Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist ein strukturelles Element unserer derzeitigen Gesellschaftsordnung mit ihren cis-heteropatriarchal geprägten Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen. Der Europäische Rat definiert geschlechtsspezifische Gewalt als «any type of harm that is perpetrated against a person or group of people because of their factual or perceived sex, gender, sexual orientation and/or gender identity» (Europäischer Rat, Pandea et al., Gender Matters, 2. Edition, 2019, S. 18).
Diese gewaltvollen Machtverhältnisse durchziehen private und öffentliche Bereiche, Familien, Betriebe und Institutionen. Hochschulen waren zu lange nicht im Blick, wenn Fragen nach strukturellen Ursachen von sexualisierter Gewalt diskutiert wurden. Trotz ausgeprägter Abhängigkeitsverhältnisse, einer in vielen Bereichen sichtbaren Dominanz von Männlichkeit und der besonderen Prekarität und damit Vulnerabilität des wissenschaftlichen Nachwuchses wurden Fälle von geschlechtsbasierter Gewalt zu lange als Einzelfälle diskutiert. Ein grundlegender Kulturwandel der Institutionen hin zu weniger Diskriminierung und mehr Geschlechtergerechtigkeit wurde bisher als nicht notwendig erachtet.
Im Kontext der weltweiten #MeToo-Bewegung wurde jedoch endlich mehr Forschung möglich, so dass nicht zuletzt die aktuelle europaweit angelegte UniSAFE-Studie die hohe Zahl der Betroffenen sichtbar machen konnte. Allerdings ohne die Beteiligung der Schweiz. Hier fehlen nach wie vor umfassende und aussagekräftige Daten.
Angesichts der erschreckenden Zahlen von UniSAFE, die nicht nur offenlegen, dass 62% der über 42.000 Teilnehmenden bereits von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen waren, sondern auch zeigen, dass nur 13% dieser Fälle in irgendeiner Form gemeldet wurden, eine dringend benötigte Publikation.
Mit dem Sammelband «#Me Too in Science» haben die Herausgeberinnen Beate von Miquel, Claudia Mahs, Antje Langer, Brigitt Riegraf, Katja Sabisch und Irmgard Pilgrim nun dieses wichtige und aktuelle Thema aufgegriffen. Der Band geht auf eine zweiteilige Tagung an der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Paderborn zurück. Beleuchtet werden nicht nur die historischen Entwicklungen der Debatte und ihre Auslassungen, sondern auch Forschungsstand, juristische Diskussionen sowie Erfahrungen aus der praktischen Arbeit. Somit gehen disziplinenübergreifende und theoretische Aspekte zur gesamten Hochschule Hand in Hand mit eher anwendungsorientierten Beispielen, die einmal mehr deutlich machen, dass eine kontextspezifische und differenzierte Auseinandersetzung notwendig ist.
Angesichts der erschreckenden Zahlen von UniSAFE, die nicht nur offenlegen, dass 62% der über 42.000 Teilnehmenden bereits von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen waren, sondern auch zeigen, dass nur 13% dieser Fälle in irgendeiner Form gemeldet wurden, eine dringend benötigte Publikation. Denn mit dem Sichtbarmachen von sexualisierter und geschlechtsbasierter Gewalt als strukturellem Phänomen wird hoffentlich weiteren Entscheidungsträger*innen deutlich, dass wir es eben nicht mit Einzelfällen zu tun haben und es dringend weitere strukturelle Massnahmen braucht. Und hoffentlich stellen sich Betroffene weniger die Frage, ob das Erlebte schlimm genug war, um es zu melden, und können sich etwas sicherer sein, dass ein solcher Schritt Konsequenzen für die Tatpersonen haben wird, ohne dass sie um die eigene akademische Existenz fürchten müssen.
Literatur
von Miquel, Beate, Claudia Mahs, Antje Langer, Brigitt Riegraf, Katja Sabisch und Irmgard Pilgrim (Hrsg.): #Me Too in Science, erschienen in der Reihe «Geschlecht und Gesellschaft» (Bd. 84), Springer Verlag: Wiesbaden, 2025.
Weiterführendes
Beaufaÿs, Sandra und Ursula Müller: «#Me too in Science revisited – Bekämpfung sexualisierter Gewalt an Hochschulen». In: Gender Blog, 29.07.2025.
Zimmermann, Andrea: «Statement zu sexualisierter Gewalt an Hochschulen». In: Art of Intervention, 08.12.2023.
Beitragsbild: Cover des neuen Buches #Me Too in Science.