Von Subeer Ismail
Der Duden definiert Rassismus als eine «Lehre, Theorie, nach der Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen oder ethnisch-kulturellen Merkmalen anderen von Natur aus über- bzw. unterlegen sein sollen». Diese Definition ist wohl den meisten bekannt, selbst denen, denen ich das gerne nochmals (wütend) ans Herz legen möchte. Doch Rassismus ist viel komplexer, vielschichtiger, verzwickter, hassvoller, offensichtlicher, aber doch auch unterschwelliger als meiner Umgebung klar sein sollte / zu sein scheint.
Es gibt nicht nur eine Form von Rassismus: Es gibt beispielsweise den strukturellen und den institutionellen Rassismus, welche beide gerne mal meinen Eltern ein Bein stellen. Es gibt den internalisierten Rassismus, der gerne meiner Wenigkeit ein Bein stellt. Und weiterhin auch den interpersonellen Rassismus, der meinen Eltern, mir, meinen Geschwistern und meinen Freundinnen und Freunden ganz schön heftig auf den Sack gehen kann. Der interpersonelle Rassismus drückt sich im Alltag aus.
So unterschiedlich jegliche Formen von Diskriminierung auch sein können, eines haben sie gemeinsam: Sie können ganz fest schmerzen.
Wie bei allen Formen von Marginalisierungen ist auch Rassismus nicht komplett zu begreifen, ohne ihn selbst erlebt zu haben. So unterschiedlich jegliche Formen von Diskriminierung auch sein können, eines haben sie gemeinsam: Sie können ganz fest schmerzen. Rassismus ist als eine Grenzüberschreitung und traumatische Erfahrung zu verstehen, welche psychisch und somit auch physisch töten kann. Dazu fällt mir gerade eine Geschichte des senegalesischen Regisseurs Ousmane Sembène ein. In «La noire de…» treibt es die Protagonistin aus Dakar auf der Suche nach Empowerment als Dienstmädchen nach Frankreich. Dort findet sie jedoch keine Befreiung, sondern nur Unterdrückung. Am Ende ihrer Suche nimmt sie sich das Leben. Todesursache: Rassismus.
Das Nervige am Alltagsrassismus ist auch, dass man ihm schlecht ausweichen kann, denn er ist nicht steuerbar und trifft einen oft ganz unvorbereitet.
Der Alltagsrassismus, der sich oft in Form von Mikroaggressionen zeigt, kann dabei sehr anstrengend werden, da er zunächst vielleicht unscheinbar und harmlos, oder zumindest verkraftbar, wirkt. Über die Zeit addiert sich der Alltagsrassismus aber massiv und kann deswegen auch fest schmerzen. Das Nervige am Alltagsrassismus ist auch, dass man ihm schlecht ausweichen kann, denn er ist nicht steuerbar und trifft einen oft ganz unvorbereitet. Er lauert im Alltag und wartet nur darauf aufzutauchen – sei es im Arbeitsleben, auf der Strasse, an einem Geburtstagsfest oder beim Einkaufen. Eine Interaktion mit weissen Personen kann ganz schnell mal den Tag versauen. Fragen wie «Bist du ein Massai? Du bist ja so gross und schlank!» oder «Spielst du Basketball?» oder «Sprichst du Deutsch?», welche ich gelegentlich erhalte, scheinen einzeln betrachtet sogar mir harmlos. Angehäuft kamen mir solche Kommentare aber auch schon wie einen Schlag ins Gesicht vor. Schlimm ist es insbesondere, wenn diese Mikro-Aggressionen nicht mal «böse gemeint» sind. Denn benennst du eine solche rassistische Interaktion beim Namen, wird aus dir als Opfer blitzschnell ein Täter.
Wie ihr erkennen könnt, bereitet mir dieses Thema grosse Kopfschmerzen. Doch der grösste Kopfschmerz ist das Gefühl, welches der Alltagsrassismus in mir auslöst. Denn solche Interaktionen erinnern mich – wie dieser Text, den ich selbst tippe – daran, dass ich anders sein sollte. Denn selbst mit diesem Text halte ich nichts anderes fest als meine Marginalisierung, die ich verabscheue, und bestätige sie somit.
So wichtig ich den Diskurs über Rassismus finde, genauso fest nervt er mich manchmal auch. Denn schon allein, dass ich über Rassismus sprechen muss, dass ich diesen Text schreibe, macht deutlich, dass ich unter Rassismus leide und diese Reflektion selbst trägt so zu meiner Veranderung (othering) bei. Doch was mehr schmerzt als kritische Debatten über Rassismus, ist Rassismus selbst, weshalb ich dieses Dilemma so annehmen kann.
Hoffnungslos strebe ich eine Welt an, in der ich nicht täglich gefragt werde, ob ich Basketball spiele. In der eine weisse Person nicht versucht zu erraten, woher ich denn «wirklich komme». In der ich nicht schon wieder auf meine Hautfarbe reduziert werde. Versteht diesen Text als einen Appell an die weisse Mehrheitsgesellschaft: Lasst mich einfach Subeer sein!!!
Subeer Ismail ist ein junger Mann aus Basel, der (noch?) nicht genau weiss, was aus ihm werden soll.
Beitragsbild: © Privat.