Von Adri Tarr Thaler. Dieser Beitrag ist Teil der Serie «Barbie im Spannungsfeld (queer-)feministischer Theorien und Aktivismen».
Nachts habe ich heimlich zu dir gesprochen. Nachdem du vom Fahrradgepäckträger in die Büsche gefallen bist und meiner Kamera hoffnungslos ausgeliefert warst. Jetzt sitzt du seit Tagen im leeren Blumentopf im ansammelnden Regenwasser von letzter Nacht, die Arme hochgestreckt und kein Blut, dass dir durch die Glieder fliessen könnte. Das Blut, dass dir in den Adern hätte gefrieren sollen, als ich dich neben einem feuchten Gartenzaun und in einer viel zu kalten Aprilnacht auf der Strasse fand. Ich balancierte auf meiner Ambivalenz zur dir hin, griff dir in die platinblonden Haare, die mir grell und wirr ins Auge stachen und zog dir die Hose aus. Die glatte Plastikhautobefläche täuscht und wenn mensch genau hinsieht krabbelt es auf dir.
Schönheitsnormen, Fantasietraumwelten, Frühpubertätssorgen.
Nachts habe ich heimlich mit dir getrauert. Nach den stummen Versprechen, die dir unbewusst von luftberaubender Taille und unproportional schlüpfrigen Poren abgeperlt sind und gefährlich glitzrig auf dem Weg weiblicher Sozialisierung liegen. Wenn der Weg vor lauter bunten Perlen verlockend und unbegehbar ist, wirst du zum Spiegelbild, in dem mensch sich nicht sieht und wie ich pubertierend-paranoid die Spiegel in meinem Zimmer abgedeckt habe, während du in den Schubladen meiner Kindheit verstaubtest. Die glatte Plastikhautoberfläche täuscht und wenn mensch genau hinsieht krabbelt es auf dir.
Mutmacherin, Zufluchtsorte, Nostalgie.
Nachts habe ich dich heimlich gehasst. Auch wenn du keine Konstante auf meinem Weg warst, den du mit Perlen vollgekotzt hast, und ich mich auf dem Sekundarschulhof wiederfinde, wo ich ihnen zu erklären versuche, dass du anatomisch verkörpert nicht leben kannst. Dass deine Organe innerlich an sich selbst ertrinken würden, so wie ich an deinem Ideal, dass trotz biologischem Surrealismus überlebt. Jetzt hängst du seit Tagen über erloschener Kerzenflamme zwischen Shibariseilknöpfen und holländischer Schiffslaterne und ich frage mich, ob deine aufgerissenen blauen Augen, die viel zu gross für dein Gesicht sind, unwissend scheinen oder ob dir das Wissen längst abgesprochen wurde. Du bleibst hosenlos als Projektionsfläche hängen, das Lächeln im Gesicht versteinert, während mann mich auffordert doch eines zu schenken. Die glatte Plastikhautoberfläche täuscht und wenn mensch genau hinsieht krabbelt es auf dir.
Voyeurismusoberfläche, Feminismusidol, Überlebens(un)fähig.
Nachts habe ich dir heimlich geschworen. Am Gleis der Zeitlosigkeit festgehalten in der Kommerzialisierung und im Abhängigkeitsverhältnis liberaler Gier. Ich fahre mit dem Zeigefinger deinen apfelförmig-spitzen Brüsten entlang, über deinen Bauch, dort wo Gesellschaftsscham und freudsches Versagen dir die Lust genommen hat. Zwischen deinen Beinen ist eine Lücke, die sich nicht schliessen lässt und dir die Kraft nimmt, die Bäume zum Verwelken und Früchte zum Verrotten bringt. Heimlich habe ich geschworen, nie zu werden, wie du.
Prinzessin, Sexikone, Pinkträgerin, Alles-Könnerin, Freundin, Modetrendsetterin, Traumhausbewohnerin, Sammelstück, Fantasieweltfigur, Zukunftssorgerin, Entscheidungstrefferin, Partnerin, Binaritätsverkörperung, Debattenmittelpunkt, Projektionsfläche, Projektionsfläche, Projektionsfläche.
Nachts lasse ich dich heimlich reden. Nachts habe ich mich heimlich mit dir gefreut. Nachts habe ich dich heimlich geliebt. Nachts haben wir uns heimlich verschworen. Ich balanciere nicht mehr auf meiner Ambivalenz zu dir, sondern lasse mich in sie fallen. Wie ein Glasperlenspiel sehen wir durch uns hindurch, sehen verzerrt auf die andere Seite und vergessen unsere Zerbrechlichkeit. Die Blätter der Balkonpflanzen rascheln und verfangen sich in den dünnen, beigefarbigen Schnüren der Hängekerze, in der du seit einer kalten Aprilnacht von der Strassenrandkiste dein Zuhause gefunden hast. Es weht ein Solidaritätswind.
Adri Tarr Thaler (keine) fängt Tag(alp-)träume ein und versucht sie mit Wörtern greifbar zu machen.
Beitragsbild: © Adri Tarr Thaler.