Jack Halberstam: Unbuilding Gender – Neue Architekten braucht die Welt

veröffentlicht am

Das Museum für Gegenwartskunst in Basel ist an diesem Dienstagabend packend voll. Jack Halberstam präsentiert «Unbuilding Gender: Trans* Anarchitectures In and Beyond the Work of Gordon Matta-Clark». Viel vorstellen konnte ich mir unterdiesem Titel nicht – aber Halberstam schaffte es das Publikum innert Sekunden mitzureissen und für keine Sekunde zu verlieren. Besonders bleibend waren die Ausführungen wie scheinbar kleine Dinge wie z.B. Toiletten die Zweigeschlechtlichkeit unserer Gesellschaft entscheidend mitformen. Am Ende des Abends ging ich nicht nur mit neuem Wissen aus dem Vortrag, sondern erlebte einrichtiges «Aha!-Erlebnis».

Jack Halberstam präsentierte seinen*ihren Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung «The Art of Intervention». Die bereits erarbeiteten Leistungen sind beachtlich und verdienen einen Blog-Eintrag für sich selber; er*sie ist nicht nur ein*e angesehene*r Professor an der University of Columbia in New York, sondern unter anderem auch sechsfache*r Autor*in (ich ermutige den*die Leser*in Jack Halberstam selber noch einmal nachzuschlagen).

Generell bewegte sich Jack Halberstam innerhalb diverser Themen im Arbeitsbereich von Gordon Matta-Clark so schnell, dass man als Zuschauer*in kaum folgen konnte. Ich habe mich daher bewusst entschieden, nur einen Teil seines*ihres Vortrages abzudecken, der mich persönlich am meisten beschäftigt hat; «Unbuilding Genders – Gendered Architectures».

Die Vergeschlechtlichung von Architektur war in Gordon Matta-Clark’s Projekten immer wieder ein Thema. So befasste er sich in mehreren Projekten mit dem Thema «unbuilding». Matta-Clark war auch eine für den Begriff «Anarchitektur» prägende Person. Dabei wird die Elementarschicht der Architektur problematisiert. Vereinfacht bedeutet dieser Begriff «Gegen-Architektur» – was es aber genau bedeutet scheint nicht ganz klar zu sein und ruft Uneinigkeit hervor. Bekannte Beispiele für «unbuilding architecture» sind «Splitting: Four Corners» und «Day’s End» (Pier 52 in New York). Jack Halberstam ergänzte in seinem*ihrem Vortrag immer wieder, dass Architektur von Männern regiert ist und sich das in den Bauten lesen lässt.
Architektur ist «gendered» ob wir es wollen oder nicht. Wir laufen dieser gesellschaftlichen Norm ständig über den Weg. Teilweise begegnen wir ihr auf subtiler weise, oftmals jedoch sehr krass und direkt. Trotzdem werden diese Normen gesellschaftlich akzeptiert und selten bis gar nie hinterfragt. Warum ist das so? Und wie kommt es, dass das auch heutzutage nicht hinterfragt wird?

Die Toilette. Es gibt kaum ein Raum, der von beiden Geschlechtern fast gleich identisch genutzt wird, als das Badezimmer. Dennoch – sobald wir in den öffentlichen Raum treten – ist es ein Raum der am striktesten getrennt ist. Wie Jack Halberstam das so schön formulierte: «absurd representation» von Gendertrennung, die es gar nicht wirklich braucht. Wer hat entschieden, dass es auf einmal zwei verschiedene Toiletten braucht? Eine für Damen und eine für Herren. Und wieso? Was ist geschehen, dass dieser Ort geschlechtergetrennt werden musste? Gerade dank einzelner Kabinen in den öffentlichen Toiletten macht es kaum Sinn. Der einzige Begegnungsort der Geschlechter wäre beim Anstehen und beim Hände waschen. Und ich kann mir nichts Gewöhnlicheres vorstellen als die vorhin genannten Tätigkeiten.

Die unhinterfragte architektonische Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum und den Institutionen hat letztens auch für negative Schlagzeilen gesorgt. Bei einer Massenschiesserei an einer amerikanischen High-School waren sich die Lehrer nicht einig, ob sie die Trans*Person, die sie an der Schule haben, in die Männer- oder Frauen-Sportumkleide lassen sollten, die in einem solchen Fall aus Sicherheitsgründen aufgesucht werden muss. Dies endete mit dem Tod des*der Schülers*in, da die Trans*Person auf dem Gang zurückgelassen wurde.

Als Aufklärung; es handelte sich dabei «nur» um eine«Shooter drill» Übung für den Ernstfall. Dabei wurden keine Personen wirklich getötet oder verletzt. Doch selbst unter diesen ernsten Umständen konnten und wollten sich die Lehrer nicht festlegen und liessen am Ende den*die Schüler*in auf dem Gang zurück – was in einem echten Fall dann wirklich zum Tode des*derSchülers*in geführt hätte. [1]

Diese gesellschaftliche Norm ist in uns allen tief verankert– auch wenn man sich liberal und offen nennt. So erhielt ich z.B. erst gerade vor ein paar Wochen im Büro eine E-Mail mit der Nachricht, dass die Herrentoilette defekt sei und ich (als einzige Frau) doch Verständnis haben soll, wenn sich Herren auf der Damentoilette befinden. Damals habe ich mich gefragt; Verständnis wofür? Muss ich in diesem E-Mail namentlich erwähnt und gewarnt werden, dass sich Herren für einen Nachmittag auf der Damentoilette aufhalten werden? Ist aus der Nachricht, dass die Herrentoilette defekt ist nicht automatisch klar, dass sie die Damentoilette benutzen dürfen und auch sollen?
Und doch habe ich einen double-take im Starbucks letzte Woche gemacht, als mir eine männlich aussehende Person auf der Damentoilette entgegengekommen ist – weil ich dachte, dass ich mich in der Tür geirrt habe.

Diese Verinnerlichung von Gendertrennung an unnötigen Orten ist in unserer Gesellschaft so tief verankert, dass sie reflexartig an die Oberfläche treten – auch wenn man sich bemüht, diese Vorurteile hinter sich zulassen. Oder wie der Soziologe Erving Goffman, der sich mit der «institutionellen Reflexivität» von Toiletten im Spezifischen und Architektur im Allgemeinen auseinander setzte, so schön sagte: «Die Trennung der Toiletten wird als natürliche Folge des Unterschieds zwischen den Geschlechtskategorien hingestellt, obwohl sie tatsächlich mehr ein Mittel zur Anerkennung, wenn nicht gar zur Erschaffung dieses Unterschieds ist» (Goffman 1977, 134[2]).

Jack Halberstam, erwähnte so schön; es sind nicht «more creative signs» oder «alterning signs» notwendig. Es sind gar keine Schilder nötig. Es ist auch nicht nötig, die Räume nach neuen Zwecken zu kategorisieren (z.B. Räume wo man nur pinkelt, oder nur die Nummer 2 verrichte. Oder dem Kind die Brust gibt).

Wir sollten die Toilette als erstes zurückerobern und neue Standards festlegen. Und zwar den Standard von nichts.

Und wenn wir das erst einmal hinter uns haben, dann erobern wir den Rest des Hauses, die Strasse und die Welt!

Text by Rahel Liviero.


[1] https://www.rt.com/usa/440720-transgender-student-shooting-lockdown/

[2]Erving Goffman Das Arrangement der Geschlechter von 1977 sowie den Ausschnitt im Anhang vom Handbuch Soziologie von Nina Baur et al.