Von Sophie Felber. Dieser Beitrag ist Teil der Reihe «Sailing into another future».


Zuerst überlege ich mir, was es braucht, damit wir überhaupt eine längerfristige Zukunft erleben werden können. Ich denke, dass es für uns Menschen womöglich gar keine (noch allzu lang andauernde) Zukunft geben wird, wenn diese nicht emanzipatorisch ist, daher hier meine Überlegungen, wie dies aussehen könnte.

Grundsätzlich braucht es viele grundlegende Veränderungen, damit die Zukunft für Menschen überhaupt existieren kann. Da kommt mir eine Kampagne in den Sinn mit dem Slogan «No music on a dead planet», mit welcher sich Musikschaffende für Klimaschutz einsetzen. Das Wörtchen «music» könnte durch alles Mögliche ersetzt werden. Solange wir keine Sorge tragen für unseren Planeten, müssen wir uns gar nicht erst in schönen Utopien einer emanzipatorischen Zukunft verlieren. Oder vielleicht wäre genau dies die Lösung des Problems? Vielleicht fehlen uns die Ideen, wie eine emanzipatorische Zukunft aussehen würde und was es braucht, diese Utopien zu erreichen?

Ein Zusammenspiel aus verschiedenen Gegebenheiten, wie beispielsweise die kapitalistische Produktionsweise und der damit einhergehende verschwenderische Konsum, führt uns in existenzielle Krisen wie den Klimawandel: Das Artensterben, der ungehinderte Verbrauch endlicher fossiler Rohstoffe, die gewaltvolle Verdrängung von Menschen aus ihrer Heimat, weil diese Gebiete zum Rohstoffgewinn oder zur Produktion von Gütern beschlagnahmt werden oder schlicht und einfach, weil Gebiete durch die Veränderungen des Klimawandels nicht mehr bewohnbar sind – das alles sind bereits gegenwärtige Konsequenzen.

Eine Zukunft ohne Menschen? Möglich wär’s.
Dieses Bild wurde mit dem Deep Dream Generator, einem KI-basierten Bildgenerator, hergestellt.

Die Erde wird auch diese existentielle Krise und Naturzerstörung überleben, die der Klimawandel mit sich bringen – sie hat bereits fünf solcher Ereignisse des Massensterbens überlebt. Sie wird sich anpassen und einen Weg finden, mit all dem Müll, den die Menschen hinterlassen haben, klarzukommen. Obwohl auch in der Schweiz zunehmende Temperaturrekorde (ich sitze gerade mit Trägershirt draussen, es ist der 9. Oktober und 26 Grad warm), Unwetter, Ernteausfälle und weitere Folgen des Klimawandels alarmierende Tatsachen sind, scheinen die Auswirkungen des Klimawandels die einzelnen Personen noch nicht so gravierend zu treffen, dass sie selbst Handlungsbedarf sehen würden und aktiv werden. Auch in umliegenden Ländern wie Italien und Spanien gibt es regelrechte Krisen in der Landwirtschaft, die besorgniserregend sind für die Ernährung der Bevölkerung. Nicht zu schweigen ist von Menschen, die in Gebieten leben, welche beispielsweise direkt vom Meeresspiegelanstieg, Artensterben, Urwaldabholzung, immensen Abfallansammlungen, Naturverschmutzung und -katastrophen bedroht sind und deren Auswirkungen hautnah erleben. Falls wir Menschen Teil der Zukunft sein wollen, müssen wir unsere Lebensweise hinterfragen und für mehr Gerechtigkeit in der Verteilung von Ressourcen und Macht einstehen.

Ganz realistisch gesehen, denke ich, dass die Schweizer Gesellschaft grundsätzlich nicht bereit ist, weniger zu konsumieren oder auf Luxus zu verzichten. Vielleicht gibt es Menschen, die sich für Klimaschutz interessieren und sich dafür einsetzen und daher Wert darauf legen, ihren ökologischen Fussabdruck möglichst klein zu halten. Der Grossteil der Bevölkerung wäre meiner Meinung nach jedoch nicht bereit, auf Ferien im Ausland und ein Auto zu verzichten, sparsamer mit Wasser und Energie umzugehen (bspw. nicht mehr warm zu duschen und weniger zu heizen), weniger tierische Produkte zu konsumieren, sich damit abzufinden, dass im Einkaufsladen nur regionale und saisonale Lebensmittel zu kaufen sind und nicht immer fünf Minuten vor Ladenschluss noch alle Frischwarenregale voll sind und so weiter…

So sehe ich die Zukunft eher dystopisch: eine Mischung aus optimierten Technologien für alles Mögliche sowie der vermehrte Einsatz von erneuerbaren Energien, sodass wir unseren Konsum nicht drastisch anpassen müssen, sondern der Verbrauch optimiert wird. Ohne radikale Änderung in unserer Haltung und unserem Umgang mit Ressourcen, wird der unvermeidbare Zusammenbruch komplexer Ökosysteme/Mensch-Umwelt-Systeme auf diese Weise jedoch höchstens verlangsamt, nicht verhindert.

Eine futuristisch-dystopische Zukunft? Möglich wär’s.
Dieses Bild wurde mit dem Deep Dream Generator, einem KI-basierten Bildgenerator, hergestellt.

Wenn ich über Zukunftsvisionen nachdenke, überkommt mich immer ein Gefühl, dass diese bis ins Detail zu Ende gedacht sein müssen, damit sie realisierbar sind. Ich persönlich kann nicht wirklich an eine Utopie und deren Erreichung glauben, sie vertreten, dafür kämpfen, wenn vieles davon für mich nicht stringent ist. Deshalb mache ich mir oft Gedanken, wie konkrete Änderungen aussehen könnten und diskutiere dann mit anderen darüber. Wenn diese dann nicht einverstanden sind, kommt es zu spannenden Diskussionen, die mich dazu bringen, die Idee zu überdenken, oder zu merken, dass etwas Gutes dran ist und ich sie verfestigen kann. Aus diesem Grund hier einige meiner Utopien, bzw. utopischen Handlungsmöglichkeiten / Ansätze, ohne jeglichen Anspruch an Vollständigkeit:

Im Einkaufsladen gibt es nur saisonale und regionale Lebensmittel, also keine Erdbeeren im Winter, keine Spargeln im Herbst, keine Tomaten im Februar. Die Regierung legt (auf Grundlage gesamtgesellschaftlich demokratischer Entscheidungen?) grossen Wert auf regionale und nachhaltige Lebensmittelproduktion und subventioniert diese, damit dieses Modell für alle Menschen finanziell tragbar bleibt. Es wird nur so viel produziert, wie tatsächlich gegessen wird, damit Foodwaste so weit wie möglich verhindert werden kann. Es findet zudem ein starker Wechsel im Konsum von tierischen Produkten hin zu vegetarischen und veganen Produkten statt. Menschen organisieren sich in Nachbarschaften, um eigene(s) Gemüse und Früchte anzubauen. Generell finden wieder ein verstärkter Austausch und gegenseitige Unterstützung in Nachbarschaften statt. Gemeinschaftliche Wohnformen wie grössere solidarische Wohnprojekte werden die Norm, anstatt zurückgezogenes Wohnen in 1-Person Haushalten oder in der klassischen kleinbürgerlichen Familie. So werden einerseits Wohnraum und Ressourcen gespart, was auch ökologischer ist und generationenübergreifende Nachbarschaften können voneinander profitieren, sich gegenseitig entlasten und wertschätzen. So können zum Beispiel für ältere Personen Einkäufe oder körperlich anstrengende Arbeiten übernommen werden, während diese mal auf die Kinder schauen können, es können gegenseitig Mittagstische angeboten werden, wo füreinander gekocht und gemeinsam Zeit verbracht werden kann.

Falls wir Menschen Teil der Zukunft sein wollen, müssen wir unsere Lebensweise hinterfragen und für mehr Gerechtigkeit in der Verteilung von Ressourcen und Macht einstehen.

Grundsätzlich bestünde in meiner Utopie mehr Austausch zwischen Menschen mit anderen Lebensrealitäten, politischen Einstellungen, kulturellen Hintergründen, Herkünften und so weiter, um das gegenseitige Verständnis zu erhöhen und die Angst vor dem «Anderen» abzubauen und gleichzeitig Akzeptanz und Wertschätzung zu schaffen, anstatt zu polarisieren. Dies bedeutet auch, dass wichtige Ämter und Machtpositionen – sei das in der Politik oder in Unternehmen und weiteren Institutionen – fortan so besetzt sind, dass sie die Gesellschaft tatsächlich repräsentieren und somit unterschiedliche Meinungen und Erfahrungen vertreten sind. Ich denke dies würde massgeblich zu einer gerechteren Welt beisteuern, wären Führungspositionen weltweit und in den meisten Bereichen nicht mehrheitlich von (weissen) cis Männern besetzt.

In meiner Utopie gibt es kein materielles Erbe. Das Geld von vermögenden Menschen wird nach deren Tod in einen Fond einbezahlt, welcher im Sinne der Umverteilung des Reichtums soziale Projekte unterstützt, Kultur oder Klimaschutz fördert oder anderen wichtigen Zwecken dient. Eigentum, wie Wohnraum oder Land, fällt ebenfalls an den Staat und steht damit der Allgemeinheit zur Verfügung. So können Wohngenossenschaften gegründet werden, welche bezahlbares, gemeinschaftliches Wohnen ermöglichen. Einkommens- und Eigentumsreiche Menschen werden stärker besteuert, so dass es zu einer tatsächlichen Umverteilung kommt. Die Steuern fliessen ebenso wie das Erbe in soziale Organisationen sowie öffentliche Institutionen und Infrastrukturen, welche der ganzen Bevölkerung zugutekommen, insbesondere schlechter gestellten und marginalisierten Personen.

Kindertagesstätten und Ausbildungen sowie der öffentliche Verkehr sind unentgeltlich und werden vom Staat finanziert. Eltern steht eine (mindestens) zweijährige bezahlte Elternzeit zur Verfügung, die sie sich untereinander aufteilen können und im Anschluss gibt es einen rechtlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz der Kinder.

Unternehmen sind basisdemokratisch organisiert, der höchste Lohn im Unternehmen ist begrenzt und orientiert sich am tiefsten Lohn (es gibt eine Bedingung, dass dieser nicht höher als das x-fache des niedrigsten Lohnes ist). Teilzeitarbeit ist die Norm und muss später nicht mit einer schlechten Rente gebüsst werden. Es wird weniger gearbeitet für den gleichen Lohn. Wenn Arbeiten fortlaufend mit künstlicher Intelligenz übernommen werden können, werden Mitarbeitende nicht entlassen, vielmehr müssen diese für den gleichen Lohn fortan weniger arbeiten. Von Wirtschaft und Geld verstehe ich nicht genug, aber die Tatsache, dass mensch durch Kapitalanlagen und Aktienhandel Geld verdienen kann, ohne einen Finger zu krümmen, scheint mir sehr absurd. Doch finde ich die Erfindung von Aktien durchaus sinnvoll, da sie es ermöglicht, ein Unternehmen zu gründen, ohne sein ganzes Hab und Gut zu riskieren. Dies ist eine sehr grosse Frage für mich, die es noch weiter zu diskutieren und zu bearbeiten gilt: Wie sieht eine emanzipatorische Wirtschaft aus?

Eine futuristisch-utopische Zukunft. Ist sie noch möglich?
Dieses Bild wurde mit dem Deep Dream Generator, einem KI-basierten Bildgenerator, hergestellt.

Ich denke, eine emanzipatorische Wirtschaft würde keine «künstlichen Bedürfnisse» schaffen durch Konsumtrends, sondern Menschen kaufen sich nur so viel und was sie wirklich brauchen – was sich natürlich schon mal enorm beisst mit kapitalistischem Wirtschaften, welches nur dann funktioniert, wenn ein Unternehmen immer mehr verkauft und Profit schlagen kann. Aber eben: Da stehe ich ehrlich gesagt an und weiss viel zu wenig. Aber ich denke, dass generell das Konsumverhalten auch mit vielen Mechanismen der Gesellschaft zusammenhängt, also dass Menschen für ein Umdenken auch einen anderen Zugang zu Besitztum bräuchte und materiellem Besitz nicht mehr so viel Wert und Prestige zugesprochen werden dürfte.

In meiner Utopie sind alle «-ismen» (Sexismus, Rassismus, Klassismus, Ableismus…) und Diskriminierungen überwunden und Menschen erleben Diversität als Bereicherung und nicht als persönlichen Angriff auf ihr Weltbild. Menschen können da wohnen und arbeiten, wo sie möchten, sich anziehen und tun und lassen, wie und was sie möchten. Menschen organisieren sich solidarisch in nicht-hierarchischen Gemeinschaften, wo Alltagsarbeiten aufgeteilt und Ressourcen geteilt werden. Es gibt ganz verschiedene Formen des Lebens und Liebens. In Beziehungen aller Art hat offene Kommunikation einen hohen Stellenwert. Der Anspruch, sich über andere zu stellen, Konkurrenzdenken, Hass, Unterdrückung und weiteres werden durch Solidarität, Verständnis, Einfühlungsvermögen und mehr ersetzt. In meiner Utopie gibt es also keine Herrschaftsansprüche, Machtgier, keinen Krieg. Macht wird auf transparente Art verteilt und nicht an die Verteilung von Ressourcen und /oder Prestige und Anerkennung gekoppelt. Zuerst muss ich jedoch verstehen, wieso Menschen denn eigentlich Herrschaftsansprüche haben und was es bräuchte, damit diese Ansprüche und diese Gier nach Herrschaft wegfallen würden? Oder hängen diese mit all den -ismen zusammen und würden ohne sie gar nicht existieren? 

Etwas weiteres, das mir noch in den Sinn kommt: In der Soziologie gibt es Theorien, die sich damit auseinandersetzen, dass Menschen tagtäglich bei allen Interaktionen tausende von Optionen hätten, was sie tun könnten. Weil dies enorm anstrengend ist und viel Energie braucht, sucht der Mensch nach Regelmässigkeiten und Gewohnheiten, um den Alltag zu vereinfachen und Energie zu sparen. Irgendwann überlegen wir nicht mehr, wie wir den Tisch decken, wie wir dasitzen, wie wir wen begrüssen, usw. Es entstehen also Normen, ob sie gut sind oder schlecht, denn sie scheinen das Leben zu vereinfachen.

Normen definieren ja immer auch im gleichen Zug das, was von der Norm abweicht. Sind das Problem tatsächlich die Normen, oder ist das Problem, dass wir Abweichungen negativ werten? Wäre es möglich, dass Normen bestehen bleiben, neu die Abweichungen jedoch nicht negativ gewertet werden? Sind Normen per se etwas Schlechtes? Kann mit dem Blick der oben genannten soziologischen Idee der Vereinfachung durch Gewohnheiten, eine Abweichung überhaupt als nicht negativ gewertet werden, weil sie ja die Norm in Frage stellt und somit die Vereinfachung des Lebens/die Gewohnheit ins Wanken bringt?

Ich denke wir müssten lernen, dem „Anderen“ und Ungewohnten mit Neugier und Offenheit zu begegnen, anstatt es abzuwerten und abzuwehren. In meiner Utopie würden Menschen verstehen, dass eine Abweichung und Hinterfragung von Normen nicht etwas ist, das Angst auslösen muss, sondern auch Freude und Neugier über etwas Unbekanntes auslösen kann.

Denn so könnten Normen existieren, ohne dass sich Menschen dazu gezwungen fühlen, sich ihnen anpassen zu müssen oder wenn sie dies nicht tun, unangenehme bis lebensbedrohliche Konsequenzen in Kauf nehmen müssen. So würden Normen und Abweichungen harmlos existieren und einfach die Gesellschaft beschreiben, ohne das eine oder andere auf- oder abzuwerten.


Über Sophie Felber (sie/ihr): Ich bin eine junge, weisse cis Frau und studiere seit drei Jahren Gender Studies an der Uni Basel. Das Studium regt mich auf vielen Ebenen und mit unterschiedlichsten, aber oft sehr realitätsnahen und aktuellen Themen an – es veranlasst mich dazu, mich selbst und meine Einstellungen und mein Handeln zu hinterfragen und vermeintlich gegebene, jedoch problematische Strukturen im Alltag und in der Gesellschaft zu erkennen. Anhand von Theorien diskutieren wir Alternativen zu momentanen Gesellschaftsstrukturen und versuchen diese gemeinsam in den Veranstaltungen nachzuvollziehen, auf eigene Beispiele anzuwenden, kritisch zu beleuchten, weiterzudenken und daran weiterzuwachsen und Hoffnung für eine emanzipatorische Zukunft zu schöpfen.


Beitragsbild: Alle Bilder für diesen Beitrag wurden mit dem Deep Dream Generator, einem KI-basierten Bildgenerator, hergestellt.