Von Christina Zinsstag.

Immer wieder erfahren wir von Machtmissbrauch, cholerischen Ausbrüchen und sexuellen Übergriffen im Kulturbetrieb. Und immer wieder erstaunt dies nicht. Laut, dominant, unfehlbar – solange Verhaltensweisen, die eng gekoppelt sind an das Stereotyp des männlichen Genies, ihren Vertreter*innen weiterhin massive berufliche Vorteile verschaffen, wird sich daran nichts ändern»

So steht es in der Ankündigung für die Podiumsdiskussion Männlichkeit(en) im Wandel: Masculinity in Arts, welche am 21. November 2021 in der Kaserne Basel stattfand. Dieser Beitrag reflektiert die Diskussion und will zur weiteren Auseinandersetzung anregen.

«Männliches Verhalten», so auch die erste Feststellung dieses Gesprächs, wird in kulturellen Institutionen strukturell begünstigt und unterschwellig vorausgesetzt. Dabei geht es erstmal nicht um die Frage, wer sich so verhält, sondern darum was für ein Umgang in Institutionen gepflegt wird. Alle, die in der Kulturbranche erfolgreich sein wollen, müssen ständig präsent sein und auf möglichst viele Ressourcen zugreifen: die eigenen, jene von Mitmenschen und natürlich auch die materiell vorhandenen. Ein Genie, so die nach wie vor hartnäckige Idee, spart an nichts, um sich deyer Berufung «voll und ganz» zu widmen. Ein Genie beherrscht deyer Instrumente, übt und arbeitet ständig und versessen, hat keine Zeit für Reproduktions-Arbeit und soll diese auch nicht haben.

Wem nimmt mensch schon ab, dass einey berühmte Schriftstellere[1], eine begnadete Musikerin oder ein angesehener Regisseur nach einem halben Tag die Arbeit niederlegt, um einkaufen zu gehen, zu kochen, zu putzen, sich um Kinder zu kümmern, die betagten Eltern zu besuchen oder um einfach mal mit geliebten Menschen oder allein zu entspannen – hat so ein Mensch dann überhaupt den Willen und den Drang dazu, Grosses zu leisten? Hat eine Person, die nicht 100-150% an Zeit, Energie und Ressourcen für die Arbeit bzw. Kunst gibt, überhaupt eine Auszeichnung verdient für «grosse Leistungen»? Ist bedeutende Kunst in «Teilzeit» überhaupt vorstellbar? Und warum müssen sich manche Menschen mit diesen Fragen herumschlagen und andere nicht? Warum lässt sich Reproduktionsarbeit nicht endlich gerechter verteilen? Nur dann hätten Künstlere und Künstlerinnen wirklich eine faire Chance und würde sich das Verständnis von Vereinbarkeit tatsächlich verändern – für alle.

Was können wir tun, als Einzelperson und als Gemeinschaft, um diese enorm hohen Erwartungen zu verändern und ein neues Verständnis von Arbeit und Leistung zu etablieren? Wie hängt dies mit den konkreten, oft auch prekären Arbeitsbedingungen zusammen? Was bedeutet es, sich aktiv für Veränderung einzusetzen und die eigene Achtsamkeit und Wachsamkeit für Diskriminierungs- und Privilegierungs-Strukturen zu schulen, ohne sich und andere dabei ständig nur zu verurteilen? Wann muss interveniert und gestört werden und wann geht es eher darum, Raum zu schaffen, zu lassen und zuzuhören?

Es geht darum, so eine weitere Feststellung des Gesprächs, in Bewegung zu bleiben. Wir müssen die materiellen und strukturellen Bedingungen, die unser Handeln und Denken prägen, erkennen und reflektieren lernen. Doch die dafür notwendige Sprache ist gerade erst in der Entstehung. Kunst, Theater, Musik und Literatur bieten kreative Räume und Formen der Wissensgenerierung, die viel wichtiges Potential für die Entwicklung neuer Denk-, Erfahrungs- und Handlungsweisen bietet. Lasst uns daran teilnehmen und dem Unbequemen und Schönen begegnen, das dabei auf uns wartet!


Hier geht es zu einer Aufnahme des vollständigen Gesprächs (welches sich übrigens auch wunderbar als Podcast-Begleitung bei einigen Formen der (Reproduktions-)Arbeit anhören lässt). Teilnehmer*innen der Podiumsdiskussion waren Marcel Bieri (Austausch- und Netzwerkplattform «SAY HI!», ehem. Koordination Programm B-Sides Festival), Noemi Grütter (Festival Les Créatives, Co-Herausgeberin Le Carnet Rose), Marcel Schwald (Theaterschaffender, t. Berufsverband der freien Theaterschaffenden Schweiz) und Andrea Zimmermann (Zentrum Gender Studies, Projektleitung Vorstudie Geschlechterverhältnisse im Schweizer Kulturbetrieb, Pro Helvetia sowie Mitbegründerin von The Art of Intervention). Moderiert wurde das Gespräch von Theresa Beyer (Journalistin und Kuratorin).

Das ROSA HEFT wurde 2021 vom Festival Les Créatives veröffentlicht. Es versammelt Erfahrungsberichte, Ressourcen und Werkzeuge von und für Künstler*innen und Institutionen zum Thema Gelichberechtigung. Das Heft ist auf Französisch und Deutsch als PDF verfügbar. Bild ©Privat.

[1] Bei dieser Schreibweise geht es mir nicht nur darum, geschlechtsneutral zu schreiben, sondern auch eine nicht-binäre Person als Beispiel für eine spezifische Subjektposition zu benennen und mitzudenken. Zu dieser Strategie der Schreibweise können Sie hier mehr erfahren.


Bild der Gesprächsrunde an der Podiumsveranstaltung Männlichkeit(en) im Wandel: Masculinity in Arts vom 21. November 2021 in der Kaserne Basel. ©Privat.