Von Freija Geniale. Ein Rückblick auf die Performance «Introducing Living Smile Vidya» und ein Plädoyer zum feministischen Kampftag.
Eine Helvetia of Colour – bereits das erste Bild der Solo Performance «Introducing Living Smile Vidya» spielt mit Erwartungen und überraschenden Bildern. Smiley, die Performerin, ist ganz im Stil der Helvetia in eine lange Schärpe gehüllt und trägt eine rote Einkaufstüte aus Plastik mit einem Schweizer Kreuz darauf: ein ironisches Detail, das typisch für die gesamte Inszenierung ist und mit Patriotismus und Identifikation spielt – wird Einkaufen doch mit Heimat, Alltag und Identifikation assoziiert. Genauso politisch treffsicher, scharfzüngig und provokant, wie sie begonnen hat, entwickelt sich die Performance weiter und nimmt das Publikum mit in das Leben von Living Smile Vidya. Als trans Frau, die aus Indien vor faschistischer und patriarchaler Gewalt geflüchtet ist und heute in der Schweiz auf ihren Asylentscheid wartet, könnte ihre Identität kaum politischer sein. Dessen ist sie sich auch bewusst, wie sie in ihrer Solo-Performance zu ihrer Biografie zum Ausdruck bringt: «Als trans Frau of Colour bin ich doch eine Wunderwaffe auf dem Arbeitsmarkt und kann jedes Team komplettieren.»


«Introducing Living Smile Vidya» entstand im Rahmen der Nachwuchs-Plattform «Tankstelle Bühne», die es jungen Kulturschaffenden ermöglicht, professionell ein Kurzstück zu erarbeiten, es an verschiedenen Spielstätten aufzuführen und sich mit den Veranstalter*innen zu vernetzen. Aussergewöhnlich ist, dass sich Smiley während der Erarbeitung und den Aufführungen immer noch im Asylverfahren befindet. Üblicherweise wäre es ihr mit ihrem aktuellen Status untersagt, zu arbeiten. Doch ihr Drang, der eigenen Geschichte auch künstlerisch Form zu geben, vermochte es, Institutionen und Behörden von ihrem Vorhaben zu überzeugen und dieses Projekt zu verwirklichen.
Vorkämpferin für trans-Rechte
Living Smile Vidya, heute 41-jährig, ist eine indische Schauspielerin und Aktivistin für trans Rechte. In Indien wurde sie Opfer von Drohungen, Gewalt und Hass aufgrund des zunehmenden Hindu-Faschismus. Geboren wurde Living Smile Vidya in Tamil Nadu. Sie wuchs in einfachsten Verhältnissen in Chennai auf. Beide Eltern stammen aus der untersten Kaste der hinduistischen Gesellschaft, den Dalits. Schon früh erkannte Smiley, dass sie eine Frau ist. In Indien haben trans Frauen nur begrenzte Möglichkeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, zum Beispiel durch Betteln oder Sexarbeit. Auch Living Smile Vidya war gezwungen zu betteln, bevor sie sich als Aktivistin und später als Theaterschaffende Alternativen erkämpfte.
Bereits 2007 veröffentlichte sie ihre Autobiografie «I am Vidya», die in mehrere Sprachen übersetzt und auch verfilmt wurde. Nach einem Aufenthalt an der International School of Performing Arts in London gründete sie das erste trans Theaterkollektiv in Chennai und engagierte sich vielseitig als Schauspielerin, Autorin und Krankenhausclown. Als Aktivistin erwirkte sie, dass sie als erste trans Frau im Bundesstaat Tamil Nadu ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag ändern lassen konnte. Als die Reaktionen auf ihre Sichtbarkeit und ihren Aktivismus als trans Frau zu gewaltvoll und lebensbedrohlich wurden, flüchtete sie im Jahr 2018 in die Schweiz. Ihr Asylantrag wurde jedoch zurückgewiesen. Der Rekurs gegen diesen Entscheid ist seit 2018 hängig.
Gewalt und Hatespeech (im Netz) sowie trans-Feindlichkeit sind Themen, die auch den politischen Diskurs in der Schweiz prägen. Trans Identitäten werden immer wieder zum Gegenstand politischer Debatten gemacht. Gerade zu Beginn des Jahres wurde in der Schweiz die medizinische Versorgung von trans Jugendlichen medial kontrovers diskutiert.[1] Und für mehr Regulierungen von Hatespeech im Internet kämpft zum Beispiel der Verein Netzcourage schon seit Jahren. Smileys Kämpfe verbinden sich folglich mit zahlreichen politischen Debatten in der Schweiz, sind aber auch im internationalen Kontext bedeutsam. Zum Anlass des internationalen feministischen Kampftags am 8. März möchten wir darum ihre Geschichte und ihre Arbeit als Künstlerin zum Thema machen.
Eine Collage über Schmerz, Hoffnung und Transformation
In ihrer Performance erzählt Smiley uns ihre Biografie, teilweise linear, teilweise erratisch und überfordernd. Es entsteht der Eindruck, dass dies eine bewusste Entscheidung ist, um sowohl zu vermitteln, was geschehen ist, als auch wie es sich für sie angefühlt hat oder immer noch anfühlt. So gelingt es Smiley auf beeindruckende Weise, das Publikum mitzunehmen und emotional in Bann zu ziehen. Die Performance ist eine Collage, die sich gekonnt unterschiedlicher künstlerischer Elemente bedient: Ausstattung, Schauspiel, Video und Ton ergänzen sich in überzeugender Weise. Themen wie Gewalt, Schmerz, komplizierte Familienbeziehungen und dadurch entstandene Verletzungen werden angesprochen.

Szenenartig rollt Smiley ihre Vergangenheit aus und es gelingt ihr, die jeweils zentralen Gefühle einzufangen, darzustellen und für die Zuschauenden erfahrbar zu machen. Der Schmerz des Erlebten ist in ihrer Stimme zu erahnen. Smileys Präsenz ist beeindruckend, so dass das Publikum mit ihr in die Welt ihrer Erinnerungen eintaucht. Besonders bedrückend ist der Moment, in dem deutlich wird, dass die Bedrohungen und die Gewalt, vor denen Smiley geflohen ist, mit ihrer Ankunft in der Schweiz kein Ende gefunden haben. So wird sie auch in der Schweiz erneut Opfer eines viralen Mobs, nachdem sie ein Foto von sich im Bikini auf Instagram gepostet hat. Wie sehr Smiley sich verfolgt und in die Enge getrieben fühlte, wird mit Hilfe einer den gesamten Raum einnehmenden Videopräsentation mit dazugehöriger Tonspur eindrücklich nachgezeichnet (Video: Moritz Flachsmann, Sound: Silvan Koch).
Auch Momente der Freude und Leichtigkeit sind Teil der Performance. Smiley erzählt, wie befreit und hoffnungsvoll sie sich immer wieder fühlt(e). Sie stellt sich selbst als Schmetterling dar und ihre Biografie als eine Transformationsgeschichte; von einer Raupe, die zum Schmetterling wird, von einem Phönix, der Feuer fängt und aus der Asche wieder aufersteht. Sie ist stolz, selbstbewusst und sexy. Smiley hat es geschafft. Sie ist vor Gewalt und Hass geflüchtet und hat in der Schweiz sogar während des laufenden Asylverfahrens ihre eigene Performance entwickelt und aufgeführt. Eine verpfuschte geschlechtsangleichende Operation, die ihren Körper entstellte, wurde durch den Eingriff einer aufmerksamen Ärztin korrigiert. Der Aufbau einer Existenz scheint möglich.
Die Heldin der eigenen Geschichte?
Doch dies ist nur eine Seite der Geschichte. Smiley erzählt von ihren schweren psychischen Krisen während ihres Asylverfahrens und einem wichtigen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik. Smiley will nicht nur die Heldin ihrer eigenen Geschichte sein, die sich mit der Verwandlungskraft eines Schmetterlings identifiziert. Vielmehr macht der Blick anderer sie immer wieder zur Raupe Nimmersatt, wie wir sie aus dem Kinderbuch von Eric Carle kennen. Sie fühlt sich wie die Raupe, die immer mehr möchte und sich nie mit dem Erreichten zufriedengibt: Sie möchte ein gesundes Leben in Sicherheit, eine Beziehung, ihrer Arbeit nachgehen, nicht immer die billigsten Lebensmittel kaufen müssen und gute und sichere medizinische Behandlung. Sind das nicht alles selbstverständliche Wünsche und Bedürfnisse?
Warum hat Smiley dann das Gefühl, das sei «zu viel verlangt», warum hat sie das Gefühl nimmersatt zu sein, zu viel zu fordern, zu grosse Ansprüche zu stellen? Dass Smiley sich als gierige Raupe fühlt, die nie genug kriegt, ist bezeichnend für den gesellschaftlichen Umgang mit marginalisierten Menschen, die selbstbewusst ihre Rechte einfordern und ihre Wünsche äussern. Dabei geht es lediglich um die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft, um das Einfordern dessen, was allen zusteht: der Möglichkeit, selbstbestimmt zu leben in einer endlich geschlechtergerechten Welt.

Eine «Nabelschau»?
In einem Portrait im Bund[2] über Smiley und ihre Performance ist folgender Abschnitt zu lesen: «Von einer Nabelschau will sie aber nicht sprechen. Ihre Lebensgeschichte biete für viele Menschen Anknüpfungspunkte: ‘Meine Geschichte ist die einer trans Person, einer Geflüchteten, eines sozial schwächeren Menschen.’ Sie erzähle ihre Geschichte in erster Linie, um anderen Menschen Mut zu machen.» Einer geflüchteten trans Frau of Colour, die in einer Performance ihre von Gewalt geprägte Biografie und ihren Kampf für die Rechte von trans Menschen zeigt, wird von einem Journalisten in einer Schweizer Zeitung unterstellt, mit ihrer Produktion «Nabelschau» zu betreiben. Dies erscheint sehr bezeichnend für patriarchale und rassistische Strukturen und Denkmuster in der Schweiz.
Hier wird offensichtlich, wie ungewohnt es für im öffentlichen Diskurs der Schweiz ist, wenn Menschen mit einer Geschichte wie Smiley eine Stimme erhalten und diese nutzen, dass sie Forderungen stellen und von ihren Wünschen und Träumen erzählen. Die Irritation darüber sagt viel aus über das hier vorherrschende Verständnis davon, welche Biografien auf Bühnen erzählt werden und welche nicht; wer Ansprüche oder Forderungen äussern darf, wem Träume zugestanden werden und von wem wir Zurückhaltung, Bescheidenheit, Dankbarkeit und Mässigung erwarten; wessen Verhalten wir als gierig einordnen und wessen Verhalten als ambitioniert.
Nehmen wir uns als TINFA-Personen zum feministischen Kampftag die Raupe Nimmersatt zum Vorbild! Denn wir sind nicht satt und wir wollen noch viel mehr. Geschlechtergerechtigkeit ist nicht erreicht, wie auch Smileys Geschichte zeigt. Wir nehmen Raum ein. Wir erzählen unsere Kämpfe und unsere Träume, wir stehen im Zentrum und das mit Stolz. Wir sind ungeduldig und gierig: Wir wollen nicht nur ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze, verdammte Bäckerei.
Freija Geniale studiert im Masterstudiengang «Changing Societies: Migration – Resources – Conflicts» und arbeitet in der Prävention und Gesundheitsförderung im Bereich Psychische Gesundheit beim Kanton Basel-Stadt. Zudem engagiert sie sich vielfältig im Bereich Angehörige von Menschen mit psychischen Erkrankungen. In ihrer politischen und aktivistischen Arbeit sind ihr antifaschistische, queerfeministische und antirassistische Werte und Perspektiven besonders wichtig. Sie wünscht sich eine Gesellschaft, die ihre Vorstellungen von Fürsorge und von Schwäche neu denkt, eine Welt mit weniger Druck und mehr Wärme, weniger Härte und mehr Gemeinschaft.
«Introducing Living Smile Vidya» wird am 8.3.2024 im Burgbachkeller Zug sowie von 4.-6.4.2024 am Südpol Luzern gezeigt und rangiert derzeit auf der Shortlist für das Schweizer Theatertreffen 2024, welches von 23.–26. Mai 2024 in Lugano stattfinden wird.
Im Rahmen der öffentlichen Vorlesungsreihe «Gendered Spaces» findet am 13.03. eine Lecture Performance mit dem Titel «Rehearsal Room: Entering the Stage» von/über Living Smile Vidya statt.
Dieser Artikel entstand im Rahmen des transdisziplinären Forschungsprojekts «Innovation und Gesellschaft» unterstützt von Pro Helvetia in Kollaboration mit aoi und dem Swiss Center for Social Research.
[1] 17.1.2024, https://www.srf.ch/news/gesellschaft/transgender-trans-op-wie-aus-meli-andre-wurde-und-wieder-meli, letzter Online-Zugriff am 18.2.2024
[2] Artikel vom 6.9.2023, https://www.derbund.ch/solostueck-introducing-living-smile-vidya-als-lebendiges-laecheln-kaempft-sie-fuer-die-rechte-von-trans-menschen-700307937475, letzter Online-Zugriff am 16.2.2024.
Bild: Aufführung von «Introducing Living Smile Vidya» im Rahmen von Tankstelle Bühne 2023. Photo Ralph Kuehne (zugeschnitten).