Geschlechterverhältnisse in Leitungspositionen von Schweizer Kulturbetrieben
Von Sari Pamer
Geschlechtergerechtigkeit in Leitungspositionen von Schweizer Kulturbetrieben ist eine Frage der Perspektive. Eine differenzierte Analyse offenbart strukturelle Schieflagen, verdeckte Erwartungen und Gestaltungsspielräume für einen nachhaltigen Wandel.
Dr. phil. Andrea Zimmermann untersucht gemeinsam mit ihrem Forschungsteam des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung der Universität Bern die Geschlechterverhältnisse in Leitungspositionen von Schweizer Kulturbetrieben. Im Rahmen der Veranstaltung «Chefinnen – Frauen in Leitungspositionen» am Schweizer Theatertreffen 2025 (Luzern) präsentiert Andrea Zimmermann in einer Keynote-Speech Ergebnisse ihrer qualitativen Forschung und zeigt auf, wie verschiedene Statistiken zu lesen bzw. zu interpretieren sind, welche Problematiken damit einhergehen und was es braucht, um Nachhaltigkeit für Frauen in Leitungspositionen von Kulturbetrieben zu gewährleisten. Im Anschluss findet ein Workshop zur ausführlichen Auseinandersetzung mit eigenen Eindrücken und Arbeitsweisen von Praktiker*innen statt.
Je nach Auslegung und Definition, was unter Kultur verstanden wird, entsteht eine andere Statistik in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse.
Wer ist Kulturschaffende*r?
Der Begriff Kultur und damit einhegend Kulturschaffende ist keineswegs eindeutig. Welche Auswirkung dies haben kann, zeigt sich an folgendem Beispiel: Gemäss der Analyse des Bundesamts für Statistik ist das Verhältnis von weiblichen und männlichen Arbeitnehmenden im Kulturbereich mit 40:60% ausgeglichen. Diese Statistik passt jedoch nicht zu den erhobenen Daten in der Vorstudie von Zimmermanns Forschungsprojekt aus dem Jahr 2021. Die Geschlechterforscherin weist auf die Differenz – den Kulturbegriff – hin. Je nach Auslegung und Definition, was unter Kultur verstanden wird, entsteht eine andere Statistik in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse. In der BfS-Statistik werden unter Kultur auch Buchhandel oder Bibliotheken subsummiert, was zu einer ‹verfälschten› Datenlage führt. Dies sind nämlich Bereiche, die einen mehrheitlichen Frauenanteil haben. Um dieser Täuschung entgegenzuwirken und aufzeigen zu können, dass eben doch eine Ungleichheit in Bezug auf Geschlechterverhältnisse in Leitungspositionen besteht, erfasste Andrea Zimmermann mit ihrem Team entsprechende Daten.
Grosser Kulturbetrieb = von Männern geführt
Für die aktuelle Untersuchung hat das Forschungsteam 190 kantonal subventionierte Kulturbetriebe in der Schweiz analysiert, darunter rund ein Drittel aus der Sparte Theater/Tanz. Dabei untersuchten die Wissenschaftler*innen sowohl strategische Leitungen (wie Verwaltungs- oder Stiftungsrat) als auch operative Leitungen (z.B. Intendanz oder Geschäftsführung). Die Ergebnisse zeigen: Je grösser ein Betrieb ist – gemessen am Budget oder der Anzahl an Mitarbeitenden – desto eher sind die Leitungspositionen durch Männer besetzt. Kleine Betriebe hingegen werden häufiger von Frauen geführt. Das legt nahe, dass weiblich gelesene Personen zwar in Führungsverantwortung kommen, aber eher dort, wo weniger finanzielle oder personelle Ressourcen verfügbar – dadurch die Jobangebote weniger attraktiv – sind. Trotzdem gibt es auch Grund zur Freude: Ein Drittel der untersuchten Betriebe wird mittlerweile überwiegend weiblich geleitet und in der strategischen Führung zeigt sich eine zunehmende Ausgewogenheit zwischen den Geschlechtern.
Zwischen Sichtbarkeit und Wirkmacht
Doch wie steht es um die tatsächliche Macht, die diesen Positionen innewohnt? Sichtbarkeit allein bedeutet noch keinen Einfluss. Eine zentrale Frage bleibt deshalb: Können wir von einer realen Veränderung sprechen oder handelt es sich lediglich um eine symbolische Inklusion? Die erhobenen Daten des Forschungsteams legen nahe, dass ein Transformationsprozess begonnen hat. Doch wie lässt sich dieser Prozess nachhaltig verankern? Zentral bleiben Fragen des Umgangs mit Erwartungen an Frauen in Führungspositionen. Oft wird ihnen ein ‹natürliches› Potenzial für soziale Verantwortung, Empathie und Teamorientierung zugeschrieben – Qualitäten, die als Schlüsselkompetenzen für faire Leitung gelten.
Wer sozialen Wandel anstossen soll, braucht Ressourcen, Zeit, Geduld und die Möglichkeit, auch zu scheitern.
Zumutung oder Chance?
Solche Zuschreibungen öffnen einerseits Räume für faire Führungsstile, die nicht auf Dominanz, sondern auf Kooperation beruhen. Sie bergen auch das Risiko, Frauen und andere marginalisierte Gruppen mit überhöhten Erwartungen zu überfrachten. Denn wer sozialen Wandel anstossen soll, braucht Ressourcen, Zeit, Geduld und die Möglichkeit, auch zu scheitern. Frauen in Leitungspositionen sollen daher selbstkritisch prüfen, welchen Anforderungen sie gerecht werden wollen und können. Was braucht es also für einen nachhaltigen Wandel? Es geht darum gemeinsam neue Kriterien zu definieren, die an Prozesse, Zusammenarbeit und Wirkung geknüpft sind. Es geht darum Transformation nicht nur individuell, sondern strukturell zu denken – idealerweise in Zusammenarbeit mit der strategischen Leitung und externer Beratung. Und es geht darum Spuren für Nachfolger*innen zu legen, für nachhaltige Strukturen, für eine inklusive Zukunft des Kulturbetriebs.
Und in der Praxis?
Im anschliessenden Workshop diskutieren Praktiker*innen über Leitungskonstellationen, kollektive Führung und den Umgang mit Macht. Ein zentrales Bedürfnis zeigt sich rasch: Austausch statt Konkurrenz, Zeit für strukturelle Reflexion, Räume für Fehler. Denn Macht muss nicht dominieren, sie kann gestalten. Der Begriff verdient eine Neubewertung als Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen und eine andere Kultur des Miteinanders zu entwerfen und zu ermöglichen. Damit dies gelingen kann, brauchen Kulturbetriebe eine Atmosphäre, die Vertrauen fördert, in der reflektiertes Feedback dazugehört, Vorbilder Orientierung bieten und eine langfristige Vision den Wandel begleitet.
Ein Wandel weg von autoritären Führungsstilen hin zu kollektiver Leitung. Damit dieser Wandel gelingt, braucht es nicht nur individuelle Bereitschaft, sondern strukturelle Unterstützung. Die Forschung von Andrea Zimmermann und ihrem Team leistet einen wichtigen Beitrag zu diesem Prozess, und die Veranstaltung «Chefinnen – Frauen in Leitungspositionen» am Schweizer Theatertreffen lädt ein, Macht nicht nur gleichmässig zu verteilen, sondern auch gemeinsam neu zu denken.
Beitragsbild: Veranstaltung «Chefinnen – Frauen in Leitungspositionen» am Schweizer Theatertreffen 2025. Foto ©Saskja Rosset, Courtesy Schweizer Theatertreffen.