Gender- und alltagsgerechtes Bauen in Bern

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Von Oliver Clemente. Dieser Beitrag ist Teil der Reihe «Gendered Spaces».

In der im Frühjahrssemester an der Universität Bern als öffentliche Ringvorlesung stattgefundenen Veranstaltung «Gendered Spaces – Kunst und Wissenschaft im Dialog über Raumproduktion» ging es unter anderem um die Frage, wie eine Geschlechterordnung durch verschiedene Räume hergestellt wird. Im Laufe der Veranstaltungsreihe wurden unterschiedliche Räume (Vorlesungssäle, Theaterbühnen, öffentliche Räume, aber auch digitale Räume) besucht und im Gespräch mit unterschiedlichen Akteur*innen untersucht.

Die Veranstaltung der öffentlichen Vortragsreihe vom 10. April 2024 fokussierte unter dem Titel «Öffentlicher Raum: Stadtrundgang» öffentliche Räume der Stadt Bern und war als Rundgang konzipiert. Dabei wurden unterschiedliche Standorte besucht, welche einerseits durch Mitglieder des Vereins Lares und andererseits durch eine Person des städtischen Tiefbauamtes in ihrer Planungsgeschichte erläutert wurden.

Lares ist ein Netzwerk und Verein für gender- und alltagsgerechtes Planen. Die Menschen im Verein engagieren sich seit 2013 für einen Kulturwandel, hin zu einem «ganzheitlichen, sozialen und partizipativen Bauen und Planen», welches die Bedürfnisse aller Nutzer*innen berücksichtigt. Die Förderung von Frauen in der Planungsbranche war dabei das vorrangige Ziel.

Bahnhofsplatz «von und für Männer»

Der Stadtrundgang startete vor dem Hauptgebäude der Universität Bern und führte als erstes zum Bahnhofsplatz. Dieser als «Stadtzentrum par excellence» fungierende Platz wurde gemäss Erläuterungen der Begleiter*innen des Rundgangs von und für Männer geplant: Der Platz scheint sich an den Bedürfnissen klassischer Männlichkeitsstereotypen zu orientieren – das heisst, an den Bedürfnissen des «arbeitenden Mannes», der den Platz zügig und rasch durchqueren um mittels Zuges, Bus oder Tram zu seinem Arbeitsort zu gelangen. Folglich bietet der Ort keine Aufenthaltsqualität an. Der Platz ist versiegelt, es mangelt an grossräumiger Begrünung und zum Verweilen einladenden Sitzplätzen. Zudem heizt er sich im Sommer stark auf. Die Bedürfnisse von Anspruchsgruppen, welche ausserhalb dieser männlichkeitsstereotypisierten Vorstellungen liegen, wurden zu wenig berücksichtigt (unter anderem Kinder, Personen, die Care-Arbeit leisten, und körperlich eingeschränkte Menschen).

Erst die Intervention von Lares sorgte für einige Veränderungen in einem von 2001 bis 2007 dauernden Planungsprozess. Ein sichtbares Resultat dieser Interventionen hin zu einer gender-gerechteren Planung sind das Treppenhaus und die Aufzugsschächte, welche die Grosse Schanze vor dem Hauptgebäude der Universität mit dem Bahnhof Bern im Untergrund verbinden. Auffallend ist dabei die Verwendung von viel Glas statt Beton, womit Treppenhaus und Lift von aussen einsehbar werden und «dunkle Ecken» verhindern. So konnte die echte und die gefühlte Sicherheit dieses Teils des öffentlichen Raumes stark erhöht werden.

Die Welle am Bahnhof Bern weisst ebenfalls einige der erwähnten Anpassungen auf.
Foto: Bild von Rene Staempfli auf Pixabay.


Konzept «Angstraum»

Das aus der feministischen Stadt- und Raumforschung stammende Konzept des «Angstraums» hat damit Eingang in die Planung dieser wichtigen Verbindungsachse zwischen dem universitären Hauptgebäude und dem Bahnhof gefunden. Es bezeichnet die Umsetzung baulicher Massnahmen, die zum Ziel haben, die Sicherheit im öffentlichen Raum zu erhöhen. Dazu gehören beispielsweise auch Frauenparkplätze, hellere Beleuchtung oder die beschriebene Einsehbarkeit öffentlicher Räume.

Es ist hier aber wichtig darauf hinzuweisen, dass es nicht die Räume an sich sind, die Angst auslösen. Das Gefühl entsteht erst im Zusammenwirken mit einer Gesellschafts- und Geschlechterordnung, in der Gewalt gegen Frauen strukturell verankert ist. In diesem Sinne handelt es sich bei der Umsetzung baulicher Massnahmen im öffentlichen Raum nur um eine Symptombekämpfung. Sie ist wichtig und richtig, aber nicht ausreichend. Die Raum- und Stadtplanung kann diese gesamtgesellschaftliche Problematik nicht allein lösen, sie kann und könnte aber stärker darauf reagieren indem sie nicht nur punktuell, sondern ganzheitlich in einem inklusiveren Sinne plant.

Der 2008 fertiggestellte Bahnhofsplatz weist als weitere Neuerung eine Vielzahl von Unterführungen und Sitzbänken auf. Diese werden rege genutzt. Es fällt allerdings auf, dass sich – abgesehen von den vielen Pendler*innen, die den Platz meist nur durchqueren – hier insbesondere Männer aufhalten: Ein deutliches Zeichen dafür, dass die umgesetzten Massnahmen nur teilweise zu einem gender-gerechteren Raum geführt haben.

Begegnungszone Breitenrainplatz

Ein Kontrast hierzu ist der zweite Platz, den wir auf dem Stadtrundgang besuchten: der Breitenrainplatz. Dieser wurde ursprünglich in den 1960er Jahren als «autogerechter» Platz, beziehungsweise Strassenkreuzung in der 50er-Zone geplant. Heute befindet er sich in der 30er-Zone und beherbergt zudem eine Tramstation. Auf der westlichen Seite wurde der Platz stellenweise entsiegelt. Mit den zahlreichen verschiebbaren Sitzgelegenheiten sowie diversen Bäumen fungiert dieser Bereich nun als Begegnungszone des Quartiers, indem sich Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts treffen. Gerade die Entsiegelung dieses Teils des Platzes bewirkt in den Sommermonaten eine angenehme Kühlung. Dies dürfte insbesondere von älteren und vulnerablen Personen, welche die versiegelten und sich stark aufheizenden Plätze im Sommer meiden, geschätzt werden.

Allerdings haben diese Aufwertungen des öffentlichen Raumes auch ihre negative Seite: Infolge der Platzumgestaltung konnte eine beginnende Gentrifizierung der angrenzenden Häuserreihen und des gesamten Quartiers beobachtet werden. Damit wird die geographische Verdrängung von ärmeren durch reichere Menschen an einem Ort bezeichnet. Ursächlich dafür sind meist ökonomisch-planerische Gründe: Aufwertungen erhöhen die Attraktivität eines Ortes, was die Nachfrage danach und in der Folge die Mieten und Wohnungspreise erhöht. Dies geschieht langsam und führt schrittweise zu einer Verdrängung sozio-ökonomisch benachteiligter Menschen. Dies muss aber nicht zwangsläufig gegen die Aufwertung öffentlicher Räume sprechen, da es nicht die Aufwertungen an sich sind, welche zur Gentrifizierung führen, sondern die Verbindung der Aufwertungen mit einer der ökonomischen Logik unterworfenen Wohnpolitik (bzw. die Abwesenheit einer solchen). Durch politische Massnahmen, wie der Förderung von günstigem gemeinnützigem Wohnraum, könnte die Gentrifizierung solcher Orte eingeschränkt werden.

Ausgangspunkt Mensch statt identitäre Anspruchsgruppen

Zum Schluss der Veranstaltung wurden in Kleingruppen die beobachteten öffentlichen Räume im Hinblick auf die Bedürfnisse verschiedener Anspruchsgruppen (zum Beispiel «Kinder» oder «Frauen») diskutiert und im Plenum besprochen. Dabei tauchte auch die Frage auf, welchen Ansatz der Verein Lares verfolge und ob auch Aspekte, die beispielsweise über ein binäres Verständnis von Geschlecht hinausgehen, Eingang in die Stadtplanung gefunden hätten. Die Vertreter*innen des Vereins erklärten daraufhin, dass sie als Ausgangspunkt immer «die Menschen und ihre Bedürfnisse» statt einzelne Anspruchsgruppen betrachten. Dies, weil sich viele Bedürfnisse unterschiedlicher Anspruchsgruppen überschneiden. Das heisst, die Arbeit von Lares zielt nicht darauf ab, «für Frauen» oder «für non-binäre Personen» zu planen, sondern sich zu fragen, welche diversen Bedürfnisse die unterschiedlichsten Menschen haben und dann diese in den Planungsprozess einzubringen.

Damit bewegt sich Lares parallel zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, welche zeigen, dass eine Reduktion auf die Kategorie, wie beispielsweise das Geschlecht, zu kurz greift, um Menschen und ihre Bedürfnisse in der Stadtplanung, adäquat zu erfassen. So belegte beispielsweise die Soziologin Monika Alisch, welche den Prozess der Gentrifizierung in den 1990er-Jahren in ihrer Publikation «Frauen und Gentrification. Der Einfluss von Frauen auf die Konkurrenz um den innerstädtischen Wohnraum» untersuchte, dass die sozio-ökonomische Kategorie der Klasse dabei eine grössere Rolle spielt als die Kategorie Geschlecht. Dies, weil beispielsweise gerade auch die – oftmals der vulnerablen Gruppe zugehörig betrachteten – Frauen, ebenso eine aktive Rolle im Prozess der Gentrifizierung spielen können. Und zwar, wenn es sich bei ihnen um gut ausgebildete Frauen handelt, die zu den sozio-ökonomisch privilegierteren Klassen gehören. Die Kategorie Geschlecht ist hier also im Gegensatz zur sozio-ökonomischen Kategorie der sozialen Klasse nicht determinierend für diese Prozesse.

Zusammenfassend kann somit gesagt werden, dass für eine inklusivere Stadt- und Raumplanung insbesondere ein ganzheitlicheres Planen und ein intersektionales Verständnis des Menschen, welches Aspekte wie Geschlecht, soziale Klasse, Alter und Mobilität umfasst, von eminenter Wichtigkeit sind.


Oliver Clemente, B.A., studiert im Master Geographie mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit an der Universität Bern.


Foto: Rene Staempfli via Pixabay.