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prache ist machtvoll. Sie strukturiert unsere Wahrnehmung und wirkt handlungsanleitend. Die Art, wie Sachverhalte benannt, verschwiegen, angedeutet oder umgangen werden, hat massgeblichen Einfluss darauf, wie Menschen sich selbst, ihr Umfeld und jenes wahrnehmen, das ihnen unbekannt ist oder gar fremd gemacht wird. Wie über Menschen in öffentlichen Medien und Institutionen gesprochen und geschrieben wird, beeinflusst, ob sich diese wahr- und ernst genommen fühlen oder nicht. Zudem beeinflusst es ihre materiellen Bedingungen: Welche Rechte, Teilhabemöglichkeiten, Versorgung/Sorge (etwa medizinische und soziale) und Ressourcen ihnen zugestanden werden, spiegelt sich in ihrer Repräsentation. Davon können diverse zivilrechtliche Bewegungen – etwa antirassistische, behindertenrechtliche, queere und feministische – zahlreiche Geschichten erzählen. Und natürlich stellt sich auch die Frage, wer diese Geschichten erzählt: Wem wird kulturelles kreatives Schaffen zugestanden und ermöglicht – und wem nicht?
Sprache stellt Wirklichkeit her, ist ein Instrument, mit dem wir Menschen die Welt strukturieren und auch regieren. Sie ist, wie wir etwa anhand der Kolonialgeschichte eindrücklich erfahren können, ein Herrschaftsinstrument: über Sprache wird auch eine «Ordnung der Dinge», werden Machtverhältnisse und Existenzweisen ermöglicht oder ausgeschlossen.

Sprache ist gleichzeitig etwas Lebendiges, etwas, das wir alltäglich tun. Wir bearbeiten Sprache permanent, mal unbewusst, mal absichtlich. Sprache verselbständigt und wandelt sich. Sie ermöglicht Begegnung, gehört uns allen und gleichzeitig niemandem. Sprache möglichst inklusiv zu verwenden, bedeutet, viele verschiedene Formen der Sprache zu nutzen. Möglichst diskriminierungsarm zu sprechen, bedeutet, Verletzungen durch Sprache durch Stereotypisierung, durch falsche Anrede und übergriffiges Sprechen zu vermeiden. Darüber hinaus ist Sprache ein zentrales Mittel für kritisches Denken und Handeln sowie für kollektive und persönliche Ermächtigung als Widerstand zu den gegebenen Strukturen. Sprache wohnt zudem ein poetisches Potenzial inne, mit dem wir die gegeben Verhältnisse einander erfahrbar machen können, wir können das Gegebene durchqueren, auf den Kopf stellen und können sogar alternative Welten erfinden und formulieren.

Die einzelnen Bausteine von Sprache sind Wörter, die wir mit ihren Bedeutungen versehen zusammenfassen in einem Lexikon. Wenn wir verstehen wollen, wie sich eine Gesellschaft, eine Gruppe von Menschen, eine wissenschaftliche Disziplin strukturiert, kann ein Blick in ein solches Lexikon helfen. Inspiriert von bereits bestehenden Lexika, wie etwa dem historisch-kritischen Wörterbuch des Feminismus, dem historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus, der Stanford Encyclopedia of Philosophy, sowie intervenierenden, auf abschliessende Vollständigkeit verzichtenden Projekten, wie dem Glossar im Handbuch Neue Schweiz (herausgegeben von INES, Diaphanes 2021, S. 354-371), Sprachmächtig. Glossar gegen Rassismus, dem Glossar für eine rassismussensible Sprache, Das Wissen der Künste ist ein Verb – ein Glossar und Who writes his_tory?, haben wir beschlossen, ebenfalls eine digitales «Wörterbuch» zu konzipieren.

Mit dem «Lexikon der Intervention» möchten wir laufend Begriffe vorstellen und besprechen, die wir als wichtige Werkzeuge der Analyse und der Intervention in / durch Sprache, Kunst und Kultur, für Forschung- und Bildungsarbeit sowie für die gemeinsame Entwicklung neuer, konstruktiver Strategien für ein gerechteres und inklusiveres Zusammenleben betrachten. Die hier geteilten Beiträge geben Einblick in die Perspektiven zahlreicher Kompliz*innen, die auf manchmal ungewöhnliche Weise Begriffe wählen und zugänglich machen. Es geht in diesem Sinne nicht um abschliessende Erläuterungen, sondern um Interventionen in unsere gewohnten Sprach- und Deutungsmuster, um Diskussions- und Gesprächsangebote, um Einladungen, sich mit einem Begriff auseinanderzusetzen. Mit diesen Begriffen kommen aktuelle Sprachdebatten, theoretische Auseinandersetzungen und aktivistische Gegen-, Neu- und Umbesetzungen unseres Sprechens zu Wort. Mal eher analytisch, mal provokant, mal poetisch.

Das Lexikon der Intervention unterwandert daher selbst die Idee eines Lexikons: Es geht nicht um Feststellung von Bedeutung, sondern um Vervielfachung von Bedeutung. Es geht nicht um Vereindeutigung, sondern um das Zulassen vielfacher Bedeutung im Kontext vielfältiger Erfahrungen. Die Lexikoneinträge sollen Diskussionen eröffnen, nicht abschliessen. Wir hoffen, dass die hier geteilten Einträge zum Weiterdenken anregen und Mut zur Intervention machen.

Menschen halten eine Initiale zwischen pflanzlichen Arabesken, «Le Mans». Stadtbibliothek, Ms. 214, fol. 26v., ca. 1100-1110. Creative Commons Lizenz CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication. Heruntergeladen via Wikimedia Commons.


Lexicon of Intervention

anguage is powerful. It structures our perception and guides our actions. The way in which facts are named, concealed, hinted at or avoided has a significant influence on how people perceive themselves, their environment and that which is unknown to them or even made unfamiliar. How people are spoken and written about in public media and institutions influences whether or not they feel seen and taken seriously. It also influences their material conditions: What rights, opportunities for participation, care/provisions (e.g. medical and social) and resources they are granted is reflected in their representation. Civil rights movements – such as anti-racist, disability rights, queer and feminist movements – can share stories about this. And, of course, there is also the question of who tells these stories. Who is granted and afforded cultural creativity – and who is not?
Language creates reality and is an instrument with which humans structure and govern the world. As we can clearly see from colonial history, for example, it is an instrument of power: language is also used to create an «order of things», to enable or exclude power relations and modes of existence.

Language is also a living thing, something we do every day. We are constantly working on language, sometimes unconsciously, sometimes deliberately. Language takes on a life of its own and changes continously. It enables encounters, it belongs to all of us and at the same time to no one. Using language as inclusively as possible means using many different forms of language. Speaking with as little discrimination as possible means avoiding injuries caused by language through stereotyping, incorrect forms of address and offensive language. Furthermore, language is a central tool for critical thinking and action as well as for collective and personal empowerment as resistance to the given structures. Language also has an inherent poetic potential with which we can make the given conditions tangible to one another, we can traverse the given, turn it on its head and even invent and formulate alternative worlds.

The individual building blocks of language are words that we summarize with their meanings in a lexicon. If we want to understand how a society, a group of people or a scientific discipline is structured, consulting a lexicon may help. Inspired by existing lexicons, such as the historical-critical dictionary of feminism, the historical-critical dictionary of Marxism, the Stanford Encyclopedia of Philosophy, as well as intervening projects that refrain from conclusive completeness, such as the glossary in Handbuch Neue Schweiz (edited by INES, Diaphanes 2021, pp. 354-371), Sprachmächtig. Glossar gegen Rassismus, Glossar für eine rassismussensible Sprache, Das Wissen der Künste ist ein Verb – ein Glossar, and Who writes his_tory?, we too decided to create a digital «dictionary».

With the «Lexicon of Intervention» we regularly present and discuss terms that we consider to be important tools for analysis and intervention in / through language, art and culture, for research and educational purposes and the joint development of new, constructive strategies for a more just and inclusive coexistence. The contributions shared here provide insight into the perspectives of numerous accomplices who choose and make accessible concepts in sometimes unusual ways. In this sense, the lexicon entries are not about conclusive explanations, but about intervening in our usual patterns of language and interpretation, an invitation to discuss, exchange and engage with each other. The terms in our lexicon open up space for current language debates, theoretical discussions and activist modes of  counterering dominant language use as well as and (re)appropriating, (re)claiming and (repurposing it. Sometimes analytically or theoretically, sometimes in poetic or activist ways.

The lexicon of intervention undermines the very idea of a lexicon: it is not about establishing meaning, but about multiplying meaning. It is not about unification, but about allowing multiple meanings as a reflection of multiple experiences. We envisage our entries to subvert conventional intentions of a lexicon, to open up, instead of closing down, to inspire, stimulate thought and reflection, and give confidence to intervene.



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Bannerbild: Menschen halten eine Initiale zwischen pflanzlichen Arabesken, «Le Mans». Stadtbibliothek, Ms. 214, fol. 26v., ca. 1100-1110. Creative Commons Lizenz CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication. Heruntergeladen via Wikimedia Commons.
Initiale S: S-Initiale auf Fleuronnéegrund, im Buchstabenkörper zwei Drachen, an den Hälsen umeinander geschlungen, rechts und links an den Außenseiten des Buchstabens je ein Gesicht (Fratze). Seite aus dem Codex Palatinus germanicus 4, Blatt 155r der Handschrift: «Rudolf von Ems, Willehalm von Orlens», gestaltet von Konrad Bollstatter, zw. 1455 und 1479. Digitalisat der UB-Heidelberg, Heidelberger historische Bestände. Creative Commons Lizenz CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication. Heruntergeladen via Wikimedia Commons.
Initiale L: Initiale mit Schreiberbild und Mönch mit Schriftband. Seite aus einer Sammelhandschrift (Textus varii), Prag, Národni knihovna, XXIII F 138 (Lobkowitz 500; ehemals Kloster Weißenau), fol. 2r, ca. 1150 and 1300 (zugeschnitten). Creative Commons Lizenz CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication. Heruntergeladen via Wikimedia Commons.