«Ohne Care-Arbeit bricht das System zusammen». Sechs Fragen an Mareike Fallwickl

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Von Mareike Fallwickl mit Fragen von Andrea Zimmermann.

Am 30. April, um 19 Uhr, spricht Mareike Fallwickl am Literaturhaus Basel über ihr jüngst erschienenes Buch «Und alle so still». Für Art of Intervention hat sie vorab ein paar Fragen beantwortet.


Wie bist Du auf das Thema der Verweigerung gestossen und was hat es in Dir (im Zusammenhang mit Care-Arbeit) ausgelöst?

In meinem Roman «Die Wut, die bleibt» sagt Lola, das ist eine der Protagonistinnen, sinngemäss: «Stellt euch vor, Frauen tun all diese Dinge nicht mehr, sie kochen nicht, sie putzen nicht, sie verweigern die Kraft ihrer Körper, über die ständig fremdbestimmt wird», und als ich das 2021 geschrieben habe, habe ich kurz innegehalten und mir gedacht, das wird dann der nächste Roman. Von da an habe ich mich zwei Jahre lang intensiv mit Streik und Verweigerung beschäftigt. Der Kraft, die dahintersteckt. Ich war außerdem auf vielen politischen Bühnen und in Diskussionen über die Überlastung von Müttern, über Sorgearbeit und ungleiche Strukturen, und immer enden diese Gespräche mit dem Satz: «Ohne Care-Arbeit bricht das System zusammen.» Aber ich wollte, dass dieser Satz nicht das Ende ist, sondern der Anfang: Was passiert, wenn das System zusammenbricht? Wer merkt es als Erstes? Welche Auswirkungen hat das? Und wie schnell geht es?

Wie hast Du Dir das Thema Verweigerung zu eigen gemacht? Wo hast Du recherchiert?

Ich habe viel gelesen über prekäre Arbeitsbedingungen und das Gesundheitswesen, ich habe mit Ridern[1] gesprochen und Interviews geführt. Ursprünglich hatte ich nicht geplant, ein Buch über die Pflege zu schreiben, das ist durch die Figur entstanden. Ich wollte eine Frau haben, Mitte 50, die sich kümmert, sich aufopfert, ständig über ihre Grenzen geht, aber ich wusste anfangs nicht, wo die zu verorten wäre, was sie machen könnte. Deshalb hab’ ich ins Internet geschrieben: Ich suche Frauen, die in einem Krankenhaus oder einem Altersheim arbeiten und mir Fragen beantworten könnten. Da haben sich viele Frauen gemeldet, und sie haben sich trotz ihrer Überlastung die Zeit genommen, meine Fragen zu beantworten. Und was da zurückgekommen ist an Geschichten und Einblicken, hat mich wiederum so erschüttert, dass ich wusste: Dieser Roman braucht unbedingt Platz dafür, wir brauchen allgemein viel mehr Aufmerksamkeit dafür. Alles, was davon im Buch vorkommt, ist echt. Nichts davon hab’ ich mir ausgedacht.

Ist Verweigerung eine Weise der Kritik für Dich? Und inwiefern ist das eine feministische Kritik? Was hat Verweigerung mit Zukunft zu tun?

Die Verweigerung im Buch entsteht durch ein kollektives Burn-out: Die Ressource «weibliche Arbeitskraft», an der die gesamte Gesellschaft sich bedient hat, ist zu Ende. Und da entsteht ein interessantes Vakuum: Wenn Arbeit nicht bezahlt wird, wenn es keine Verträge dafür gibt, keine Aufmerksamkeit, keine Wertschätzung, keine Absicherung, keine Unterstützung, wenn diese Arbeit also offiziell nicht einmal existiert, wie geht der Staat dann damit um, wenn sie nicht mehr getan wird – und sich auf einmal zeigt, wie essenziell sie die ganze Zeit gewesen ist? Das, was wir im kapitalistischen System tun, nennt sich «freiwillige Selbstausbeutung». Natürlich ist es ein kritischer Roman, und natürlich ist er feministisch. Weil es immer sofort als feministisch gilt, zu sagen: Frauen sind auch Menschen.

[…] wenn diese Arbeit also offiziell nicht einmal existiert, wie geht der Staat dann damit um, wenn sie nicht mehr getan wird – und sich auf einmal zeigt, wie essenziell sie die ganze Zeit gewesen ist?

Du hast Deinen Roman Deinem Sohn gewidmet mit dem Satz «damit er versteht, dass die Männer sich neu orientieren müssen, dass wir nur vorankommen werden, wenn wir in dieselbe Richtung gehen – gemeinsam.» Was meinst Du damit? Warum kann Veränderung nur mit allen gelingen und wie kann das aussehen?

In meinem aktuellen Sachbuch «Liebe Jorinde oder Warum wir einen neuen Feminismus des Miteinanders brauchen» geht es genau darum: «Ich bin überzeugt, wenn wir als Gesellschaft Jungs und Männer weiterhin zu Tätern machen, sie für ihre Täterschaft mit Macht, Aufmerksamkeit und Ansehen belohnen, wenn wir ihnen weiterhin mitgeben, dass sie nichts anderes sein können als Täter, wird auch der Feminismus nicht weiterkommen. Weil zu viel Kraft und Zeit durch den ‹Kampf der Geschlechter› verloren geht, weil der alte Spruch ‹Streiten sich zwei, freut sich der Dritte› etwas Wahres hat: Das Patriarchat muss kaum etwas tun, wir erledigen das selbst.»

Welche Erfahrungen hast Du bisher in Gesprächen über Deine Bücher gemacht? Was für Reaktionen von Leser*innen sind Dir begegnet?

Ich bekomme sehr viele Nachrichten von Lesenden, die meisten Frauen schreiben: Endlich fühle ich mich nicht mehr so allein, ich fühle mich gesehen. Viele haben sich nach der Lektüre meiner Bücher scheiden lassen oder sie haben sich getraut, sich die Haare abzurasieren, sie haben Frauennetzwerke gegründet oder angefangen zu boxen. Männer haben mir Nachrichten geschickt, dass sie eigentlich gedacht haben, mit ihren Partnerinnen gleichberechtigt zu leben, dass sie jetzt aber alles nochmal neu überdenken und anders planen werden. In Österreich ist sogar ein Politiker – Michael Lindner in Oberösterreich – zurückgetreten, nachdem er meinen Roman gelesen hatte, weil er seinen Söhnen ein besserer Vater sein möchte.

Hast Du schreibende Frauen zum Vorbild, wenn ja welche und warum? Gibt es eine Autorin (oder mehrere), die Dir besonders nahesteht?

Alle Autorinnen, deren Bücher ich in jede verfügbare Kamera halte, sind nicht meine Konkurrentinnen, sie sind meine Schwestern: Alles, was ich auf der Bühne sage, ist nur deshalb so klug, weil schon andere Frauen die Vorarbeit geleistet haben. Dazu gehören beispielsweise bell hooks und Audre Lorde, Franziska Schutzbach und Gertraud Klemm, Emilia Roig und Jo Lücke, Patricia Cammarata und Alexandra Zykunov.


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Mareike Fallwickl: «Und alle so still»

30.04.25, 19 Uhr | Literaturhaus Basel
Mareike Fallwickl spricht über ihr jüngstes Buch: «Und alle so still». Erfahre mehr.

Bemerkungen

[1] Rider sind Essenslieferant*innen.

Bild: Mareike Fallwickl. Foto: © Gyöngyi Tasi.