Von Sophia Westarp
Unterwegs im Kleinbasel: Nach dem Start an der Irrsinn Bar (ehemals Dupf Bar, einem wichtigen Treffpunkt für schwule Männer) geht es vorbei am «Hirschi», dem früheren Schwulen-Buchladen Arkados, und dem schmalsten Haus der Stadt. Neben wichtigen Treffpunkten der queeren Szene führt die neu ins Leben gerufene Pride Tour vorbei an bekannten Basler Sehenswürdigkeiten. Dabei lädt sie ein zum Nachdenken über Themen von Geschlecht, Identität und Gesellschaft.
Dialogische Zeitreise mit Tiefgang
Etwa fünfzehn Personen folgen den beiden Guides, darunter sowohl interessierte Basler*innen als auch Tourist*innen. Voran gehen zwei Studierende der Gender Studies – Requisitentasche in der Hand. An den verschiedenen Stationen schlüpfen die beiden Guides in Rollen historischer und fiktiver Persönlichkeiten. Im dialogischen Format treten diese Charaktere miteinander in Kontakt und tauschen sich aus – über Begriffe, gesellschaftliche Normen und Vorstellungen ihrer Zeit. Dabei sind sie sich nicht immer einig, doch genau das macht den Reiz aus. Die Inszenierung eröffnet Raum für Diskussion und Reflexion.
Was zählt, ist die Offenheit, mit der sich diese Figuren – und auch die Teilnehmenden – begegnen. Diese Haltung möchten wir vermitteln. Mit «wir» meine ich mich und zwölf weitere Studierende, die diese Tour ausgearbeitet und geleitet haben. In einer Zeit, in der Polarisierung, Hass und Diskriminierung noch immer zu viel Raum einnehmen, braucht es Formate, die Brücken bauen und Verständnis fördern.
Von der Uni auf die Strasse
Entwickelt wurde die Tour, wie bereits erwähnt, von Studierenden der Gender Studies. In einem Kurs wurde über drei Monate hinweg intensiv gearbeitet: Zuerst wurde recherchiert, dann Stationstexte geschrieben, überarbeitet und geprobt – bis die Führung schliesslich stand. Dabei war es uns besonders wichtig, nicht nur historische Fakten zu vermitteln, sondern auch emotionale Zugänge zu ermöglichen. Das dialogische Format macht es den Teilnehmenden möglich, mit den Guides etwa 60 Minuten lang in die Geschichte einzutauchen.
Informationen zu finden, war nicht immer einfach, da ein Grosssteil queerer Geschichte erst noch geschrieben, bzw. festgehalten werden muss.
Viele der Erzählungen basieren auf Archivmaterial, Interviews und Biografien. Informationen zu finden, war nicht immer einfach, da ein Grosssteil queerer Geschichte erst noch geschrieben, bzw. festgehalten werden muss. Umso schöner ist es, nun zu sehen, wie Teilnehmende an den Führungen neue Einblicke in die queere Geschichte und Gegenwart Basels erhalten. Die Tour soll nicht belehren, sondern berühren.
Sichtbar machen, was lange im Verborgenen lag
Die Orte, an denen die Tour vorbeiführt, gibt es schon seit Langem. Als Passant*innen laufen wir täglich daran vorbei, ohne zu wissen, welche Geschichten sich hinter den Türen und Fassaden verbergen. Die Führung rückt diese Orte in neues Licht – als Teil einer queeren Geschichte, die bislang nur wenig erzählt wurde.
Gebäude wie das Naturhistorische Museum oder die alte Universität stehen für die Institutionen unserer Gesellschaft, die queere Existenzweisen über Jahrhunderte hinweg pathologisiert und kriminalisiert hat. In der medizinischen Sammlung der Universität Basel finden sich auch heute noch Spuren dieser dunklen Vergangenheit – sei es in Form alter Lehrbücher oder pathologischer Fallstudien. Indem wir diese Stationen einbeziehen, erinnern wir an das Unrecht, das queeren Menschen in der Vergangenheit widerfahren ist – und rufen gleichzeitig zur Auseinandersetzung mit aktuellen Diskriminierungsformen auf.
Im Kontrast zu den dunklen Kapiteln wird spürbar, wie wichtig sogenannte «safer spaces» waren – und heute noch sind. Sie bieten geschützte Räume, in denen sich Menschen entfalten, ausprobieren und sicher fühlen können. Während das Kollektiv am Hirscheneck nach wie vor einen bedeutenden Ort der links-alternativen Szene Basels darstellt, ist der Arkados-Buchladen inzwischen geschlossen. Dennoch bleibt er ein wichtiger Teil der queeren Erinnerungskultur der Stadt – ebenso wie viele andere Orte, die auf der Tour eine Bühne erhalten.
Anlass Eurovision Song Contest – und doch weit darüber hinaus
Anlass für die Erstellung der Führung war der diesjährige Eurovision Song Contest (ESC) in Basel. Der ESC ist nicht nur Touristenmagnet, sondern seit Jahrzehnten auch ein kultureller Fixpunkt für die LGBTIQ+-Community. Bereits in den 1970er Jahren avancierte der Wettbewerb zu einem Symbol für queere Sichtbarkeit. Nicht zuletzt gilt er als «grösste Gay-Pride-Parade der Welt».
Mit dem Sieg von Nemo – der ersten offen nonbinären Person, die den ESC gewann – verstärkte sich dieser Trend noch einmal. Für viele junge Menschen wurde der Song-Contest dadurch zu einem Ort der Repräsentation und Identifikation. Nemos Auftritt war nicht nur musikalisch, sondern auch gesellschaftlich ein Statement.
Queeres Leben braucht Raum.
Dennoch geht es in der Pride Tour nicht vorrangig um den ESC. Vielmehr hat der Wettbewerb den Anstoss gegeben, eine bestehende Lücke im touristischen Angebot der Stadt zu schliessen: eine queere Stadttour, die Geschichte, Gegenwart und persönliche Erzählungen miteinander verwebt.
Ein Projekt mit Zukunft
Möglich wurde die Tour durch eine Kooperation der Universität Basel mit Art of Intervention, Genderbox und Basel Tourismus. Vor und während des ESC wurde sie auf Deutsch und Englisch angeboten, sowohl als öffentliche Führung als auch für geschlossene Gruppen. Die Resonanz ist positiv: Viele Teilnehmende zeigen sich berührt, inspiriert und dankbar für die neuen Perspektiven, die ihnen die Tour eröffnet.
Auch nach dem ESC bleibt die Tour nun im Programm von Basel Tourismus: öffentliche Führungen werden zukünftig ein- bis zweimal pro Monat angeboten, Gruppenführungen sind jederzeit buchbar. Das nächste Datum ist der 28.6. anlässlich der Basel Pride. Gerade weil queere Geschichte in der öffentlichen Wahrnehmung oft noch wenig präsent ist, ist dies ein wichtiger Schritt: Queeres Leben braucht Raum. In unseren Erzählungen, in unserem Denken – und in der Mitte der Stadt.
Beitragsbild: Pride Tour, Mai 2025. Foto: Dominique Grisard.