Kampfgeist und dessen verschiedene Gesichter in Paula Regos Werken

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Von Nina Schielly. Dieser Beitrag ist Teil der Serie «Paula Rego: Geschlecht und Gewalt».


Wer den letzten Raum der Paula Rego Ausstellung im Kunstmuseum Basel betritt, sieht sogleich die zwei ersten Bilder der Serie «Possession» (2004), welche gegenüber dem Eingang hängen. Der turbulente Gesichtsausdruck der darauf abgebildeten Frau berührt mich tief. Wenn der Blick nach rechts schweift, werden die verbleibenden Bilder der Reihe sichtbar. Instinktiv trete ich weiter in den Raum hinein, um die Gemälde aus der Nähe zu betrachten. Das führt dazu, dass ich das einzige Bild, welches nicht zu «Possession» gehört, zunächst gar nicht wahrnehme. «Angel» (1998) hängt ganz allein auf der anderen Seite des Raumes, weit entfernt von den restlichen Bildern. Anfangs ist allenfalls unklar, wieso dieses Bild mit der «Possession»- Reihe in einem Raum ausgestellt wird, bis der Titel des Ausstellungsraums in Erinnerung gerufen wird: «Kampfgeist». Aber was hat Kampfgeist mit diesen Bildern zu tun?

Possession

Als ich zum ersten Mal die Bilder der «Possession»-Reihe sah, schien es mir sogleich eindeutig, dass hier eine Person abgebildet ist, die mit Depressionen ringt. Die Frau, welche zu sehen ist, ist Lila Nunes – eine Person, welche in vielen von Regos Werken zu sehen ist (vgl. Cvetkovich 2024, S. 197). Sie liegt in den Bildern in verschiedenen Stellungen auf einem Sofa, manchmal eher reglos, in anderen wirkt sie aufgewühlt und als hätte sie mit Schmerzen zu kämpfen. Teils klammert sie sich an die Kissen, teils sind sie verstreut auf dem Boden vorzufinden. Die typische Darstellung einer an Depressionen leidenden Person ist die der Energielosen, Traurigen, sich nicht aus dem Bett Bewegenden. Dies ist hier teils zu sehen, aber auch die Bewegung, die Unruhe, welche Depression mit sich bringen kann, ist hier abgebildet. Nunes scheint in diesen Gemälden mit ihren Gedanken zu kämpfen, wird von ihnen hin und her geworfen und kann sich anscheinend nicht von ihnen befreien.

«Zugleich macht die Künstlerin darauf aufmerksam, dass der von der Depression gelähmte Körper dennoch voller Bewegung ist. Depression als eine Form der Besessenheit kann sich wie eine Sackgasse anfühlen, wie ein auswegloser Zustand, eine Blockade, und da ist die Fähigkeit, sich noch in irgendeiner Weise zu bewegen, bereits ein Sieg.» (Cvetkovich 2024, S. 197)

Dieser Kampf mit und gegen Depression kann als passiv interpretiert werden, aber für mich hat es etwas sehr Aktives. Nicht nur das Gehirn, sondern auch der Körper ist daran beteiligt; die ganze Person ist davon betroffen. Die Positionen, welche Nunes in den Bildern einnimmt – auf dem Rücken liegend mit verschränkten Armen und Beinen, an den Kleidern zerrend, seitwärts auf dem Kissen liegend und die Hände in die Hosentaschen steckend – spiegelt wider, wie sehr der Körper beeinflusst wird. Und das Bekämpfen von lähmenden Emotionen und Gedanken ist ebenso etwas Aktives, das viel Energie und Arbeit benötigt.

Als Betrachterin werde ich Zeugin dieses Ringens und mir scheint, als wäre sich die Figur in dem Gemälde bewusst, dass sie betrachtet, beobachtet, gar studiert wird: in einem der Bilder scheint sie den*die Betrachter*in direkt anzublicken. Dieser Eindruck entsteht nicht nur durch die Bilder, sondern auch durch die Gestaltung des Ausstellungsraumes:

«[…] Dort umgeben [die Gemälde] die Betrachtenden und lassen eine Umgebung entstehen, die den meist zutiefst isolierenden Schmerz einer Depression oder Besessenheit nach aussen trägt, ihn öffentlich macht.» (Cvetkovich 2024, S. 196)

Falls mensch sich mehr Zeit mit «Possession I-VII» nehmen will, gibt es eine Sitzmöglichkeit. Zunächst fällt vielleicht gar nicht auf, dass das Sofa im Kunstmuseum dem Sofa in den Gemälden ähnelt. Dies ist aber absichtlich. Das Kunstmuseum baute das Sofa nach, welches ursprünglich Regos Psychoanalytiker gehörte, bis sie es ihm abkaufte. Nun steht es da, umzingelt von den Gemälden, und ladet ein, sich noch mehr in die dargestellte Gefühlswelt der Depression zu vertiefen. Wer die Einladung annimmt, begibt sich in eine ähnliche Position wie Nunes auf den Gemälden.

Angel

Das gleiche geschieht bei dem Bild, welches allein an der gegenüberliegenden Wand hängt. Die «Possession»-Reihe wirkt wie abgeschottet von «Angel» (1998), da sie am anderen Ende des Raums gruppiert ist und dem Werk gegenübersteht. Vor diesem Kunstwerk gibt es keine Sitzmöglichkeit: mensch betrachtet es stehend und übernimmt so unbewusst erneut eine ähnliche Position wie die der dargestellten Person. Die Figur im Gemälde steht jedoch nicht mit leeren Händen oder einem Saalbooklet da, sondern hält in einer Hand ein Schwert und in der anderen einen Schwamm. Diese Objekte kombiniert mit dem Titel führen dazu, dass die abgebildete Frau als Racheengel aufgefasst werden kann.

«Ich bin der Engel der Erinnerung […]. Mein Gedächtnis ist eine frisch gewetzte Klinge.» (Weber 2024, S. 207)

Anne Weber interpretiert das Gemälde als einen Racheengel, welcher dafür verantwortlich ist, sich an geschehene Dinge und an Taten zu erinnern und über sie zu urteilen (vgl. Weber 2024, S. 206). Mit beiden Objekten in ihrer Hand kann sie Menschen oder Namen auslöschen, sei es mit einem Schwert und dem tatsächlichen Tod oder mit dem Schwamm und dem symbolischen Tod. Hier handelt es sich wieder um eine Figur, welche mit Erinnerung und Emotionen zu kämpfen hat, so wie auch in «Possession». Der Engel wirkt jedoch so, als ob sie mit sich im Reinen und bereit für den Kampf ist, egal für welchen sie sich schlussendlich entscheidet.

«Ich bin die Ruhe selbst, die Erinnerung selbst, die Gerechtigkeit in ihrem schönsten Knisterkleid. Unnachgiebig. Massvoll. Die Taille nach Wespenart geschnürt, den Stachel stechbereit.» (Weber 2024, S. 208)

Die Kombination der beiden Werke Regos im selben Raum auszustellen, erscheint zunächst widersprüchlich, aber je mehr ich mich mit den Bildern befasse, desto klarer wird mir, weshalb es Sinn macht. Der Titel des Raumes, «Kampfgeist», kann sich darauf beziehen, dass es in «Possession» teils so wirkt, als würde die Figur wortwörtlich mit Geistern kämpfen, und teils, als würde sie mit und gegen ihre eigenen Gedanken und Emotionen kämpfen. Dasselbe gilt für «Angel»: Der Engel signalisiert Bereitschaft, sich körperlich wie geistig ihrer Aufgabe zu widmen: sich zu erinnern und über das Vergangene zu urteilen. Dies bedingt sowohl ein Ringen mit sich selbst wie auch mit dem, was geschehen ist. Die Blicke, welche die Figuren in «Angel» und «Possession VII»auf die Betrachtenden werfen, zeigen die verschiedenen Formen von Kampfgeist, welche in Regos Werken zu finden sind.


Nina Schielly studierte Englisch und Gender Studies im Bachelor an der Universität Basel und beginnt nun ihren Master in Literaturwissenschaft. Besonders interessiert sie Literatur und wie diese politisch instrumentalisiert werden kann.


Literatur

Cvetkovich, Ann (2024): «Kampfgeist». In: Reifert, Eva et al. (Hg.): Paula Rego: Machtspiele. Hirmer, S. 196–198.

Weber, Anne (2024): «Angel». In: Reifert, Eva et al. (Hg.): Paula Rego: Machtspiele. Hirmer, S. 206–208.

Weiterführende Bildangaben

Bild 1. Ausstellungsansicht «Paula Rego: Machtspiele» (28.09.2024 — 02.02.2025), Kunstmuseum Basel, mit den Gemälden «Possession III», «Possession IV» und «Possession V» von Paula Rego, 2004. Pastell auf Papier auf Aluminium, 150 x 100 cm. Coll. Fundação de Serralves – Museu de Arte Contemporânea, Porto, Portugal. Gespendet von Banco BPI, Grupo Cerealis, Grupo Sonae, Grupo Têxtil Manuel Gonçalves, Grupo Unicer, João Vasco Marques Pinto und Sogrape Vinhos, SA, 2005. ©Paula Rego. All rights reserved 2025 / Bridgeman Images.Foto Credit: Julian Salinas.

Bild 2 sowie Beitragsbild. Ausstellungsansicht «Paula Rego: Machtspiele» (28.09.2024 — 02.02.2025), Kunstmuseum Basel, mit dem Gemälde «Angel» von Paula Rego, 1998. Pastell auf Papier auf Aluminium, 180 x 130 cm. CAM-Centro de Arte Moderna Gulbenkian, Lissabon. © Paula Rego. All rights reserved 2025 / Bridgeman Images. Foto Credit: Julian Salinas.