Von Dominique Grisard
«Habt ihr schon einmal etwas von der Schweizer Hinterglasmalerin Anna Barbara Abesch (1706-1773) gehört?», fragt Hulda Zwingli auf Instagram rhetorisch. Wer sich hinter Hulda Zwingli versteckt, wissen wir nicht, dass die Zürcher Kunstaktivist*innen seit gut vier Jahren auf Geschlechterungleichheiten in der Schweizer Kunstwelt aufmerksam machen, hingegen schon. Diesmal ist das feministische Künstler*innenkollektiv angereist, um sich die Ausstellung «Geniale Frauen» im Kunstmuseum Basel anzuschauen. Gewohnt bissig-humorvoll posteten die Influencer*innen:
«Vor kurzem rief das Kunsthaus Zürich die Frauen noch zum Warten auf, weil es eine kunsthistorische Realität abzubilden gebe. Diese sieht aber ganz anders aus als erwartet und brauchte eben auch ein bisschen Anstrengung in Form von Recherche, Restauration und Digitalisierung, die kürzlich von anderen Institutionen geleistet wurde. Die in Basel ausgestellten Werke der zu ihrer Zeit teilweise sehr berühmten Künstlerinnen waren in unzähligen Sammlungen verteilt und wurden akribisch zusammengetragen.»
In der Tat beeindrucken diese aus der Kunstgeschichtsschreibung verdrängten Gemälde von Künstlerinnen des 16. bis 18. Jahrhunderts. Ihre Biografien geben zu denken über die Bedingungen, die das Kunstschaffen (überhaupt erst) möglich machen. Wie war es diesen «Ausnahmefrauen» möglich, zu malen, ja mit ihrer Kunst zu Ruhm und Geld zu gelangen? Und wie ist das heute?
Dies war auch das Thema der Gesprächsrunde am 17. April 2024 im Foyer des Kunstmuseums Basel. Unter dem Titel «Kinder, Küche, Kunst» diskutierten die für die Ausstellung konzeptionell verantwortliche Kuratorin Katrin Dyballa, die Künstlerinnen Katrin Ströbel und Lena Maria Thüring sowie die Geschlechterforscherin Andrea Zimmermann über Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Kunst. Moderiert wurde die Runde von Ariane Mensger, die die Ausstellung «Geniale Frauen» zusammen mit Bodo Brinkmann und Seraina Werthemann vom Kunstmuseum Basel und Katrin Dyballa vom Bucerius Kunst Forum Hamburg kuratiert hatte. Ein erstes Mal wurde die Ausstellung in etwas anderer Konstellation in Hamburg gezeigt.
In der Gesprächsrunde legte Dyballa ihr Erkenntnisinteresse dar, verdrängte Kunstgeschichte aufzuarbeiten. Sie gab Einblick in ihre Methode, den Fokus auf die biografischen Konstellationen zu legen, die es den in der Ausstellung präsenten Künstlerinnen im Europa des 16. bis 18. Jahrhundert ermöglichten, ihr Leben mit Kunstschaffen zu bestreiten und damit teilweise gar eine Familie zu ernähren. Klar: Der Spielraum war damals deutlich enger. Malende Frauen waren eine Ausnahme. Da war beispielsweise Lavinia Fontana (1552-1614), eine überaus erfolgreiche italienische Malerin des Manierismus. Fontana wurde – wie ein Grossteil der in der Ausstellung vertretenen Künstlerinnen – von ihrem Vater, der ebenfalls Künstler war, ausgebildet und gefördert. Fontanas Vater arrangierte für seine Tochter eine Heirat in den niederen Adel. Sie soll 11 Kinder geboren und mit ihrer Kunst ihre Familie ernährt haben, während ihr Mann für Kinderbetreuung und Haushalt sorgte und ihr so den Rücken freihielt.

Es gab aber auch Künstlerinnen, wie die eingangs erwähnte Innerschweizerin Anna Barbara Abesch oder die niederländische Barockmalerin Maria van Oosterwijck (1630-1693), die es vermieden zu heiraten, im Wissen darum, dass Heirat in der Regel bedeutete, den Beruf aufzugeben. Oosterwijck verdiente mit ihren blumigen Stillleben überaus gut dank Aufträgen des französischen Königs Ludwig XIV. und zahlreichen anderen Königshäusern. Es ist kein Zufall, dass Künstlerinnen vor allem Porträts und Stillleben malten. Tatsächlich war die hochangesehene Historienmalerei Künstlern vorbehalten. Gemäss dem damaligen Geschlechterdiskurs hätte Frauen der Intellekt gefehlt, komplexe gesellschaftliche Themen kreativ in ein Bild zu überführen. Was man ihnen hingegen zutraute, war das genaue Beobachten und nachahmende Abmalen von Szenen ihres häuslichen Lebens.
Eure Generation möchte einfach alles haben»
«Eure Generation möchte einfach alles haben», musste sich Lena Maria Thüring von ihrer Dozentin an der Kunsthochschule sagen lassen. Sie sei bis zu diesem Zeitpunkt ein wichtiges Vorbild für Thüring gewesen, die mit Film, Fotografie, Installation und Performances arbeitet und sich neu auch im Netzwerk art+care engagiert. Thüring erinnert sich, wie entmutigt sie sich nach diesen Worten gefühlt habe. Erst Jahre später sei ihr klar geworden, dass ihre Dozentin sexistische gesellschaftliche Normen internalisiert hatte und mit diesem Spruch unbewusst sicherstellte, dass auch sie sich als junge Künstlerin nach diesen Normen richte. Ja, auch zwischen Frauen unterschiedlicher Generationen würden Geschlechternormen hergestellt und tradiert.
Seit sie Mutter sei, so Thüring, bleibe ihr wenig Zeit, an ihrer Kunst zu zweifeln. Das habe zu einer Professionalisierung geführt. Die wenige Zeit fürs Kunstschaffen nutze sie strukturierter, und so komme ihre Arbeit eigentlich selten zu kurz. Darüber hinaus sei sie als Dozentin an der FHNW auch gut eingebunden in berufliche Netzwerke, wie sie für die Kunst ja doch zentral seien. Was auf der Strecke bleibe, sei jedoch das soziale Leben.
Katrin Ströbel, eine zwischen Stuttgart, Marseille und Rabat pendelnde Künstlerin, Kunstprofessorin und Mutter, bemängelt ebenfalls die fehlende Zeit, aber auch den geschlechtsspezifischen Ageism von Karriere-Strukturen in der bildenden Kunst. Förderinstitutionen gehen beispielsweise davon aus, dass es Künstler*innen zwischen 30 und 40 Jahren «geschafft» haben sollten, also am Höhepunkt ihres Erfolgs angekommen seien – gerade in der Zeit also, in der viele Künstler*innen Familien gründen. Ströbel selbst scherte sich wenig um dieses strukturelle Vakuum. Als mit 40 Jahren die Zeit der Stipendien vorbei war, habe sie sich dazu entschieden, ein Kind zu kriegen und dann auch noch eine Promotion anzufangen.
Andrea Zimmermann ordnet die Erfahrungen der zwei Künstlerinnen in einen grösseren gesellschaftlichen Zusammenhang ein, mit Rückgriff auf ihre quantitative und qualitative Forschung zu Geschlechterverhältnissen in Schweizer Kulturbetrieben. Die Vereinbarkeit von Familie und Künstler*innenkarriere sei in der bildenden Kunst besonders herausfordernd. Tatsächlich sinke der Wert der Kunst bei Mutterschaft. Das sei der auch heute noch wirkmächtigen Figur des «genialen Künstlers» geschuldet. Um so wichtiger seien die Vorbilder, die «alles» wollen und «alles» tun. Auch wenn das Dilemma damit nicht ausgehebelt werde: um als Künstlerin wahrgenommen zu werden, gilt es, sich als Künstlerin zu präsentieren. Als eine Person also, die mit Haut und Haaren für die Kunst brennt und nur dafür – mit der Konsequenz, dass viele Künstler*innen verschweigen, dass sie Mutter sind und Fürsorgearbeit übernehmen.
Ältere Künstlerinnen, bestätigt Thüring, hätten ihr erzählt, dass sie immer so getan hätten, als ob sie nur für die Kunst lebten. Die Vereinbarkeitsfrage hätten sie dann stillschweigend und individuell gelöst. Strukturellen Lösungsansätzen werde in der bildenden Kunst viel Ambivalenz entgegengebracht. Das habe auch mit der Vereinzelung und dem Individualismus in der bildenden Kunst zu tun, die ja im Unterschied zu den Ensembles im Theater oder der Musik in der Regel als das Werk einer Einzelperson wahrgenommen werde.
Als Künstlerin verorte ich mich in der Gesellschaft, mittendrin»
Ströbel ergänzt: Es sei wirklich ein Balanceakt. Die Lebensrealität der Care-Arbeit müsse sichtbar gemacht werden, das sei klar, doch auch sie wolle nicht, dass ihre Kunst (nur) autobiografisch gelesen werde. «Als Künstlerin verorte ich mich in der Gesellschaft, mittendrin», so Katrin Ströbel. Die genialische, draussen stehende und scheinbar objektiv auf die Gesellschaft schauende Position liege ihr fern. «Ich muss und will mich mit Gesellschaft auseinandersetzen. Dazu gehört, dass ich an verschiedenen Orten wohne und Familie habe», betont sie.
So hat sie am eigenen Leib erfahren, wie unterschiedlich Mutterschaft verhandelt und gelebt wird: Während in Deutschland weiterhin das Bild der «guten Mutter» der Erwerbsarbeit ausser Hause entgegengestellt werde, sei es in Frankreich bereits in den 1960er und 1970er Jahren für Frauen selbstverständlich und auch finanziell notwendig gewesen, erwerbstätig zu sein. In Marokko wiederum seien die Menschen aufgrund prekärer Lebensumstände daran gewohnt, sich ständig neu zu erfinden. Das schaffe Freiräume, auch für Frauen und ihr Kunstschaffen.
Zimmermann wünscht sich, dass Institutionen mehr Verantwortung übernähmen, sprich: strukturelle Lösungen statt privater Netzwerke. Denn es werde weiterhin vorausgesetzt, dass Künstler*innen über unlimitierte Zeit zum Netzwerken verfügen sowie allzeit mobil und bedingungslos verfügbar seien für das Kunstsystem. Was wäre, wenn Künstlerinnen nicht immer selbst «gute» Arbeitsbedingungen (ein-)fordern müssten, sondern von den Institutionen gefragt würden: Was macht es dir möglich, gut zu arbeiten?
Bild: Selbstporträt am Spinett, Lavinia Fontana, 1577. Accademia Nazionale di San Luca, Roma. Foto: Mauro Coen (Ausschnitt).