ein Recht auf (würdevolle) Schwangerschaft?
Gibt es ein Recht auf (würdevolle) Schwangerschaft?
Wenn das Recht auf Abtreibung ernstgenommen wird, stellt sich zwangsläufig auch die Frage nach den Bedingungen, die das Austragen einer Schwangerschaft möglich bzw. erstrebenswert machen. Die Forderung muss deshalb weg vom westlich geprägten Fokus auf Rechte und hin zu einer Logik der Reproductive Justice (auf Deutsch ‘Reproduktive Gerechtigkeit’): etwa in Form von distanznahen, niederschwellig zugänglichen Praxen, welche Aufklärungsarbeit leisten und kostengünstige Abtreibungen anbieten, weniger Top-Down Beratungsgespräche, mehr Körperzuwendung und Entstigmatisierung des weiblichen Körpers.
An dieser Veranstaltung wurde durch das Verbinden von Wissenschaft, Kunst und Aktivismus aufgezeigt, wie tief die Stigmatisierung von Abtreibungen in unserer Gesellschaft noch immer verwurzelt ist. Die Herausforderungen sind vielfältig und -zählig, beispielsweise sollen zum einen Abtreibungen enttabuisiert werden, zum anderen sollen die hierarchischen Machtstrukturen hinterfragt werden, die den Zugang zu guter medizinischer Betreuung, solidarischer Begleitung und reproduktiver Gerechtigkeit für alle Menschen, insbesondere marginalisierte Gruppen, erschweren. Und nicht zuletzt müssen Räume geschaffen werden, die das Teilen der Erfahrung von Abtreibung, Kriminalisierung und Stigmatisierung zulassen. Dies soll, so anspruchsvoll es leider auch sein mag, so gestaltet werden, dass diese Erfahrungen gehört werden können und zu einer kollektiven Verantwortungsübernahme beitragen. Kunst, wie sie von Paula Rego und Annie Ernaux geschaffen wird, hat die Macht, uns zu bewegen, Perspektiven zu verändern und uns zu ermutigen, für eine gerechtere Zukunft zu kämpfen.

Fussnoten
[1] Die Fristenregelung wurde in der Schweiz 2002 eingeführt, zuvor war es über das Strafgesetz kriminalisiert (Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement 2002).
Literaturverzeichnis
Ernaux, Annie (1990): Das Ereignis (Auszug), in: E. Reifert (Hrsg., 2024), Paula Rego: Machtspiele. München: Hirmer Verlag, S. 174–186.
Ernaux, Annie (2021). Das Ereignis. Berlin: Suhrkamp Verlag.
Foucault, Michel (1980): The History of Sexuality. Vol 1. New York: Vintage, S. 3–35.
Kopp, Hanna (2022, 11. Oktober): Eine allumfassende menschliche Erfahrung. Abgerufen am 9. Dezember 2024, von kritisch-lesen.de.
Rego, Paula (1998): Abortion Series, in: E. Reifert (Hrsg., 2024), Paula Rego: Machtspiele. München: Hirmer Verlag, S. 171–173.
Schutzbach, Franziska (2024): Auflehnung, in: E. Reifert (Hrsg., 2024), Paula Rego: Machtspiele. München: Hirmer Verlag, S. 167–170.
Beitragsbild: Franziska Schutzbach während ihrem Input. art of intervention: Du sollst Mutter sein, Kunstmuseum Basel | Neubau, 09.10.2024, Foto: ©Ronja Burkard.