Von C. H. Dieser Beitrag ist Teil der Blogserie «Paula Rego: Geschlecht und Gewalt».
Die offensichtliche Verletzbarkeit der jungen Frau die allein in einem Raum über der Schüssel kauert. Die junge, in eine Schuluniform gekleidete Frau, die still und in kindlicher Haltung ihre Schmerzen auszuhalten scheint. Der angespannte und gleichzeitig ruhige Blick der Frau, die auf die Engelmacherin wartet. Diese Bilder aus der «Abortion Series» (1998)zeigen anschaulich, wie eng Leid und Stärke miteinander verbunden sind. Paula Rego gelingt es in ihren Werken Kraft und Verletzlichkeit zugleich darzustellen und es scheint plausibel, dass gewisse Teile ihrer Werke auch auf eigene Erfahrungen zurückzuführen sind.
Laut Franziska Schutzbach (2024, S. 168) durchlebte Paula Rego in ihrer Studienzeit in den 1950er Jahren mehrere Schwangerschaftsabbrüche, die sie unter schwierigen Bedingungen vornehmen liess. Auch Annie Ernaux blickt in ihrem Buch «Das Ereignis» (deutsche Übersetzung 2022) auf ihre eigene Abtreibung bei einer Engelmacherin zurück. Beide Künstlerinnen haben ihre Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen verarbeitet. Sie vermitteln durch ihre Werke kraftvolle Botschaften, die aufzeigen, wie das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen Frauen kriminalisierte, stigmatisierte und sie zu gefährlichen körperlichen Eingriffen zwang. Dabei erhielten sie weder medizinische noch persönliche Begleitung und mussten diese schmerzvollen Erfahrungen allein durchleben.
In diesem Beitrag berichte ich von der Veranstaltung «Du sollst Mutter sein. Zur Stigmatisierung der Abtreibung in der Schweiz», die am 9. Oktober im Rahmen der Ausstellung «Paula Rego: Machtspiele» im Kunstmuseum Basel stattfand. Dabei formuliere ich einige Überlegungen über den Zusammenhang zwischen den Werken von Ernaux und Rego. Der Abend im Kunstmuseum folgte einem dichten Programm: Nach einem Referat von Franziska Schutzbach über die Stigmatisierung der Abtreibung in der Schweiz, folgte eine szenische Lesung mit Auszügen aus Ernaux’s Roman von Stefanie Mrachacz und Anja Schweitzer vom Theater Freiburg. Zum Abschluss gab es ein Podiumsgespräch zwischen Franziska Schutzbach und Pascale Schreibmüller. Der Raum im Kunstmuseum war gefüllt von den Geschichten und Emotionen der anwesenden Menschen, die, auch wenn sie nicht alle offen geteilt wurden, spürbar zur Atmosphäre beitrugen.

Die Abtreibung – eine historische und soziologische Perspektive
Franziska Schutzbach bot in ihrem Vortrag eine tiefgehende soziologische Analyse der Abtreibung und der damit verbundenen Stigmatisierung. Sie erläuterte, wie der Fötus im Laufe der Zeit zunehmend als autonomes Wesen dargestellt wurde, der für das Unschuldige und Gute steht. Dem gegenüber wurde eine schwangere Person zunehmend als potenzielle Gefahr für das ungeborene Leben wahrgenommen. Es lastet eine grosse Fehlerkultur auf der Schwangerschaft und der darauf folgenden Mutterschaft, wobei sich Fehler und potenzielle Fehler negativ auf das (ungeborene) Kind auswirken.
Die Abtreibung bleibt bis heute unerwünscht und gilt als rückständig und unaufgeklärt. Sie wird als eine Abweichung von der Norm und eine Form des Scheiterns begriffen. Sie soll mit Hilfe von Verhütungsmitteln verhindert werden. Tatsächlich hat die verbesserte Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln erfolgreich dazu beigetragen, ungewollte Schwangerschaften zu kontrollieren. Als Folge davon wird die Schwangerschaft heute als rationale und wohlüberlegte Entscheidung begriffen, was jedoch nicht der Realität entspricht. 40% der Schwangerschaften weltweit sind nach wie vor ungeplant.
Durch die Illusion der «rationalen Schwangerschaft» fühlen sich nach wie vor viele Frauen und gebärfähige Menschen schuldig, wenn es zu Schwangerschaftsabbrüchen kommt, und verheimlichen dies. In Ausnahmefällen, wie bei einer Vergewaltigung oder Behinderung sowie wenn ein gesundheitliches Risiko besteht, gelten Schwangerschaftsabbrüche als legitim, manchmal sogar erwünscht. Wenn eine Person jedoch einfach nicht schwanger sein will, lässt sich die Abtreibung heute nach wie vor nicht rechtfertigen.
Durch das Post-Abortion-Syndrom (PAS) verlagerte sich der Fokus vom unschuldigen Fötus zur angeblich leidenden Frau. Es postuliert, dass Frauen lebenslänglich an den Folgen einer Abtreibung leiden (Schutzbach, 2024, S.168). Obwohl diese Annahme wissenschaftlich nicht haltbar ist und die Risiken einer Abtreibung skandalisiert werden, haben Frauen seit Jahren verinnerlicht, dass Schmerz und Unglück der Preis für diesen Akt körperlicher Selbstbestimmung sind. Dies impliziert, dass sich Frauen schämen sollen, wenn sie sich nach einem Schwangerschaftsabbruch neutral oder gar befreit fühlen (ebd.).

Annie Ernaux und Paula Rego – zwei Perspektiven auf das gleiche Thema
Annie Ernaux beschreibt in ihrem Buch «Das Ereignis» ihre persönliche Erfahrung mit einem illegalen Schwangerschaftsabbruch in den 1960er Jahren. Viele junge Frauen mussten damals ihre Schwangerschaftsabbrüche im Verborgenen und unter gefährlichen Umständen durchleben. Ernaux schildert, wie bewusst sie die Entscheidung traf, die Schwangerschaft abzubrechen. Obwohl die Erfahrung schmerzhaft war und sie auf verschiedenen Ebenen Gewalt erfuhr, empfand sie am Ende Stolz, Teil einer langen Kette von Frauen zu sein, die trotz Stigma und Gefahr den Mut hatten, diesen Weg zu gehen (Ernaux 2022, S. 55).
Sie beschreibt die erlebte Gewalt als geteilte Erfahrung und sich selbst als Teil eines Verbundes (ebd., S. 53). Diese Perspektive widerspricht dem gängigen Narrativ, dass Frauen nach einer Abtreibung zwangsläufig lebenslang leiden müssen. Es berührt mich, dass sie sich nach ihrer Abtreibung befreit und stolz fühlte.
In «Das Ereignis» beschreibt Ernaux sehr detailliert, wie es zur Abtreibung kam, welche Schritte sie unternahm und wie sie sich dabei fühlte; sie beschönigt nichts. Diese präzise und ehrliche Schreibweise empfinde ich als eine Form der Selbstermächtigung. Eine besonders eindrückliche Passage im Buch zeigt die Verbindung zwischen ihrer persönlichen Erfahrung und einer allgemeinen Realität.
Wenn ich dieses Ereignis meines Lebens in einem einzigen Gemälde darstellen müsste, würde ich einen Resopaltisch vor einer Wand malen und eine Emailschüssel, in der eine rote Sonde schwimmt. Rechts davon eine Haarbürste. Ich glaube nicht, dass in irgendeinem Museum dieser Welt eine Werkstatt der Engelmacherin hängt.»
Ernaux 2022, S. 43
Es ist beinahe, als würde sie ein Bild Paula Regos beschreiben: in ihren Werken der «Abortion Series» hallen Ernaux’s Worte nach – und umgekehrt. Regos Bilder zeigen Schmerz, Stärke, Tapferkeit und Macht, ohne anklagend zu wirken. Sie thematisieren die Realität von Frauen, die sich bewusst für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden und dafür Schmerzen und sogar den Tod in Kauf nehmen. Regos Bilder zerstören das traditionelle Bild von Mutterschaft und zeigen eine alternative, realistische Perspektive. Sie sind ein Aufstand gegen die Vorstellung, dass der weibliche Körper allein dem Mann gehört, und machen sichtbar, was sonst verborgen bleibt.
Ernaux schreibt für ihre Rechte und gegen das patriarchale Regime, Rego malt mit denselben Zielen. Beide Künstlerinnen machen deutlich, dass der weibliche Körper nicht als öffentliches Gut behandelt werden darf. Während Ernaux durch ihr Schreiben das Ereignis der Abtreibung nachempfindbar macht und dem Unausgesprochenen eine Sprache gibt, bietet Rego mit ihrer Kunst einen visuellen Protest: sie macht sichtbar, was nicht gesehen werden soll.
Beide Werke vermitteln neben den Schmerzen und Gefahren auch eine Form von Autonomie, die aus Verzweiflung und Mut entsteht. Sie sind deshalb bis heute von zentraler Bedeutung. Die aktuell erneut aufflammende Skandalisierung der Abtreibung trägt zur Aufrechterhaltung der hetero-patriarchalen Geschlechterordnung bei. Nach wie vor werden Gebärfähigkeit und Frausein mit Mutterschaft gleichgesetzt – die fürsorgliche Mutter gilt als ihre «natürliche» Bestimmung. Dadurch bleiben Verfügungsansprüche über den als weiblich markierten Körper und dessen Sexualität bestehen. Das Recht auf Abtreibung ist zentral für eine Gesellschaft, die sich von solchen patriarchalen Vorstellungen lösen will. Ernauxs und Regos Werke sind eindrückliche Zeugnisse dieses Kampfes und unverzichtbar für die Auseinandersetzung mit reproduktiven Rechten und Gerechtigkeit.

Die aktuelle Debatte – Franziska Schutzbach und Pascale Schreibmüller
Im Gespräch zwischen Franziska Schutzbach und Pascale Schreibmüller wurde deutlich, dass Mutterschaft und Abtreibung nach wie vor kontroverse Themen sind. Der Wunsch, unter würdevollen Bedingungen Mutter zu werden und zu sein, und der Kampf darum, abzutreiben und über den eigenen Körper entscheiden zu können, stehen dabei nicht, wie es manchmal ausgelegt wird, im Wiederspruch zueinander. Beides setzt nämlich gleichermassen voraus, dass das Recht auf körperliche Selbstbestimmung für alle Menschen gewahrt und respektiert wird. Davon sind wir im Moment noch weit entfernt.
Die Diskussion verdeutlichte zudem den starken Kontrast zwischen den öffentlichen und privaten Dimensionen von Schwangerschaft und Abtreibung. Schwangerschaft wird häufig als öffentliches, positives Ereignis wahrgenommen, das gemeinschaftlich gefeiert wird. Abtreibung hingegen wird ins Private gedrängt, oft mit Scham, Schuld oder Sünde individualisiert und tabuisiert. Während Mutterschaft als gesellschaftliches Anliegen gilt, bleibt Abtreibung eine stigmatisierte, isolierte und isolierende Entscheidung. Diese Dynamik wird verstärkt durch spezifische Vorstellungen von Mutterschaft, die eng mit der Romantisierung von Familie und Fürsorge verbunden sind. Doch viele Frauen erleben Mutterschaft in Einsamkeit oder abseits der idealisierten Normen, obwohl oder gerade weil ihr Körper als öffentliches Allgemeingut betrachtet wird.
Ein zentraler Punkt der Diskussion war, dass reproduktive Rechte, historisch betrachtet, immer wieder eingeschränkt und fremdbestimmt wurden – meist von denen, die nicht schwanger werden konnten. Über Leben und Tod von Föten wurde entschieden, ohne die betroffenen Frauen und gebärfähigen Menschen einzubeziehen. Dabei werden essenzielle Fragen aufgeworfen: Welcher Fötus gilt als lebenswert, welcher nicht? Welches Leben wird als betrauerbar betrachtet, und welches nicht? Die Entscheidungshoheit über den eigenen Körper bleibt begrenzt und gleichzeitig wird über die «richtige» Art von Erziehung, Familie und Fortpflanzung bestimmt.
Dass Mutterschaft und Abtreibung intersektionaler gedacht werden müssen, wurde in der Diskussion leider nur kurz angeschnitten, wäre aber eine eigene Veranstaltung wert. Auch Annie Ernaux betont die Wichtigkeit der sozialen Klasse (Ernaux 2022, S. 18, 50). Wer hat Zugang zu sicheren Abtreibungen? Wer wird wie und von wem über die Risiken informiert? Die finanzielle Lage spielt hier eine massgebliche Rolle, aber auch Rassismus und Ableismus beeinflussen das Gesundheitssystem .
Pascale Schreibmüller betonte, dass die Einschränkung reproduktiver Rechte nicht nur eine persönliche Belastung, sondern auch eine Bedrohung der Demokratie darstellt. Die Frage des Rechts auf körperliche Selbstbestimmung beeinflusst, wie eine Gesellschaft über Gleichheit und Gerechtigkeit denkt und prägt gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten. Schreibmüller forderte deshalb mehr Angebote und Vernetzung an der Basis, um das Thema sichtbarer und intersektionaler zu machen. Zudem plädierte sie dafür, Abtreibung nicht weiter zu privatisieren und zu individualisieren, sondern als gesellschaftliche Frage zu behandeln, die uns alle betrifft.
Die Veranstaltung «Du sollst Mutter sein» bot einen tiefgehenden Einblick in die politischen, sozialen und persönlichen Dimensionen von Abtreibung und Mutterschaft. Sowohl die Werke von Annie Ernaux als auch Paula Rego vermitteln eindringlich, wie stark und autonom Frauen trotz der Herausforderungen sein können, mit denen sie konfrontiert werden. Ich wünsche mir, dass Ernaux Regos Werken im Museum begegnet – als Anerkennung dafür, dass ihre und viele andere Geschichten endlich sichtbar gemacht wurden. Die öffentliche Verhandlung von Abtreibungs-Geschichten wie denen von Ernaux und Rego bricht das Schweigen über ein gesellschaftliches Tabuthema und macht die kollektive Erfahrung sichtbar. Sie fordert patriarchale Narrative heraus, stärkt Betroffene durch Repräsentation und lenkt den Blick auf die politische Dimension des Rechts auf Selbstbestimmung.
C.H. ist ausgebildete Primarlehrerin und Sozialarbeiterin und absolviert nun den Master in Soziologie und Geschlechterforschung in Basel. Gleichzeitig unterrichtet sie Kinder aus dem Bundesasylzentrum als Klassenlehrperson.
Literaturverzeichnis
Ernaux, Annie: Das Ereignis. Suhrkamp, 2022.
Schutzbach, Franziska: «Anti-Abtreibungspolitik soll das Unbehagen an der Emanzipation schüren.» In: Direkt Magazin, 15.08.2024.
Schutzbach, Franziska: «Auflehnung.» In: Reifert, Eva und Kunstmuseum Basel: Paula Rego: Machtspiele. Hirmer, 2024, S. 167–173.
Beitragsbild: Franziska Schutzbach während ihrem Input. art of intervention: Du sollst Mutter sein, Kunstmuseum Basel | Neubau, 09.10.2024, Foto: ©Ronja Burkard.