Gordon Matta-Clark schloss ein Architekturstudium ab. Doch anstatt Häuser zu bauen, sägte er sie auseinander: Er schnitt grosse runde Löcher in die Wände und Böden oder teilte die Gebäude in der Mitte entzwei.
Leerstehende, zerfallende Piers in New York City oder Einfamilienhäuser, die im Bauboom der Nachkriegszeit gebaut wurden und nun neuen Gebäuden weichen sollten. Als Mitglied in der New Yorker anarchitecture group der 1970er Jahre dachte Matta-Clark nicht an Konstruktion sondern an Dekonstruktion. Ihn interessierten die Leere und das Zwischendrin – das Nothing, wie er es auch nannte. „Nothing Works“ notierte sich Matta-Clark auf einem kleinen Zettel, den Genderforscher Jack Halberstam später im Canadian Architecture Museum fand. In dieser Bemerkung Nothing Works sieht Halberstam die Essenz von Matta-Clarks Arbeit: „He makes nothing out of something. It is not minimalism, it is not cutting away until you have something small left. It is cutting away to have nothing.“ Ein Anarchitekt, der wegschneidet, um zum Nichts zu gelangen.
Doch was interessiert Jack Halberstam, Professor für Genderstudies aus New York, an diesem Nichts?

Für Halberstam ist der Ausdruck Nothing Works mehrdeutig. Entweder meint es die – etwas mystisch formulierte – Macht des Nichts. Das Nichts ist ein Vakuum und hat ebenso eine Kraft wie das Etwas. Weiter meint es: Das Nichts funktioniert, es hat eine Funktion als Hinweis auf Veränderungen, Neuordnungen oder Zustände. Oder es heisst: nichts funktioniert und unsere wirtschaftsliberale, patriarchale Gesellschaft ist gescheitert.
Die letzte der drei Deutungsweisen, nichts funktioniert, überschneidet sich mit einem Ansatz der Genderstudies: Diese fordern unter anderem dazu auf, die bestehenden Machtstrukturen unserer Welt zu hinterfragen und zu verändern, um schliesslich das Patriarchat und die Konstruktion der Geschlechterrollen aufzulösen.
„Take it, destroy it, remake it“, fasst Halberstam zusammen und zieht weitere Parallelen zur Architektur und zur Kunst. Die Künstlerin Louise Bourgeois, beispielsweise, malte den weiblichen Körper als ein „house out of which other bodies come“, wie Halberstam sagt. „For Bourgeois this was a trap and she wanted to paint her way out of it.“

Audre Lord wiederum sah das Haus als Symbol für das Patriarchat und das Niederreissen des Hauses als Kampf gegen dieses Patriarchat. Lord schrieb: „For the master’s tools will never dismantle the master’s house“. Und meinte: Bleiben wir innerhalb des bestehenden gesellschaftlichen Systems, werden wir das System selbst nie überwinden.
Das Haus wird als abzulehnendes Symbol für den weiblichen Körper gesehen, aber auch als Modell für das ganze patriarchale System. Mit diesen Beispielen rückt Halberstam die moderne und zeitgenössische Architektur nahe an die Theorien der Geschlechterrollen. Auch „gender is a social construction“ und wir sollten dieses Konstrukt auch wieder dekonstruieren. Aus build folge unbuild. Das beziehe sich aber nicht nur auf die Gesellschaft, sondern auch auf unsere Körper: Vor allem im Bezug auf Transsexualität plädiert Halberstam dafür, nicht mehr von einer Reise vom Mann zur Frau oder umgekehrt zu sprechen, sondern von einer De- oder Rekonstruktion des Körpers. Denn Transgender bedeute nicht, irgendwann am „Ziel anzukommen“, sondern sich in einem fluiden Raum zu bewegen.
Dieser Raum wiederum sei vergleichbar mit Matta-Clarks Arbeit. Matta-Clark habe sich vor allem für den „Moment between upright an collapsing“ interessiert, sagt Halberstam. Also für den Moment, an dem das Haus nicht mehr steht, aber auch noch nicht in sich zusammenfällt: Ein Schwebezustand. Ein Plädoyer für das Dazwischen, welches sich dem „Entweder-Oder“ entzieht. Es ist hier weder alles ganz, noch ganz zerstört. Dieser Zustand sei es, der uns daran erinnert, dass wir unsere Welt konstruieren und folglich auch wieder dekonstruieren können.
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Nicht immer sind die Bezüge, die Halberstam zwischen Architektur und Gender herstellt, für mich überzeugend. So tragen die Vergleiche zwischen Dekonstruktion und Transgender auch eine negativ aufgeladene, zerstörerische Ebene in sich. Obwohl Halberstam bewusst von der Dekonstruktion und nicht von einer Zerstörung spricht, ist das Licht, welches dieser Vergleich auf die Thematik wirft, düster. Klarer wirken hingegen die Aufforderungen zur Dekonstruktion des patriarchalischen Hauses: Sowohl die Beispiele aus der Kunst des 20. Jahrhunderts, als auch das Mantra Nothing Works tragen für mich – seltsamerweise – einen konstruktiven Ansatz in sich.
Das Bestehende abreissen, um es neu zu bauen. So würde ich den Ansatz von Jack Halberstam zusammenfassen. Eine Utopie ist dies aber nicht. Denn um sehen zu können, was als nächstes kommt, müssten wir zuerst die alte Welt abreissen, sagt Halberstam.
Text von Juri Schmidhauser.