Von Myrto Hirche. Dieser Beitrag ist Teil der Reihe «Paula Rego: Geschlecht und Gewalt».
Zwei Frauen und ein Mann auf der Bettkante. Ein kleines Mädchen beobachtet das Trio vom Fenster aus. Dicht vor dem Mann steht eine der beiden Frauen. Klein ist sie, vielleicht seine Tochter? Sie ist eng an ihn gepresst, ihr grimmiger Blick unverwandt auf ihn gerichtet. Ihre Faust umklammert den Saum seines grauen Jacketts. Die zweite Frau zieht an seinem Ärmel, hat sein Handgelenk fest umschlossen. Ihr Arm verdeckt das verzerrte Gesicht des Mannes.
Die Szene ist betitelt als «Die Familie»(1988) und hing bis zum zweiten Februar in den Ausstellungsräumen des Kunstmuseums Basel, die der portugiesisch-britischen Künstlerin Paula Rego gewidmet wurden. Rego’s Œuvre behandelt vielschichtige Machtkämpfe in Familie, Gesellschaft und Politik (Reifert, 2024).
Bei dieser kämpferisch wirkenden «Familienaufstellung» bleibt unklar, ob die beiden Frauen dem Familienvater unterstützend zur Seite stehen und ihm beim morgendlichen Anziehen helfen oder ob die Betrachtenden des Bildes Zeug*innen einer Gewalttat werden.

In ihrer künstlerischen Laufbahn beschäftigte Paula Rego sich mit den Ambiguitäten der Care-Arbeit, stark geprägt von biographischen Elementen.
Sorge und Ohnmacht
1966 wurde bei ihrem Ehepartner, dem Maler Victor Willing, Multiple Sklerose diagnostiziert. Paula Rego brauchte Zeit, um seine Krankheit und ihre eigenen Gefühle der Hilflosigkeit zu akzeptieren. Während sie den körperlichen Zerfall ihres Partners miterlebte, stürzte sie in eine tiefe Depression.
Im Dokumentarfilm «Paula Rego, Secrets & Stories»(2017), bei dem ihr Sohn Nick Willing Regie führte, wird geschildert, was die Diagnose bedeutete und wie die damit einhergehende veränderte Dynamik Machtkonstellationen in der sowieso zerrütteten Beziehung der Künstlerpaares verschob. In einer Szene des Filmes wird geschildert, wie Victor Willing den Sohn Nick bat, jedes Mal, wenn er die Strasse hinunterging, die Zeit zu stoppen. Jedes Mal brauchte Victor ein paar Sekunden länger für den Weg. Die Lähmung hatte seine Muskeln erreicht. Seine Ideenfindung lag auf Eis. Er konnte nicht mehr malen und hatte vermehrt Wutausbrüche.
So verständlich die verzweifelte Reaktion Victors ist, so lässt sich auch Regos Position verstehen, wenn sie ihren Mann als gewalttätigen roten Affen malt, dessen Ausbrüche auch als manipulativ und demütigend erlebt wurden. Innereheliche Gewalt wird in ihrem Werk «Red Monkey Beats His Wife» (1981) thematisiert. Gewalt kam von beiden Seiten aus, wie das Bild «Wife Cuts off Red Monkey’s Tail» (1981) mutmaßen lässt. Die Ambivalenz der Gefühle zu ihrem Mann beschreibt Willing selbst in seinem Abschiedsbrief an Rego:
As well as sadness, you may also feel relief, don’t feel badly about that»
Victor Willing
Sorge, Macht und Abhängigkeit
Mitte der 1980er Jahre entstand Regos «Girl and Dog»-Serie, in der Mädchen ihre kranken Hunde pflegen. Sie füttern, rasieren, kleiden ihre Hunde an. Alles fürsorgliche Tätigkeiten, doch die abgebildeten Mädchen zeigen keinen Ausdruck von selbstloser Aufopferung, wie so oft mit dem Weiblichen assoziiert (Zimmermann, 2024). Stattdessen fragt man sich, ob sie die Abhängigkeit ihres männlichen Gegenübers, in Gestalt des Hundes, geniessen. Ihre Fürsorge schlägt in Machtausübung über.

Im Dokumentarfilm beschreibt Paula Rego, wie ihrem Hund das Maul mit Kraft geöffnet werden musste, in einer Mischung aus Gewalt und Zärtlichkeit, um ihm Medizin zu verabreichen. So sei es auch mit ihrem Mann Vic gewesen. Auch wenn man jemanden, der krank ist, sehr liebe, hege man dennoch einen tiefen Groll gegen ihn, dass er krank wurde (Willing, 2017).
Die Bilder können also als Auseinandersetzung mit der Sorgebeziehung zu ihrem erkrankten Mann gedeutet werden. Sie fangen die Ambivalenz zwischen Sorge und Macht, Zärtlichkeit und Aggression, Trauer und Abneigung ein, die mit sich kommen, wenn ein Mensch von der Pflege eines anderen abhängig ist oder wird (Reifert, 2024; Zimmermann, 2024). Fürsorgliche Tätigkeiten, selbst wenn von Liebe und Zuneigung motiviert, können durchwachsen sein von negativen Emotionen, wie Aggression, Zwang und Hilflosigkeit (Reifert, 2024). Paula Rego beschreibt diesen Spannungszustand wie folgt:
That other thing that’s going on between people, the perversity, the twist. Not love nor hate, love and hate, it’s stroking and hitting»
Paula Rego
Regos Tochter Cas Willing ergänzt im Film das Bild ihrer pflegenden und arbeitenden Mutter. Rego habe sich nicht fürsorglich um andere kümmern können. Auf ihre Kinder habe sie oft unnahbar gewirkt und ihre Kunst stand für sie im Vordergrund. So soll es auch bei der Pflege von Vic Willing gewesen sein. Er wiederum habe Fürsorge nicht nur begrüsst, sondern wehrte sie auch ab. Er empfand es als erniedrigend, auf ihre Hilfe angewiesen zu sein. Er wollte nicht, dass seine Krankheit die Beziehung zwischen Rego und ihm dominierte.
Andererseits bemerkte Cas zu der «Girl and Dog»-Reihe, dass ihre Mutter das Füttern des Hundes zwar beobachtete, es jedoch nicht selbst übernahm. Sie hätte es nicht übers Herz gebracht, ihm gewaltvoll Medizin zu verabreichen (Willing, 2017).
Diese Momente verdeutlichen die Spannung zwischen dem Wunsch, sich zu kümmern, und der Belastung, die mit den Anforderungen von Pflegetätigkeiten einhergeht. Rego kümmerte sich zwar, aber nicht immer in einem Masse, das den familiären Erwartungen entsprach. Regos Kapazitäten, zeitlich und psychisch, reichten nicht. Der innere Kampf wurde zu ihrem Sujet.
Die Pflegearbeit wurde deshalb auf nicht-familiäre Aussenstehende ausgelagert. Lila Nunes kam als au pair aus Portugal um Regos kranken Ehemann zu pflegen und wurde zunehmend auch zu Regos Assistentin und Model. Sie beschrieb ihren ersten Eindruck von Regos Auftreten als den einer «glamourösen», kulturaffinen und ambitionierten Persönlichkeit (Nunes, 2022). Dies stand im Kontrast zu ihrer Rolle als pflegende Gattin und Mutter und war für Rego durch das Einstellen einer Haushaltshilfe möglich.
Rego erfüllte die geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen also nur, indem sie die Arbeit an eine Frau mit Migrationshintergrund auslagern konnte. Ihre beruflichen Ambitionen, ihr Interesse und Vergnügen an kultureller Teilhabe wurden als abwesend und distanziert (Beschreibung der Tochter Cas Willing) oder als glamourös (Beschreibung von Lila Nunes) beschrieben. Beide Beschreibungen verdeutlichen, wie unüblich dieser Habitus für eine Frau waren und sind.
Wenn die finanziellen Mittel es ermöglichen, kann die Delegation von Pflegearbeit an Dienstleistende eine starke Entlastung bedeuten (Dibelius et al., 2015). Schuldgefühle und soziale Kontrolle des Umfelds können diese Entscheidung jedoch erschweren (Auth et al., 2020).
In westlichen Ländern wird Sorgearbeit zunehmend auf migrantische Frauen verlagert, damit gutverdienende Frauen vor Ort die Doppelbelastung von Karriere und Kümmern besser stemmen können. So wird Pflege- und Fürsorgearbeit jedoch weiterhin als «Sache der Frau» betrachtet und nicht als eine gemeinschaftliche Aufgabe, die unabhängig des Geschlechts zu leisten ist. Die unterliegenden patriarchalen Strukturen bleiben so erhalten.
Unsichtbare Sorge
Nach Maria Puig de la Bellasca (2017) können Personen Care-Arbeit in verschiedenen Kontexten als Vergnügen, Belastung oder moralische und soziale Verpflichtung erleben. Regos Werke verleihen diesen ambivalenten Gefühlen pflegender Personen Ausdruck. Sie schildern und sind Produkt ihres Unvermögens – oder auch ihrer Verweigerung – der «geschlechtsspezifischen Fürsorgemoral» nachzukommen.
Die Problematik der Sorgearbeit ist, dass die geleistete Arbeit nur kurz sichtbar ist. Gekämmte Haare sind auf einen Schlag wieder zerzaust, gekochtes Essen ist in Mägen verschwunden und geputzte Böden wieder verdreckt. Care-Arbeit besteht aus verschwindenden Vorgängen. Es werden keine bleibenden Spuren, kein verwertbares Produkt hinterlassen. So bleibt sie unsichtbar, wird zwar als «Arbeit aus Liebe» romantisiert, jedoch selten durch angemessene Anerkennung und Bezahlung honoriert – und bleibt dabei doch unverzichtbar.
Menschen, die als Frauen sozialisiert wurden, übernehmen historisch und soziologisch betrachtet eher Sorgearbeit (Auth et al., 2020). Nicht ohne Grund zeigen Studien, dass in heterosexuellen Beziehungen das Risiko für erkrankte Frauen, von ihrem Partner verlassen zu werden, siebenmal höher ist als für erkrankte Männer (Glantz et al., 2009).
Noch heute sind Männer meist die Umsorgten, während Frauen den grössten Teil der Sorgearbeit übernehmen. Im Falle einer erkrankten Partnerin können nicht alle Männer mit der neuen Fürsorgerolle umgehen, auf die sie sozial nicht getrimmt wurden.
Das eigene Bedürfnis, sich kümmern zu wollen, wird geprägt durch eine anerzogene geschlechtsspezifische Fürsorgemoral (Auth et al., 2020). Dabei beeinflussen ökonomische und emotionale Abhängigkeiten, soziale Zwänge und die Erwartungshaltung des Umfeldes die Entscheidung, eine andere Person zu pflegen.
Bei der Pflege des Partners oder der Partnerin wird man durch das gemeinsame Zusammenleben stark in Care Arbeit eingebunden – die Pflegeintensität ist hoch (Pinquart und Sörensen, 2011). Persönliche Grenzen und Distanz erhalten normalerweise den Eindruck der eigenen Unabhängigkeit und Würde aufrecht. Doch im Pflegevorgang verschwimmen diese Grenzen häufig durch den Distanzverlust. Ein Beispiel dafür ist das Hieven des Partners oder der Partnerin ins Bett, wenn diese*r sich nicht eigenständig hinlegen kann. Dabei verschlingen sich die Körper: Der schwere Körper kooperiert nicht, es entsteht ein Ringen darum, ihn sicher auf die Matratze zu legen, ohne dass der Kopf gestossen wird, man ihn fallen lässt. Dieser geliebte Körper, der jetzt zur eigenen Verantwortung geworden ist, kann sich manchmal erdrückend anfühlen. Man greift zu, will den anderen stützen, Halt geben. Schnell kann daraus ein «Übergreifen» werden, bei dem Grenzen ungewollt überschritten werden.
Als pflegende (wie geflegte) Person muss man ambivalente Gefühlsstrukturen aushalten können. Man fühlt sich schuldig, will helfen und anpacken, gleichzeitig ist man auch abgestossen. Weiss nicht, wohin mit sich, tut lieber gar nichts und flüchtet sich in Bewältigungsstrategien. So wie Rego, die ihre Zerrissenheit in der Malerei verarbeitete.
Dabei ist ein Kennzeichen von Intimität, dass man sich sehr nah kommt und Dinge über sich offenbart, die anderen verborgen bleiben. Giddens bemerkt, dass «die Offenlegung des Selbst, die mit der Intimität einhergeht, eine Mitabhängigkeit hervorrufen kann, wenn sie nicht mit einer Aufrechterhaltung der Autonomie einhergeht» (Giddens 1993, S. 153). In der Pflegebeziehung ist diese Balance auf die Probe gestellt, da die eine Person auf mehr Unterstützung angewiesen ist als die andere. Um Würde und Autonomie muss in jeder Beziehung gerungen werden. Paula Rego schaffte es, diesen permanenten Kampf in bildnerische Darstellungen zu transformieren.
Alles in allem zeigen Paula Regos Werke die Spannungsfelder in der Sorgearbeit auf. Sie macht sichtbar, wie gewalttätig Fürsorge sein kann und formuliert bildnerisch eine nuancierte Darstellung von Beziehungen, in denen die Grenzen zwischen Sorge und Kontrolle, Intimität und Abhängigkeit verschwimmen. Die Ambiguität von parallelen Gefühlen wie Fürsorge, Frust, Aggression und Ablehnung taucht nicht nur in Regos Kunst auf, sondern ist allgegenwärtig.
Myrto Hirche absolvierte ein interdisziplinäres Studium mit Schwerpunkt Sozialwissenschaften in den Niederlanden und studiert aktuell Changing Societies an der Universität Basel.
Hinweis: An dieser Stelle möchte ich auf die historische und soziale Konstruktion vergeschlechtlichter Begriffe wie «Frau» und «Mann», «Mutter» und «Vater», etc. verweisen. Nach wie vor ist es schwierig, die vielfältigen geschlechtlichen Positionierungen abseits der binären Geschlechtskategorien sprachlich angemessen sichtbar zu machen.
Bibliografie
Aulenbacher, B. et al. (2014): Sorge: Arbeit, Verhältnisse, Regime. Nomos.
Auth, D. et al. (2020): Sorgende Angehörige. Eine intersektionale Analyse. Westfälisches Dampfboot.
Bordo Benavides, O. (2018): Sorgearbeit ist eine gesellschaftliche Verantwortung. Heinrich-Böll-Stiftung, Gunda-Werner-Institut.
Eastham, B. & Graham, H. (2011): «Interview with Paula Rego». In: The White Review.
Glantz, M. J. et al. (2009): «Gender disparity in the rate of partner abandonment in patients with serious medical illness». In: Cancer, 115 (22), S. 5237–5242.
Giddens, A. (1993): Wandel der Intimität. Sexualität, Liebe und Erotik in modernen Gesellschaften. Fischer.
Hartl, P. (30.11.2018): «Paula Rego—Girl and Dog». In: Hund und Kunst.
Jerak-Zuiderent, Sonja. (2018): «María Puig de la Bellacasa (2017) Matters of Care: Speculative Ethics in More Than Human Worlds. […]». In: Science & Technology Studies, 31 (2), S. 55-58.
Manuel Lisboa, M. (2019): «Past History and Deaths Foretold: A Map of Memory». In: Essays on Paula Rego: Smile When You Think about Hell. Open Book Publishers, S. 33–93.
Nunes, L. (2022): «Paula Rego remembered by Lila Nunes». In: The Guardian.
Pinquart, M. & Sörensen, S. (2011): «Spouses, Adult Children, and Children-in-Law as Caregivers of Older Adults: A Meta-Analytic Comparison». In: Psychology and Aging, 26 (1), S. 1–14.
Reifert, E. (2024). «Meine Lieblingsthemen sind Machtspiele und Hierarchien». In: Reifert, Eva et al. (Hg.): Paula Rego: Machtspiele. Hirmer, S. 15–27.
Willing, N. (2017): Paula Rego, Secrets & Stories. BBC, Kismet Films.
Zimmermann, A. (2024): «Paula Regos Spiel der Mimesis». In: Reifert, Eva et al. (Hg.): Paula Rego: Machtspiele. Hirmer, S. 37–47.
Beitragsbild: Ausstellungsansicht «Paula Rego: Machtspiele» (28.09.2024 — 02.02.2025), Kunstmuseum Basel, mit Bildern der «Girl and Dog» Serie von Paula Rego, 1986,, v.l.n.r.: «Untitled (Little Girl Shaves the Dog)», Scheherazade Collection; «Untitled», Millennium bcp Collection und «Untitled», Neville Shulman CBE and Emma Shulman. Alle Bilder: Acrylfarbe auf Papier, © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images. Foto Credit: Julian Salinas.