Politiken von Kunst und Care. Das Basler Kunstgeschehen während und an der Art Basel

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Von Dominique Grisard.

Vom 10. bis 16. Juni kommt die Art Basel in die Stadt und mit ihr ein Kaleidoskop spannender öffentlicher Veranstaltungen. Worauf habe ich Lust? Wo finde ich Substanz? Wo sind kritische Perspektiven auf das Hier und Jetzt zu erwarten? Was kann ich auch mit Kindern besuchen? Ein kleiner, persönlicher Ausblick auf das Basler Kunstgeschehen während und an der Art Basel mit Fokus auf Ausstellungen und Events, die Einblick in Politiken von Kunst und Care geben.
Die folgende Auswahl ist nach «An der Art Basel» und «Während der Art Basel» gruppiert.

AN DER ART BASEL

Die Art Unlimited mit ihren riesigen, teilweise interaktiven Installationen, Filmen und Performances ist auch für Kinder faszinierend. Hier sind viele Kinder anzutreffen. Kinder, die mehr Spass am Kunst schaffen als am Kunst schauen haben, können die «Art Kids»-Betreuung nutzen. Betrieben von FamilyCare, können Kinder malen, basteln und spielen und sich in der Hüpfburg austoben.  

Für etwas mehr Kontext, empfiehlt sich die Führung «Art by Female Artists in Unlimited».
13.06.2024, 14-15 Uhr | Art Unlimited, Messe Basel

Faith Ringgold
Art Unlimited, Messe Basel
Eine Wiederaufführung der ersten Multimedia-Performance der amerikanischen Künstlerin Faith Ringgold mit dem Titel The Wake and Resurrection of the Bicentennial Negro (1976), präsentiert von der Goodman Gallery in Zusammenarbeit mit ACA Galleries.

Ringgold ist diesen April 93jährig verstorben. 1930 in Harlem – in der Zeit der so genannten Harlem Rennaissance – geboren, studierte Ringgold Ende der 1940er Jahre Kunstpädagogik, obwohl sie bildende Kunst studieren wollte, da das City College Frauen nur in bestimmte Fächer zuliess. In grossen Strecken alleinerziehend, unterrichtete sie an Schulen und später an Kunsthochschulen. Ihre Kunst verkaufte sich anfänglich eher zögerlich, da sich diese mit Themen wie Alltagsrassismus, Sexismus und der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung auseinandersetze, bspw. in dem Poster Free Angela für die Black Panther Bewegung.

Seit den späten 1960er Jahren kämpft sie für die gleichberechtigte Repräsentation schwarzer Künstler*innen und gegen Rassismus, Sexismus und Misogynie in Kunstmuseen wie dem Whitney und MOMA. Sie schliesst sich zudem mit anderen afroamerikanischen Künstlerinnen zusammen und interveniert mit ihren Quilts, Skulpturen und Performances in die «harsh realities of its [Jones Road in Englewood, New Jersey – ihrem damaligen Wohnort] racist history to create a freedom series that turns all the ugliness of spirit, past and present, into something livable» (Ringgold über Coming to Jones Road: Under a Blood Red Sky #7).

Anna Uddenberg
Art Unlimited, Messe Basel
Eine Installation der schwedischen Künstlerin Anna Uddenberg, mit dem Titel Premium Economy (2023-2024), präsentiert von Kraupa-Tuskany Zeidler und Meredith Rosen Gallery, befasst sich mit der Kommodifizierung und Sexualisierung von Körper und Geschlecht im Zeitalter von Social-Media (Selbst-)Stilisierungen.

Der Titel weckt Assoziationen an ein Flugzeugticket, wobei das Wort «Premium» ein besonders wertvolles Erlebnis verspricht, das jedoch durch den zweiten Begriff «Economy» sofort relativiert wird, da dieser auf die räumliche Hierarchisierung und Optimierung von Passagierflugzeugsitzplätzen verweist. Uddenberg thematisiert, wie neoliberale Konsums- und Optimierungszwänge unseren Körper ständig neue Haltungen, Formen und Seinsweisen zumuten.

Eartheater & Anna Uddenberg
12.06.2024, ab 21 Uhr | TRAUMA Bar und Kino, Rossstall 1, Kaserne Basel
Trauma (Trauma Bar und Kino) zeigt während der Art Basel den fortlaufendenen, interdisziplinären kreativen Austausch zwischen der Künstlerin Anna Uddenberg und der Musikerin und Performerin Eartheater. Ausgangspunkt der Zusammenarbeit ist Uddenbergs Skulptur Climber (pierced rosebud), die sich mit der Hypersexualisierung in der Konsumgesellschaft befasst.

Sarah Pucci & Dorothy Iannone
10.06. – 16.06.2024 | Kabinett, Art Basel
Die Galerie Air de Paris präsentiert Arbeiten des italienisch-amerikanischen Mutter-Tochter-Duos Sarah Pucci (1902-1996) und Dorothy Iannone (1933-2022). Pucci schuf kitschige Devotionalien, mit zahllosen kleinen Strasssteinchen, Pailletten, Perlen und Blümchen versehene herzförmige Insignien. «I didn’t care about art», zitiert Iannone ihre Mutter: «Ich habe die Objekte für dich gemacht». Während sie Dorothy stillte, soll ihr die Jungfrau Maria erschienen sein. Die gelernte Schneiderin arbeitete auch nach der Geburt ihrer Tochter in einer Schokoladenfabrik und 20 Jahre am Fliessband von General Electric, bevor sie in den 1970er Jahren – meist mit ihrer Tochter, der damals bereits bekannten Künstlerin Dorothy Iannone – auszustellen begann.

The Political Life of Plants
12.06. – 15.06.2024 | Art Films, Stadtkino Basel
Das Programm beginnt am Mittwoch, dem 12. Juni, mit einer Reihe von Kurzfilmen von Nefeli Chrysa Avgeris, Zheng Bo, Ulla von Brandenburg, Kyriaki Goni und Tiffany Sia. Am Samstag, dem 15. Juni, werden unter dem Titel Bats and Rockets Künstler*innenfilme für ein junges Publikum ab vier Jahren gezeigt.
Kuratiert von Filipa Ramos.

The Politics of Artmaking
14.06.2024, 13–14 Uhr | Art Conversations, Messe Basel
Wie gehen Künstler*innen, deren Praxis als gesellschaftspolitisch betrachtet wird, mit aktuellen Konflikten und deren Auswirkungen um? Welche konkreten Auswirkungen kann, könnte oder sollte «politische Kunst» heute haben, wenn überhaupt? 
Gespräch mit den Künstler*innen Mandy El-Sayegh, London, und Kendell Geers, Brüssel. Moderiert von Kimberly Bradley, Conversations Kuratorin Basel.

Activating Environments: New ways of thinking of land, sea, and life
14.06.2024, 15–16 Uhr | Art Conversations, Messe Basel
Was bedeutet es, ein «heimatliches» Territorium für sich zu beanspruchen in einer Zeit, die von Migration und Extraktivismus geprägt ist? Seba Calfuqueo, eine in Chile arbeitende Mapuche Künstlerin, und die in Berlin arbeitende Filmemacherin und Künstlerin Stephanie Comilang setzen sich in ihrem Kunstschaffen mit queerer und weiblicher Identität, Gemeinschaft, Ritualen und Rückführung auseinander.
Moderiert von der Künstlerin und Dozentin Senam Okudzeto diskutieren sie über eine bessere Zukunft für unser Land, unser Wasser und alle seine Lebewesen.

Parcours
10.06. – 16.06.2024 | Info Point Claraplatz
Der diesjährige Art Basel Parcours besucht leerstehende Läden und funktionierende Geschäfte, ein Hotel, ein Restaurant, eine Distillerie und andere Alltagsräume an der Clarastrasse Richtung Mittlere Brücke. Thematisiert werden Migrations-, Klima-, Informations- und Warenströme als vielschichtige, verflochtene Bewegungen von Künstler*innen wie Mandy El-Sayegh, Lois Weinberger, Rikrit Tiravanija, Ximena Garrido-Lecca, uvm. Auch dabei: die Skulptur Alienor von Dominique Gonzalez-Foerster in Zusammenarbeit mit Paul B. Preciado, einer kritisch-queeren Antwort auf den von Le Corbusier entwickelten Modulor, einem für die Architektur entwickelten Masssystem, das auf den menschlichen (männlichen?) Massen basiert.
Kuratiert von Stefanie Hessler, Direktorin Swiss Institute New York.

WÄHREND DER ART BASEL

Feministischer Streiktag
14.06.2024, 10 Uhr | ab Theodorkirchplatz
Kinderwagen-, Rollstuhl-, Rollator-Demo
Schliesst euch der Initiative «Art+Care» an!

14.06.2024, 16.30 Uhr | ab Theaterplatz
Nicht selten findet um die Art Basel auch der feministische Streiktag statt – äusserst passend, wenn es um Politiken von Kunst und Care geht. Die Demo beginnt um 17.30 Uhr. Cis Männer sind willkommen und halten sich solidarisch im Hintergrund. Weitere Informationen zum und Beteiligungsmöglichkeiten am Feministischen Streiktag findest Du hier.

The Heritage Concept24 – (W)Here Now
11.06 – 17.06.2024 | Galerie Durchgang, Petersgraben 31, 4051 Basel
Die Heritage Concept24 Gruppenausstellung (W)Here Now versammelt Werke von 10 zeitgenössischen afrikanischen und in der Diaspora lebenden Künstler*innen, die sich mit der Rolle von Wasser und Erinnerung als bedeutende Träger von Geschichte(n) und kollektiver Zukunft auseinandersetzen. 

Memory is power. We can’t just activate the history of humanity, but we can rekindle memory or at least a part of it. Like water, memory always finds a way back to the source.»

Ausgestellte Künstler*innen: Benjamin Sencherey, Cinthia Sifa Mulanga, Grant Jurius, Eva de Souza, Katlego Tlabela, Kofi Buckman, Kwaku Dapaah Opoku, Laura Arminda Kingsley, Ms. Rafiki and Tuli Mekondjo.
Kuratiert von Kwaku Opoku & Keabetswe Boccomino.

A.I. Collective: Beyond Tomorrow – Envision new possible futures
14.06. – 16.06.2024 | kHaus
Die multimediale Ausstellung Beyond Tomorrow: Envision new possible futures des interdisziplinären Künstler*innenkollektivs A.I.Collective aus Berlin und Zürich thematisiert im Rahmen von Panels, Vorträgen und Gesprächen mit Gästen aus Wissenschaft, Gesellschaft und Kultur die ethischen Implikationen von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Wie können Zukunftsentwürfe aussehen die mehr gesellschaftliche Vielfalt, Gleichberechtigung und Klimagerechtigkeit ermöglichen?

Ghislaine Leung – Commitments
17.05. 11.08.2024 | Kunsthalle Basel
Ghislaine Leungbefasst sich mit den strukturellen Einschränkungen des Kunstschaffens durch unsichtbare Care-Arbeit, den hohen Leistungsdruck des Kunstbetriebs und unzulängliche soziale Absicherung und Entlohnung von Künstler*innen.

Wer durch die Ausstellung wandert und den Anweisungen (Scores) der Künstlerin folgt, erfährt räumlich-körperlich über die Prekarität des Künstler*innendaseins – ihr Künstler*innenhonorar bemessen am britischen Mindestlohn, die Anzahl unbezahlt krankgeschriebener Tage aufgrund einer OP oder die jährlich zu bezahlenden Stunden für Kinderbetreuung, um Vollzeit als Künstlerin zu arbeiten.

Leung ist bekannt für eine plakativ, bissig-humorvolle Thematisierung der Bedingungen des Kunstschaffens für Menschen mit Fürsorgeverantwortung. Um auf die eingeschränkten Atelierzeiten von Kunstschaffenden mit Care-Verantwortung hinzuweisen, öffnete Leung ihre 2022 Ausstellung in der Galerie Maxwell Graham nur während ihrer eigenen Arbeitszeiten (Times, 2022), zäunte dann jedoch ihre Werke mit Kinderschutzgittern (Gates, 2019) ein.

Regula Humm – The Hidden Heart of the Cosmos (mit einer räumlichen Intervention von Kathrin Siegrist)
08.06. – 16.06.2024 | Art@Dreispitz (Atelier Mondial, CIVIC, TANK HGK Basel, mit VH AWARD und Kunsthaus Baselland)
Die 93jährige Wädenswiler Künstlerin Regula Humm hat ihr Leben lang Kunst geschaffen –Wachsreservierungen, Malerei, Zeichnungen voller mystischer Figuren. Zudem hat sie vier Kinder aufgezogen und den Haushalt geschmissen: «Das hiess damals: heizen mit Kohle, Wäsche von Hand waschen, draussen Wasser holen…» (Humm über ihre Biografie). Dass es eine Kunst ist, Familie und Job unter einen Hut zu bringen, daraus hat sie nie einen Hehl gemacht. Früher seien alle nur an der Kunst ihres Manns interessiert gewesen. Das hat sich nun definitiv geändert.
Kuratiert von Chus Martinez (Assistenz : Marion Ritzmann).

Baker Wardlaw – Crisis Actor
18.05. – 29.06.2024 | For Space, Teichgässlein, 4058 Basel
10.06. – 16.10.2024 | Swiss Art Awards, Halle 1, Messe Basel

Baker Wardlaw ist mit 54 anderen Kunst- und Kulturschaffenden für die Swiss Art Awards 2024 nominiert und stellt derzeit auch im versteckten For Space aus. Wardlaw setzt sich kritisch mit Sprache, Marketing, Konsum und dem Imperativ des Spektakels auseinander.
Kuratiert von Valerie Keller & Matthias Liechti.

Parenting and Art
13.06., 14–15 Uhr | Swiss Art Awards, Halle 1, Messe Basel
Gespräch mit Camille Aleña, Sophie Ballmer / Idle Hands und Tobias Kaspar im Rahmen der Swiss Art Awards, moderiert von Melanie Bühler. Das Gespräch findet auf Englisch statt.

Feminist Tour of Swiss Art Awards X Swiss Design Awards
14.06., 16–17 Uhr | Swiss Art Awards, Halle 1, Messe Basel
Special guided tour with Leandra Zumbühl, im Rahmen der Swiss Art Awards, auf Deutsch / Französisch / Englisch.

When We See Us – A Century of Black Figuration in Painting
25.05. – 27.10.2024 | Kunstmuseum Basel Gegenwart
Ein Kaleidoskop, das der afrikanischen figurativen Malerei der letzten 100 Jahre. Ausgestellte Künstler*innen: Michael Armitage, Njideka Akunyili Crosby, Romane Bearden, Ben Enwonwu, Joy Labinjo, Jacob Lawrence, Danielle McKinney, Sungi Mlengeya, Mmapula Mmakgabo Helen Sebidi, Chéri Samba, Amy Sherald, Cyprien Tokoudagba, Zandile Tshabalala, Lynette Yiadom-Boakye uvm.
Kuratiert von Tandazani Dhlakama & Koyo Kouoh.

Musikalische Performances im Rahmen von When We See Us
10.06.2024, 19–20 Uhr
Nakhane, «Endo-» – Performance
13.06.2024, 11.30–12.15 Uhr
When We Hear Us mit dem südafrikanischen Musiker und Komponisten Neo Muyanga.
14.06.2024, 11.30–12.15 Uhr & 16–17 Uhr
When We Hear Us mit dem südafrikanischen Musiker und Komponisten Neo Muyanga.

Canapé x Art Soft Edition mit RadioX
11.06. – 15.06.2024, 17–24 Uhr | Soft Space, Clarahofweg 43 / Clarastrasse 50
Genug von der Art und doch nicht auf edle Canapé-Brötli verzichten? RadioX und die Macher*innen des Zwischennutzungsprojekt «Softspace» haben einen gemütlichen Rückzugsort eingerichtet. Neben DJ-Sounds- und Artist-Talks verwöhnt das Schweizer Gastro-Kollektiv CANAPÉ mit leckeren Häppchen und Naturwein.

Basel Social Club
09.06. – 16.06.2024 | Bruderholz, u.a. Predigerhof, Reinach
Wer genug hat vom Rummel in der Stadt: Die dritte Ausgabe des Basel Social Clubs erschliesst sich als Rundgang vom Blumenfeld beim Wasserturm bis zum Mathis- und Predigerhof zu Kaspars Teegarten und zum Bruderholzhof – eine autofreie Zone mit viel Kunst, Essen und Trinken, Musik, Performances und witzigen «special projects».

Wer mehr über die Art Basel und die lokale Kunstszene erfahren möchte, dem empfehle ich die eben neu veröffentlichte 2024er Ausgabe des Bebbi Zine .