Von Christina Zinsstag. Ein Rückblick auf die Veranstaltung «Gegen Frauenhass. Christina Clemm, Miriam Suter & Natalia Widla» im Literaturhaus Basel.

Inhaltlicher Hinweis: In diesem Beitrag geht es um sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt. Weiterführende Ressourcen werden am Ende dieses Textes aufgeführt.



«Vom Sturz des Patriarchats würden wir deshalb alle profitieren, weil das Patriarchat die Quelle von Gewalt ist. Einer Gewalt, die in der Verrohung von Jungs und Männern und der Beraubung von Kernaspekten ihrer Menschlichkeit ihren Ursprung nimmt.»
(Emilia Roig, «why we matter», 2021, S. 64)

Am Vorabend des 8. März, dem internationalen Tag der Frau, heute auch bekannt als internationaler feministischer Kampftag, findet im Literaturhaus Basel ein Gespräch zwischen Christina Clemm, Autorin des Buches Gegen Frauenhass (2023), und Andrea Zimmermann von art of intervention statt, gefolgt von einer Podiumsdiskussion mit Natalia Widla und Miriam Suter, Autorinnen des Buches Hast du Nein gesagt? (2023).

Die Veranstaltung dreht sich an diesem Abend, wie die Titel der Bücher bereits vermuten lassen, um sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt. Christina Clemm ist Rechtsanwältin, die Betroffene von sexualisierter Gewalt und Hate Crimes in Deutschland schon seit vielen Jahren vor Gericht vertritt. Gegen Frauenhass ist eines von zwei Büchern, in welchem sie ihre beruflichen Erfahrungen im Umgang mit Opfern von vornehmlich sogenannter ‹häuslicher› Gewalt reflektiert. In ihrem ersten Buch, AktenEinsicht (2020) widmete sie sich vor allem Geschichten von Frauen, die körperlicher und sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren. Es geht zudem um die Schwächen der Justiz, um die Potenzierung von Schutzlosigkeit durch die Intersektion unterschiedlicher Diskriminierungsstrukturen, wie etwa Armut, Rassismus und Transphobie, sowie um Prozesse der Selbstermächtigung im Nachgang traumatischer Erfahrungen.

Mit ihrem zweiten Buch habe Clemm, so die Autorin selbst, nun tiefer gehen und die Normalisierung von patriarchalem Hass aufzeigen wollen. Sie wolle aufzeigen, wie alltäglich dieser Hass sei, und der Frage nachgehen, weshalb sich trotz starker feministischer Bewegungen, wenig verändert habe. Ursprünglich wollte Clemm das Buch «Gegen patriarchalen Hass» betiteln, doch der Verlag drängte auf den Titel «Gegen Frauenhass». Für Clemm ist der Begriff des Patriarchats allerdings zentral dafür, wie ‹Täter› und ‹Opfer› in Erscheinung treten, wie in diesem Beitrag ausgeführt werden soll.

Natalia Widla und Miriam Suter sind beide Journalistinnen, die gemeinsam das Buch Hast du Nein gesagt? Vom Umgang mit sexualisierter Gewalt publizierten und adressieren dabei den Schweizer Kontext. Das Buch umfasst Erfahrungsberichte von Betroffenen sowie Hintergrundrecherchen zum Vorgehen von Polizei, Justiz und Beratungsstellen. Zudem führen sie Interviews mit bekannten Politiker*innen zur Thematik. Damit umfasst das Buch eine Vielzahl an Perspektiven, vertieft relevante Konzepte und geht auch der Frage nach, welche Veränderungen es in Institutionen und im Strafrecht braucht. Die beiden und ihre Arbeit stehen am Abend vom 7. März etwas weniger im Fokus als Clemm, da sie für den zweiten Teil des Abends als Gesprächspartner*innen geladen sind, im Vorfeld aber nicht ihr Buch vorstellen. Ein Aspekt, der mich im Nachhinein etwas schade dünkt. Umso froher bin ich, dass sie im Gespräch einige für die Schweiz spezifische Aspekte benennen können.

Was genau umfasst also das Phänomen ‹patriarchaler Hass›? Es geht dabei um Hass gegen Frauen, sowie gegen trans und nonbinäre Menschen. Es geht um die systematische Abwertung von allem, das als weiblich codifiziert, zugeschrieben, identifiziert wird. Es geht um die Bestrafung und Herabsetzung von Verhalten, dass nicht konform ist mit einem binären, heterosexuellen und cis-normativen Verständnis von Sexualität, Geschlecht und zwischenmenschlichen Beziehungen. Damit betrifft patriarchaler Hass im Grunde genommen alle Menschen, inklusive cis Männer. Dies ist ein wichtiger Punkt, der allerdings nicht davon ablenken soll, dass es oft Frauen, trans und nonbinäre Menschen sind, die von cis Männern Gewalt bis hin zum Mord erfahren. Genauer lässt sich dies bisher nicht differenzieren, da trans und nonbinäre Menschen bisher statistisch nicht spezifisch erfasst werden.

Frauenhass, ein Begriff der nach Clemm und auch in diesem Text als Synonym für patriarchalen Hass verstanden wird, ist systematisch und strukturell. Es trifft nicht «nur ein paar wenige». Vielmehr handelt es sich dabei um eine emotionale Gewohnheit, eine Geisteshaltung, die praktisch überall auf der Welt nach wie vor weit verbreitet ist. Patriarchaler Hass ist so allgegenwärtig, dass er oft kaum bemerkt und als solcher benannt wird.


Femizid oder: Die tödlichen Folgen von Frauenhass

Wir alle kennen von sexualisierter Gewalt betroffene Frauen, trans und nonbinäre Personen, aber kaum eine*r kennt einen Täter.
(Eine Teilnehmende der Podiumsdiskussion, notiert nach dem Gedächtnis der Autorin)

Clemms Buch beginnt mit einem Fallbeispiel, von dem sie auch während der Podiumsdiskussion berichtet. Sie erzählt von Lisa, Mutter von drei Kindern, die von ihrem Partner ermordet wurde. Hier kann dieses Beispiel nur stark verkürzt wiedergegeben werden, ich empfehle daher an dieser Stelle, (hoffentlich überflüssigerweise) die Lektüre der Bücher von Clemm sowie von Widla und Suter, da sie voller Hinweise stecken, wie Anzeichen von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt erkannt werden können und wie sie rationalisiert und unsichtbar gemacht werden.

Lisas Biografie enthält viele für weiblich sozialisierte Menschen beispielhafte Erfahrungen. Als Kind das Gefühl, von ihrem Vater, der sie «seine Prinzessin» nennt, beschützt werden zu müssen. Ungewollte Küsse von einem Onkel/älteren Familienmitglied. Als Teenie, die Angst, nachts allein unterwegs zu sein. Lehrpersonen, die sexistische Aussagen machen. Begrapscht werden im öffentlichen Raum. Blicke, Bemerkungen und Witze, die ihr Frau-sein hervorheben und zugleich herabsetzen. Während des Studiums lernt Lisa Mirko kennen. Die Beziehung zwischen den beiden verläuft zunächst harmonisch. Mit der Zeit verändert sich dies jedoch. Als Lisa eine Promotionsstelle angeboten wird, greift Mirko sie zum ersten Mal an, beschimpft, schubst und bespuckt sie. Danach entschuldigt er sich und bringt ihr rote Rosen. «Täter folgen hier einem scheinbar unausgesprochenen Muster», kommentiert Clemm während der Veranstaltung, «Rote Rosen oder Merci Schoggi sind meiner Erfahrung nach beliebte Geschenke nach einem Gewaltvorfall».

Das Fallbeispiel von Lisa dient Clemm als roter Faden im Buch, entlang dessen verschiedene Aspekte von sexualisierter Gewalt in Beziehungen ausgeführt werden: die zunehmende Isolierung vom sozialen Umfeld, die finanzielle Abhängigkeit, der psychische Terror und die Suche der Schuld bei sich selbst, das eigene Zuhause als Gefahrenzone, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung, der Wechsel zwischen grosser Grausamkeit und grosser Zuwendung.

Clemm erläutert den Begriff des Femizids, der für Gewalt an Frauen aufgrund ihres Geschlechts steht. Femizide, so erklärt sie im Gespräch, können strukturell von anderen Tötungsdelikten unterschieden werden. «Die Tötung ist aus Verachtung und Frauenhass heraus geschehen und aus dem Motiv verübt worden, dass das Opfer sich der männlichen Kontrolle und Dominanz entzogen und nicht mehr der patriarchalen Rollenvorstellung von einer Frau entsprochen hat», schreibt Clemm (2023, S. 41f). Darüber hinaus werden Femizide, wie im Folgenden erläutert werden soll, auch anders wahrgenommen und behandelt.

Christina Clemm (links) bespricht ihr Buch «Gegen Frauenhass» mit Andrea Zimmermann (rechts). Foto: Die Autorin.


Voreingenommenheit in der Justiz oder: Mord aus «Liebe»

Nie wird Männern weniger geglaubt, als wenn sie sagen, ‹Ich töte meine Frau!›
(Eine Teilnehmende der Podiumsdiskussion, notiert nach dem Gedächtnis der Autorin)

Weder das deutsche noch das schweizerische Strafrecht kennen den Straftatbestand des Femizids. Erst ab kommendem Juni 2024 gilt auch in der Schweiz zudem, so ergänzen Widla und Suter, das sogenannte «Nein heisst Nein»-Prinzip. Stand heute ist körperliche Gegenwehr nach wie vor notwendig, um den Straftatbestand der Vergewaltigung geltend zu machen. In Deutschland wurde «Nein heisst Nein» 2016 eingeführt. Die Tatsache, wie über sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt gesprochen oder vielmehr nicht gesprochen wird, veranschaulicht das Problem der Voreingenommenheit in der Justiz besonders gut.

In einem Absatz, den Clemm an diesem Abend vorliest, steht:

Oft wird in den Gerichtssälen darauf beharrt, dass Taten, die ich als misogyn bezeichne, nicht frauenverachtend seien. Ein Klassiker: ‹Das ist doch kein Frauenhass, im Gegenteil, die Tat geschah aus Liebe!› Wo fängt man da an?» (Clemm 2023, S. 60).

Dieser Umstand ist relevant, so fährt sie fort, weil die Frage der Vorsätzlichkeit einer Tat für die Rechtsprechung eine zentrale Rolle spielt: Wusste die Tatperson, dass seine Handlung tödliche Konsequenzen haben kann und hat sie dies beabsichtigt? In Bezug auf Femizide wird ein solcher Vorsatz von der Rechtsprechung selten festgestellt, was eine Abmilderung der Strafe zur Folge hat. Dies war beispielsweise für Lisas Mörder der Fall: «Mirko wird wegen Totschlags im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. (…)» (Clemm 2023, S. 35) Da er sich zudem im Gefängnis gut aufführt, wird er zweieinhalb Jahre nach der Tat auf Bewährung entlassen.

Oft wird darauf beharrt, dass der «Tötungserfolg» trotz schwerer Misshandlung nicht beabsichtigt gewesen sei. Die Argumentationslogik lautet dann etwa: Der Täter habe das Opfer ja nicht zum ersten Mal angegriffen – weshalb also soll in ‹diesem einen Fall› der Tod beabsichtigt gewesen sein? «Wenn eine Person nicht mehrmals sterben kann», so geht mir daraufhin durch den Kopf, «wie kann jemals im Falle von sich immer wiederholender Gewalt die beständige Bedrohung des Lebens und der Gesundheit geltend gemacht werden?»

Um die Schwere einer Tat in der Rechtsprechung zu bewerten, werden zum Teil Begriffe bemüht, die in ihrer Schwammigkeit viel Variabilität zulassen. Dazu gehören Konzepte wie «allgemeine Sittlichkeit» und ob eine Handlung «menschlich verständlich» sei. An der Anwendung dieser Begriffe kann besonders gut nachvollzogen werden, wie sich gesellschaftliche Machtstrukturen in der Justiz abbilden. Oft stecken hinter diesen Konzepten männliche Perspektiven und Interessen, die dadurch als «allgemein» normalisiert/normiert werden. Dazu gehört z.B. Urteile, die das Interesse des Vaters, Zugang zu den eigenen Kindern zu haben, wichtiger nehmen als das Sicherheitsbedürfnis seiner überlebenden Partnerin. Ein Hebel, so Clemm, wäre es, «Frauenhass» als «niederen Beweggrund» in den Blick zu nehmen, wie dies beispielsweise bei Rassismus oder Homophobie bereits der Fall ist. Dazu müsste dieser natürlich zunächst (an-)erkannt werden.

Podiumsdiskussion im Literaturhaus Basel, v.l.n.r.: Miriam Suter, Christina Clemm, Andrea Zimmermann und Natalia Widla. Foto: Die Autorin.


«Es ist ein Männerproblem» oder: Patriarchat und Kapitalismus

«Die Körper der Frauen gehören den Männern nur dann, wenn die Körper der Männer in Friedenszeiten der Produktion und in Kriegszeiten dem Staat gehören. Die Beschlagnahmung der Frauenkörper findet gleichzeitig mit der Beschlagnahmung der Männerkörper statt.»
(Virginie Despentes, «King Kong Theorie», 2018, S. 28f)

Frauenhass, so sind sich Clemm, Widla und Suter einig, ist in erster Linie ein Problem von Männern. Männer profitieren nicht nur strukturell von patriarchalem Hass, sie werden gesellschaftlich dazu angehalten. Dies, indem sie schon ab dem Kleinkindalter lernen, alles, was ihnen als potenziell ‹weibliche› Eigenschaft zugeschrieben werden könnte, zu fürchten und abzulehnen. Anders als bei jeder anderen Geschlechtsidentität scheint nach wie vor die unausgesprochene Regel zu gelten, dass Männer ihr Mannsein zu beweisen haben. Dazu gehört unter anderem auch die besonders schädliche Unterstellung, dass Männer «ihre Frauen» zu kontrollieren haben und dass es besonders schamhaft ist, wenn ein Mann von seiner Partnerin verlassen wird.

Wie genau mit Tatpersonen umgegangen wird, ist Gegenstand eines Buches, an welchem Widla und Suter zur Zeit gemeinsam schreiben. Das Buch widme sich der Frage, wie Prävention und Täterarbeit[1] aussehe und was konkret getan werde, «um uns zu schützen». Auch sie kennen die Konzepte der «Gewalt aus Liebe» oder «Verzweiflung», die verschleiern, dass Taten oft geplant und angekündigt werden und die eigentlich eine emotionale Unfähigkeit bezeichnen, mit starken Gefühlen, vor allem Wut und Ohnmacht, umzugehen. Patriarchale Gewalt ist demnach eher als ein Symptom subjektiv empfundener Machtlosigkeit und der Unfähigkeit zur emotionalen Selbstregulation zu begreifen. Viele Tatpersonen seien sich zudem nicht bewusst oder wollen nicht wahrhaben, dass sie gewaltvoll gehandelt haben. Damit Täterarbeit funktioniere, so betont Clemm mit Zustimmung von Widla und Suter, sind wiederum «echte Konsequenzen» wichtig, welche den Täter mit seiner Tat konfrontieren.

Widla und Suter berichten von ihrem Eindruck, dass die Affinität für Antifeminismus unter jungen Männern wieder zunehme. Nach Lesungen ihres Buches seien sie nicht selten von Lehrpersonen angesprochen und um Rat gefragt worden. Schule und Bildung gehören häufig zu jenen Orten, an die als erstes gedacht werde, wenn die Einsicht reift, dass gehandelt werden müsse. Das, so betonen sie, reiche jedoch nicht! Alle drei Autorinnen bekräftigen an diesem Abend mehrfach, dass patriarchale Gewalt im Zusammenhang mit weiteren Diskriminierungsstrukturen und insbesondere im Kontext kapitalistischer Strukturen und jüngeren gesellschaftlichen Entwicklungen gedacht werden müsse. Dazu muss ich kurz ausholen:

Im Kapitalismus wird die anhaltende Ausbeutung natürlicher wie menschlicher Ressourcen durch künstlich erzeugte Knappheit und permanenter Produktionssteigerung aufrechterhalten. Ohne monatlichen Lohn können die meisten Menschen langfristig ihre Existenz nicht aufrechterhalten. Menschliche Grundbedürfnisse, wie etwa Nahrung und Obdach, werden dazu genutzt, Menschen zum Verkauf ihrer Arbeitskraft zu zwingen – egal wie schädlich diese Arbeit für ihre psychische und körperliche Gesundheit ist. In diesem Kontext gibt es sowohl ein unternehmerisches wie ein staatliches Interesse daran, dass Arbeit, die historisch unentgeltliche geleistet wurde, auch möglichst unentgeltlich bleibt. Dazu gehört etwa ein grosser Teil der Reproduktions- und Fürsorgearbeit, die in Familien- und Freund*innenkreisen sowie nachbarschaftlich geleistet wird. Diese Arbeit wird nach wie vor massgeblich von weiblich sozialisierten Menschen verrichtet.

In einer kapitalistischen Gesellschaft werden Menschen hauptsächlich nach ihrer ‹Leistungsfähigkeit› (da Fürsorge- und Reproduktionsarbeit nicht gleich sichtbar ist, zählt diese wenig) beurteilt. Typisch ‹männliche› Eigenschaften gelten daher in der Berufswelt nach wie vor als besonders erstrebenswert und karrierefördernd. Dies reicht von Eigenschaften wie ‹Stärke› und ‹Durchsetzungskraft› bis hin zur möglichst 100%igen Verfügbarkeit bei der Arbeit und der Priorisierung der Karriere zu Ungunsten der Beziehungs- und Reproduktionsarbeit.

Auf diese Zusammenhänge wird im gemeinsamen Gespräch hingewiesen. So wird etwa das Problem der Isolierung in der Kernfamilie, in welcher die Lohn- und Reproduktionsarbeit nicht gleichmässig aufgeteilt wird, betont. In diesem Kontext geraten viele Menschen, insbesondere Frauen in hetero Beziehungen, immer noch in eine ökonomische Abhängigkeit von ihrem Partner. Dazu kommt, dass auch Frauen, die einer Lohnarbeit nachgehen (können) nach wie vor weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen.

Kapitalismus und Patriarchat, so kann mit bell hooks[2] argumentiert werden, sind eine Form der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lieblosigkeit. Menschen werden für ihre Schwächen, ihre gesundheitlichen Bedürfnisse sowie für das Bedürfnis nach Gemeinschaft bestraft oder zumindest so weit unter Druck gesetzt, dass zugunsten der Leistung durch Lohnarbeit alles andere immer wieder hintenangestellt werden muss. Es ist daher wohl keine Überraschung, dass der internationale feministische Kampftag einen sozialistischen Hintergrund hat.

«Alles, was wir bisher errungen haben, ist nicht selbstverständlich da», erklären Widla und Suter im Podiumsgespräch. Wir leben aktuell in einer Zeit erstarkender konservativer Bewegungen und eines zunehmenden Faschismus. Errungenschaften, wie das Recht auf Abtreibung und Regelungen zugunsten der adäquaten medizinischen Versorgung von trans Personen werden wieder in Frage gestellt. Die verschleppte Umsetzung der Forderungen der Pflegeinitiative, die aktuelle Teuerung und Erhöhung der Prämien, der zögerliche Umgang mit der Klimakrise erhöhen den Druck auf die 99%. Nach wie vor und zugleich mehr denn je gilt es, standhaft zu bleiben, sich zu organisieren und Wege zu finden, gesellschaftliche und wirtschaftliche Liebe zu praktizieren.

«Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht», hat Rosa Luxemburg gesagt. Und Clemm erinnert zum Abschluss des Gesprächs an Audre Lorde, die sagte: «Ich bin nicht frei, solange eine Frau unfrei ist, auch wenn ihre Fesseln ganz anders sind als meine eigenen».


[1] Da es in diesem Beitrag vorrangig um Gewalt (in Beziehungen) geht, die von (cis) Männern ausgeht, wird hier auf eine geschlechtergerechte Schreibweise verzichtet. Der Anteil der Gewalt, der von Personen anderen Geschlechts ausgeht und ausgehen kann, fällt statistisch betrachtet deutlich kleiner aus (ist deswegen allerdings nicht als weniger schlimm zu werten).

[2] hooks, bell. Alles über Liebe: neue Sichtweisen. Harper Collins, 2021. Was ist eigentlich Liebe? In diesem Buch bietet hooks eine zutiefst persönliche wie politische Auseinandersetzung mit dieser zentralen Frage.


Weiterführende Ressourcen

Beratungsstellen

Zur Website der Opferhilfe Beider Basel.

Zur Website der Opferhilfe Schweiz.

Zur Website des Männerbüros der Region Basel.

Literaturempfehlungen

Sanyal, Mithu: Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens, Hamburg 2017.

Schwerdtner, Lilian: Sprechen und Schweigen über sexualisierte Gewalt. Ein Plädoyer für Kollektivität und Selbstbestimmung, Münster 2021.

Der Text «Schweigen und Stigma» wurde von einem Freund*innenkreis einer Person, die eine Vergewaltigung erlebte, verfasst. Sie reflektieren darin ihr Verhalten und insbesondere die Frage, weshalb sie geschwiegen haben.

2017 gab es von #Keinemehr, der Rosa Luxemburg Stiftung und Unterstützer*innen eine Konferenz zu Feminizid und seinen Ursachen. Daraus entstand unter anderem diese Publikation (PDF).

Der Bericht der Pilotstudie «Gewalt gegen Männer in Deutschland» (PDF) im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2004.

Weiteres

Die Serie Maid folgt dem Leben einer jungen Mutter, die aus einer gewaltvollen Beziehung zu entkommen versucht. Das besondere an dieser Serie ist meines Erachtens, dass es ihr sehr gut gelingt, die psychologischen und strukturellen Dimensionen der Gewalt aufzuzeigen. Achtung: diese Serie kann Trigger auslösen.

Die Serie Unbelieveable befasst sich mit dem Umgang der Polizei in den USA mit Personen, die eine Vergewaltigung erlebt haben. Achtung: diese Serie kann Trigger auslösen.


Bild: Podiumsdiskussion im Literaturhaus Basel, v.l.n.r.: Miriam Suter, Christina Clemm, Andrea Zimmermann und Natalia Widla. Foto: Die Autorin.