Von Sophie Bürgi. Ein Rückblick auf den feministischen Salon vom 14. November 2023 «Muse, Nonne, Star. Weibliche Perspektiven auf Musik zwischen Früher Neuzeit und heute» in der Kaserne Basel.

Ein Dienstagabend im kalten November, Menschen strömen in den Rossstall der Kaserne Basel. Hier wird heute Abend über weibliche Perspektiven auf Musik diskutiert, genauer gesagt, über europäische Musik von der Frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert. Gespannt sitze ich in der zweit-hintersten Reihe. Das Publikum ist ziemlich altersdurchmischt, ich erspähe sowohl Menschen mit grauen Haaren wie auch Besucher*innen um die 20. Neben der Bühne werden noch schnell die Instrumente gestimmt – der feministische Salon diskutiert heute nicht nur über Musik, sondern wird selbst musikalisch.

Den Einstieg des Abends bildet ein Stück, dass die Gambistin und Sängerin Giovanna Baviera spielt und singt – wie schön sinnlich, dieser Start, denke ich und lehne mich entspannt zurück, um die wunderbare Musik zu geniessen. Nach dieser klingenden Einleitung werden die drei Expert*innen im Bereich alter Musik vorgestellt: Neben Baviera sind die Geiger*innen Anaïs Chen und Matthias Klenota auf der Bühne, um mit Caroline Faust über historische Frauenfiguren in der Musikwelt zu diskutieren.

Chen ergänzt, sie sei nicht nur Musikerin, sondern auch Mutter und sie leide übrigens im Moment an einer neurologischen Krankheit, die unter Berufsmusiker*innen häufig auftrete. Sie könne daher ihre Finger nicht immer kontrollieren und sei in ihrem Beruf eingeschränkt. Ich schätze ihre Ergänzungen und ihren Fokus auf die Materialität von Musik, die in einem bestimmten Körper und gesellschaftlichen Kontext stattfindet, der die Musik berührt, beeinflusst und formt. Musik, so könnte zusammengefasst werden, entsteht durch Wechselseitigkeit: Sie wird kontextuell-materiell geformt (Finger, die eine Saite berühren und der Hohlraum, in dem Klang entsteht) und formt gleichzeitig das Materiell-Kontextuelle (neurologische Auswirkungen; die Arbeitsverhältnisse der Musikerin).


Von musizierenden Waisenmädchen und Äbtissinnen

In seinem Beitrag erzählt Klenota, wie im 16. und 17. Jahrhundert italienische Waisenhäuser zu musikalischen Zentren wurden und besonders begabte Waisen, darunter auch Mädchen, als Musiker*innen Berühmtheit erlangten. Gleichzeitig durften sie die Mauern des Waisenhauses nicht verlassen, mussten Konzerte geben, ohne gesehen zu werden, und waren nur mit ihrem Vornamen bekannt. Eine sehr eingeschränkte musikalische Verwirklichung und keine soziale Anerkennung also, denke ich mir.

Frauen aus reichen Familien waren dagegen mobiler: Als Beispiel wird hier Isabella Leonarda erwähnt, eine Nonne und Musikerin, die im 17. Jahrhundert Äbtissin eines Klosters wurde. In einer solchen Machtposition konnte sie sich freier bewegen und sie war bekannt für ihr Geigenspiel und ihre Kompositionen, die bis heute überliefert sind.


Kurtisanen und Aristokratinnen als Performerinnen

Baviera berichtet anschliessend von ihrer Forschung über Frauen, die, wie Baviera selbst, als singende Instrumentalistinnen konzertierten. Zwar gibt es dazu einige Quellen aus dem 17. Jahrhundert, jedoch sind sie aus einer äusserst objektivierenden, patriarchalen Perspektive geschrieben. Die Musikerinnen werden als visuelles Spektakel beschrieben, ihre Lippen, ihre Eleganz und Schönheit ausführlich festgehalten – leider jedoch nicht ihr musikalisches Können.

Ferrara war damals ein bekannter Ort für singende Instrumentalistinnen. Bei aristokratischen Frauen gehörte musikalische Bildung zu geschätzten Fähigkeiten auf dem Heiratsmarkt – sie sollten aber bitte nicht zu expressiv oder kreativ sein. Bei Frauen aus den unteren sozialen Schichten waren Kurtisanen (also die damaligen Sexarbeiterinnen) ebenfalls dazu angehalten, musikalische Unterhaltung anzubieten. Ob Kurtisane oder Aristokratin: Das Bild dieser Musikerinnen blieb sehr stereotyp. Sie wurden, im Gegensatz zu ihren männlichen Zeitgenossen, trotz ihrer offensichtlichen Begabungen und Kompetenzen nicht als Kennerinnen von Musiktheorie oder als schöpferische Musikerinnen anerkannt. Sie durften nur als Performerinnen auftreten. Eine Ausnahme war Tarquinia Molza, die dank ihrem offenen Vater eine fundierte musikalische Bildung erhielt und später als Berufsmusikerin am Hof tätig war – allerdings nur, bis ihr eine Affäre nachgesagt wurde und sie den Hof verlassen musste. Auch hier bildeten patriarchale Verhältnisse den einschränkenden Rahmen für musizierende Frauen.


Musik ist Körper, Material und Technik

Die dargestellten historischen Einschränkungen für Musikerinnen sind zwar wenig überraschend, trotzdem betrüben sie mich – zum Glück gibt es ein empowerndes Zwischenspiel: Die drei Gäste spielen ein Stück der oben erwähnten Komponistin Isabella Leonarda. Während der Aufführung fallen die Noten herunter, schnell werden sie von Chen und Baviera aufgelesen und wieder gerichtet, während Klenota kurz improvisiert. Chen nimmt nach dem Stück Bezug auf diese kleine Panne: Musik sei eben nicht nur Fantasie und Geist, sondern spiele sich in der materiellen Welt ab. Sie ist körperlich, technisch – kurz vor der Veranstaltung sei bei ihrer Geige auch eine Saite gerissen. Musik ist zudem immer eingebunden in ihren historischen Kontext und darin aktuelle Entwicklungen, wie beispielswiese technische Neuerungen, die andere Instrumente oder Musizierweisen hervorbrachten. Sie entsteht nicht im luftleeren Raum eines musikalischen, individuellen (im Kanon meist männlichen) Genies, sondern baut auf musikalischen Vorgänger*innen und Mitmenschen auf. Diese Kritik an den vergeschlechtlichen Dichotomien von männlich – weiblich, Geist – Körper leuchtet mir sofort ein. Um Musik inklusiver zu machen, muss ihre Materialität, Körperlichkeit und ihre gesellschaftlichen Bedingungen zuerst reflektiert werden – damals wie auch heute.


Fanny Mendelssohn und Clara Schuman: Musikerinnen im 19. Jahrhundert

Chen erzählt von zwei beeindruckenden Frauenbiografien aus dem 19. Jahrhundert: Fanny Hensel (geb. Mendelssohn) und Clara Schumann (geb. Wieck). Beide hatten männliche Bezugspersonen, die bis heute viel mehr Ruhm und Ehre einheimsen als sie selbst: Fanny Hensels Bruder Felix Mendelssohn und Clara Schumanns Ehemann Robert Schumann. Fanny Mendelssohn wuchs in einer wohlhabenden Familie auf – sie hatte Glück und durfte dank ihrem aufgeklärten Vater musikalische Bildung geniessen. Sie war ein grosses musikalisches Talent, spielte Klavier und komponierte – anders als ihr Bruder musste sie aber als Frau «Amateurin» bleiben. Felix lobte zwar ihr hohe musikalische Begabung und ihre Werke, sagte aber zugleich, sie solle ihre Kompositionen nicht unter ihrem Namen veröffentlichen. Seit den 1980er Jahren wird Fanny Hensels Werk vertieft untersucht und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht – tatsächlich gespielt werden ihre wunderbaren Kompositionen aber immer noch viel zu wenig, kritisiert Chen.

Clara Wieck musste hingegen schon in jungen Jahren viel konzertieren, denn sie kam aus einfachen Verhältnissen. Ihr Vater nutzte ihre hohe musikalische Begabung als Einnahmequelle. Durch die Kommerzialisierung im 19. Jahrhundert war Musik nicht mehr wie früher einer kleinen Elite, sondern einem grösseren Teil der Bevölkerung zugänglich. Und es liess sich damit Geld verdienen! Nach ihrer Heirat mit Robert Schumann gebar Clara Schumann acht Kinder – ihre Arbeit als Künstlerin sollte sie nach der Heirat, so Robert, zur Seite legen und nicht mehr so stark in der Öffentlichkeit stehen. Dieser patriarchale Anspruch war jedoch aus praktischen Gründen nicht umsetzbar: Die Familie war auf die Einnahmen aus Clara Schumanns Konzerten angewiesen. Sie war als Pianistin zu ihrer Zeit berühmter (und lukrativer) als Robert als Komponist und musste seine Werke spielen, um ihm zu mehr Bekanntheit zu verhelfen. Manchmal geschah dies unter grössten Strapazen, so spielte sie ein Konzert kurz nachdem sie eine Fehlgeburt erlitten hatte. Robert starb 40 Jahre vor Clara Schumann – sie arbeitete danach viel, konzertierte, unterrichtete und gab zusammen mit Johannes Brahms das Gesamtwerk ihres Mannes heraus.


Vielfältige Werke auf die Bühnen!

Beeindruckend, wie Musikerinnen früherer Jahrhunderte schöpferisch tätig waren – und gleichzeitig bedrückend, wie sehr sie von patriarchalen Verhältnissen, dem Kapitalismus oder ihrer sozialen Schicht eingeschränkt und von Anerkennung, Freiheit und Selbstverwirklichung ausgeschlossen wurden. Ich frage mich, inwiefern es für diese Frauen trotz der limitierenden gesellschaftlichen Verhältnisse ermächtigend war, zu musizieren oder zu komponieren. Was gab ihnen die Musik, was zogen sie für sich selbst aus ihrem musikalischem Schaffen? Für mich zeigten die Diskussionen des Abends, wie marginalisierte Menschen sich trotz aller Widerstände in die (Musik)Geschichte einschreiben. Eine Stimme aus dem Publikum ergänzt, dass dank jahrzehntelanger Arbeit nun zahlreiche Werke von Komponistinnen aufgearbeitet, digitalisiert und frei zugänglich sind – sie müssen nur endlich gespielt werden.[1]

Was muss jetzt noch passieren, damit ihre Werke endlich Teil unseres Kanons sind und selbstverständlich gespielt werden – von grossen Orchestern, berühmten Musiker*innen ebenso wie von Musikschüler*innen? Es wurde an diesem Abend allzu deutlich, wie viel Arbeit noch vor uns liegt, um weitere historische Figuren sichtbar zu machen (z.B. Musiker:innen of Color oder musizierende Arbeiter:innen), ihre Musik im breiten Kanon zu verankern und ihnen die längst überfällige Sichtbarkeit und Anerkennung, die sie schon seit Jahrhunderten verdient hätten, zuzugestehen.  


Sophie Bürgi ist als Schulbesucherin von ABQ unterwegs, um mehr Wissen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in die Schweizer Schulzimmer zu bringen. Sie hat Geschlechterforschung und Deutsche Literaturwissenschaft an der Uni Basel studiert und arbeitet hauptberuflich in der Kommunikation.


[1] Aktuell setzt sich z.B. die Initiative Female Classics für eine höhere Diversität im Musikbetrieb ein.


Beitragsbild: Eindrücke vom feministischen Salon im November 2023, aufgenommen von der Autorin.