Zwischen Kameras und Kunst: Machtspiele im Kunstmuseum Basel

, ,

veröffentlicht am

Von Victoria Maria Lange Gómez


Es ist ein grauer Herbsttag im Oktober. Etwas zu spät husche ich in den Eingangsbereich des ebenso farblosen Neubaus des Kunstmuseums. Unsere Gruppe ist komplett – los geht‘s.

Im dritten Stock angekommen, beginnt unsere Führung zur Ausstellung «Paula Rego: Machtspiele». Im ersten Raum bleiben wir vor einem Bild stehen. «The Artist in Her Studio, 1993, Acryl auf Leinwand, 180 × 130 cm». Wir betrachten das Bild, fragen, diskutieren. Weiter zum nächsten Raum. Wieder das gleiche Spiel. In einem Raum kommt eine Aufsichtsperson zu uns. «Steht nicht so nah am Bild». Ein Schritt zurück. Jetzt ist’s gut. Wir machen weiter. Schauen, fragen, diskutieren. Ich halte inne. Was ist gerade passiert?

Zwischengedanke: Ironie von Ausstellung über Macht(spiele) in streng überwachten Räumen

Jetzt fällt’s mir auf. Unsere Gruppe wird ständig vom Aufsichtspersonal begleitet. Ich fühle mich beobachtet – nein, wir werden beobachtet. Ich öffne die Notiz-App auf meinem Handy und schreibe: «Zwischengedanke: Ironie von Ausstellung über Macht(spiele) in streng überwachten Räumen».

Die Erkenntnis lässt mich nicht los. Was würde Paula Rego zu diesem Widerspruch sagen?

Panoptismus im Kunstmuseum

Im Katalog zur Ausstellung schreibt die Kuratorin Eva Reifert:

«Machtdynamiken umgeben uns tagtäglich und wo man hinsieht: in Beziehungen, im Beruf, in der Politik. Das Verhandeln von Einfluss und das Austesten von Grenzen kann zwischen Liebenden und Rivalinnen, Kindern und Eltern oder unter Staatsoberhäuptern stattfinden. Aber auf die Kräfteverhältnisse kommt es an: Ist es ein Wettstreit auf Augenhöhe? Ein Kampf als Underdog gegen übermächtige Gegner? Oder aus einer Position der Stärke heraus gegen Chancenlose? Das Machtspiel erscheint als Sonderform von Letzterem: Wer die Freiheit hat, den Kampf zum Spiel zu machen, der weiss um seine Überlegenheit – wie eine Katze, die mit der Beute spielt.»[1]

Ich frage mich: Spielt das Kunstmuseum also mit uns?

Der Eingangsbereich zur Ausstellung von Paula Rego im Kunstmuseum Basel. Oben links sind zwei Überwachsungskameras zu sehen.
Foto © Victoria Maria Lange Gómez.


Der französische Philosoph Michel Foucault entwickelte den Begriff des Panoptismus, um Überwachungsmechanismen zu beschreiben, die der Machterhaltung in einer Gesellschaft dienen. Laut Foucault reichen bereits die Möglichkeit der Überwachung und der Bestrafung bei Fehlverhalten aus, damit sich eine Form der (Selbst-)Disziplin entwickelt. Foucault schreibt: «Die Wirkung der Überwachung ‹ist permanent, auch wenn ihre Durchführung sporadisch ist› […]». [2]

Einige Wochen nach dem ersten Besuch gehe ich nochmal in die Ausstellung. Diesmal geht es mir aber nicht um die Bilder von Paula Rego. Ich will mir den panoptischen Charakterzug des Museums genauer anschauen. Und: Wo werden diese Kontrollmechanismen sichtbar?

Eine Ermahnung, dass wir als Museumsbesuchende ständig unter Beobachtung stehen.

Um es kurz zu machen: Auf meinem Weg von der Eingangshalle, die Treppe hoch und durch die Ausstellung zähle ich insgesamt 26 Überwachungskameras (2-3 pro Raum) und neun verschiedene Aufsichtspersonen. In der Ausstellung betreut (oder kontrolliert) jede Aufsichtsperson 2-3 Räume. Eine Ermahnung, dass wir als Museumsbesuchende ständig unter Beobachtung stehen.

Bei meinem Besuch bleibt es aber nicht bei diesen Beobachtungen. Eine besonders eindrückliche Szene spielt sich in Raum 5 ab – «Heldinnen». Ich stelle mich an den Rand, hinter einen Tisch und beobachte. Die hier zuständige Aufsichtsperson läuft im Minutentakt quer durch den Raum und pendelt zwischen den Räumen 4, 5 und 6 hin und her. Kurz nach meiner Ankunft läuft die Person direkt auf mich zu. Langsam und unangenehm nah an mir vorbei. «War das jetzt nötig?», denke ich und schaue der Aufsicht nach. «Na ja, vielleicht wollte die Person nicht mitten durch den Raum laufen und die anderen Besucher*innen stören.» Benefit of the doubt? Nope. Schon beim nächsten Kontrollgang läuft die Person mitten durch den Raum zum nächsten. Das gleiche auf dem Rückweg. Und wieder auf dem Hinweg. Und so weiter.

Nach ein paar Minuten stelle ich mich in eine andere Ecke des Raumes – weit weg vom Pendelkurs der Aufsichtsperson. Keine Minute dauert es, bis sich die Route anpasst. Plötzlich ist die Person in meiner Nähe und bleibt stehen. Als ich von meinen Notizen aufschaue, läuft die Aufsicht weiter. Das wiederholt sich noch einmal, bis sich die Pendelroute wieder normalisiert. Präsenz markiert.

Mit fällt die betonte Lockerheit des Aufsichtspersonals bei den Kontrollgängen auf. Immer mal wieder wird ein Handy gezückt. Tippen, schauen, telefonieren. Trügt mich mein Eindruck? Stehe ich doch nicht unter Beobachtung?

Raum 5 in der Ausstellung: Hinter diesem Tisch positionierte ich mich für meine Beobachtung. Im Hintergrund ist eine Aufsichtsperson zu sehen.
Foto © Victoria Maria Lange Gómez.

«Der Uniformierte in überlegener, vielleicht betont entspannter Haltung, das Opfer, verunsichert und zusammengesunken, in Zivil. Selbst ohne die Zeichen der Macht, die sich über Kleidung vermitteln, würde die Körpersprache, noch bevor das letzte Wort gefallen ist, Aufschluss über Patt, Triumph und Niederlage geben. Wir «sehen» Macht und Ohnmacht, Demut und Demütigung, noch bevor wir sie verstehen, denn wo immer es um Machtausübung in ihren destruktiven Formen geht, ist auch Angst vor Bestrafung im Spiel.» (Eva Reifert [3])

Das Museum spielt also mit unserer Angst, wodurch – um es mit Foucaults Worten zu sagen – die Ausübung der Macht in Form einer Bestrafung überflüssig wird. Wir halten uns an die Regeln, weil wir wissen: Irgendwer wird es schon mitbekommen.

Ich kehre zu meiner Anfangsfrage zurück: Was würde Paula Rego dazu sagen?

Das subversive Potenzial der Mimesis

In meiner Notiz vom ersten Museumsbesuch schreibe ich von einem ironischen Zustand der Ausstellung. Innerhalb dieser Erkenntnis wird das subversive Potenzial Paula Regos’ Arbeit auch im Hinblick auf die institutionell ausgeübte Macht des Museums sichtbar. Um Regos’ Werk zu verstehen, schlägt Andrea Zimmermann die Lesart der Mimesis vor. Das Spiel der Mimesis nach der belgischen Psychoanalytikerin Luce Irigaray offenbart sein subversives Potenzial in der «spielerische[n] Wiederholung»[4] machtförmiger Praktiken. Durch diese «ironische Differenz»[5] werden die Machtmechanismen sicht- und somit auch kritisierbar[6].

Dieser Logik folgend ermöglicht uns Paula Regos Werk eine Kritik an der institutionellen Macht, die durch das Museum ausgeübt wird. Die Ausstellung selbst macht dessen Überwachungs- und Kontrollmechanismen nicht nur sichtbar, sie spielt regelrecht mit diesen offensichtlichen Gegensätzen. Diese Perspektive verleiht meinen Besuchen in der Ausstellung, bei denen ich auf Schritt und Tritt beobachtet wurde, eine amüsante Ironie.


[1] Reifert, Eva (2024), S. 15.

[2] Foucault, Michel (1977), S. 258.

[3] Reifert, Eva (2024), S. 16.

[4] Luce Irigaray zitiert in Zimmermann, Andrea (2024), S. 38.

[5] Zimmermann, Andrea (2024), S. 45.

[6] Ebd., S. 38.


Literaturverzeichnis

Irigaray, Luce (1979): Das Geschlecht das nicht eins ist. Berlin.

Foucault, Michel (1977): Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt/Main.

Reifert Eva (2024): «Meine Lieblingsthemen sind Machtspiele und Hierarchien», in: Reifert, Eva et al. (Hg.): Paula Rego: Machtspiele. Hirmer, S. 15–27.

Zimmermann, Andrea (2024): «Paula Rego und das Spiel der Mimesis», in: Reifert, Eva et al. (Hg.): Paula Rego: Machtspiele. Hirmer, S. 37–46.

Beitragsbild: Der Eingangsbereich zur Ausstellung von Paula Rego im Kunstmuseum Basel. Foto © Victoria Maria Lange Gómez.