Von Dominique Grisard.

Wer im letzten Halbjahr ein Basler Kunstmuseum betrat, erhielt ein «Close Up» auf das vielfältige Werk von neun Künstlerinnnen unterschiedlicher Generationen; darunter einen umfassenden Überblick in das langjährige Schaffen der amerikanischen Künstlerin Georgia O’Keeffe, eine Einführung in die meist in der Kunst verschwiegene, von Gewalt geprägte Geschichte Schwarzer Menschen anhand von über 600 Zeichnungen der afrikanisch-amerikanischen Künstlerin Kara Walker oder aber ein tieferes Verständnis von Mutterschaft und Trauma im Werk der französisch-amerikanischen Pionierin Louise Bourgeois in einer von der amerikanischen Installations- und Konzeptkünstlerin Jenny Holzer eigenwillig kuratierten Ausstellung. Von der in Basel arbeitenden Künstlerin Laura Mietrup werden wir auf einen urbanen architektonischen Parcours mitgenommen, während uns die Installation der kuwaitische-puertoricanischen Künstlerin Alia Farid die politische, soziale und kulturelle Geschichte von Wasser näherbringt. Überall Künstlerinnen (und Kuratorinnen) – wohin das Auge reicht. Und da fordert uns die Aotearoa Neuseeländische Künstlerin Ruth Buchanan noch auf, uns das Museum unserer Träume auszumalen? Haben wir nicht alles erreicht?

1. Wenn du spontan fünf Künstler*innen aufzählen müsstest, an wen denkst du zuerst?

Eine banale Frage, die bei den meisten unter uns dennoch Bestürzung verursacht: fallen uns auf die Schnelle doch meist berühmte Männer der westlichen Hemisphäre ein. Warum ist das auch im Jahr 2022 noch so?

Von 2008 bis 2018 war der Künstlerinnenanteil bei Einzelausstellungen gerade mal bei 26 %,[1] bei Gruppenausstellungen mit 31% marginal höher. Namhafte Museen wie das Genfer Musée Rath stellten im genannten Zeitraum keine einzige Künstlerin aus. Im Raum Basel überzeugt einzig der track record der Kunsthalle Basel: zwischen 2008 und 2018 stellte sie als eine der wenigen Institutionen schweizweit gleich viele Künstlerinnen wie Künstler aus.[2]

Die jüngst erschienene Vorstudie «Geschlechterverhältnisse im Schweizer Kulturbetrieb» unterstreicht die gleichzeitige Persistenz von Ungleichheit und ein Wille zum Wandel: Während einerseits nationale Kunstpreise nach wie vor eher an Männer gehen (38% Frauen, 62% Männer), die Vorstände namhafter Schweizer Kunstmuseen und Ausstellungsorte eher von Männern als von Frauen präsidiert werden (29% Frauen, 71% Männer), die Vereinbarkeit von Kunstschaffen, Lohnarbeit und Carearbeit vor allem Künstlerinnen vor grosse Herausforderungen stellt und exzentrisches Verhalten bei Künstlern weiterhin als authentisch und Ausdruck der genialen, leicht verrückten Künstlerpersona gelesen wird – während dasselbe Verhalten bei Künstlerinnen sich dieses jedoch eher nachteilig auswirkt – so gilt es andererseits anzuerkennen, dass sich in Schweizer Kunstinstitutionen ein Umdenken abzeichnet und ein zunehmendes Interesse an vielfältigeren künstlerischen Positionen zu spüren ist. Gleichzeitig geben Aussagen wie diese zu bedenken: «La profession n’est pas touché par des discriminations homme-femme» (Verbände von Kunstschaffenden, zitiert in einer Präsentation der Vorstudie).

Womit haben wir es zu tun? Mit einem kurzfristigen Trend oder doch mit einem langfristigen und nachhaltigen Engagement, Kunst anders, inklusiver und gesellschaftlich verantwortlicher zu denken?

2. Kann ein Kunstmuseum ohne Feminismus «überleben»?

Die amerikanische Künstlerin Martha Rosler hat sich mit der prekären Geschichte künstlerischer Positionen befasst, die sich explizit politisch positionierten und in gesellschaftliche Ungleichheits- und Ungerechtigkeitsverhältnisse intervenierten. Der Umstand, dass «politischer Kunst» häufig gar nicht erst als Kunst anerkannt wird, liess sie ernüchtert fragen: Kann politische und gesellschaftskritische Kunst «überleben»? Für the art of intervention ist Roslers Frage ein treibender Motor, gesellschaftskritische, feministische Kunst und Kultur eine Plattform zu bieten. Nun fragen wir: Kann ein Kunstmuseum ohne Feminismus, ohne gesellschaftskritische Positionierungen «überleben»?

Diese Frage dreht den Spiess um. Sie fängt Ruth Buchanans Sicht- und Vorgehensweise ein, ihr Insistieren auf eine Museumspraxis, die sich immer wieder befragt, hinterfragt und sich auch gegenüber lokalen Fragen, Sorgen und Beunruhigungen öffnet, den Menschen zuhört und ihre Anliegen aufnimmt. Buchanans ernsthafte, tiefgründige Auseinandersetzung mit Kunstmuseen als lokal verankerte Institutionen, als geschichtsträchtige Gebäude, als ehrwürdige Sammlungs- und Ausstellungstätten mit gesellschaftlicher Verantwortung und als lebendige Orte der Begegnung, der Bewegung und des Austauschs gibt nicht vor, eine Revolution anzuzetteln und damit das Bestehende komplett zu verwerfen. Ihr Interesse besteht vielmehr im Öffnen der Tore der Institution, im Umordnen der Archive und einem neu in Beziehung setzen des Bestehenden – ohne auf unbequeme Fragen zu verzichten.

3. Was hat das Kunstmuseum mit mir, was mit Basel zu tun?

Buchanan zieht feministisch-indigenes Wissen bei, um die Beziehungen zwischen Sammlungen, Museen und ihren Besucher*innen nachhaltig anders – inklusiver, bewusster, verbundener mit den Einwohner*innen der Stadt Basel – zu gestalten. Ausgehend vom spezifischen Kontext der Papierfabrik am Rhein, die Ende der 1970er Jahre zum Museum für Gegenwartskunst umgebaut wurde, untersucht Buchanan die Geschichte des Gebäudes selbst, seiner Umgebung, seiner Ausstellungsgeschichte, seiner Besucher*innen und insbesondere auch der Kunstwerke, die seit der Eröffnung im Jahr 1980 dort gezeigt wurden.

Es entspricht Buchanans Wunsch, die Regeln, nach denen ein Museum funktioniert, neu zu denken. Ähnlich wie der Biologin, Wissenschafts- und Geschlechtertheoretikerin Donna Haraway geht es Buchanan um das Situieren, Lokalisieren, Positionieren, Verkörpern und Transformieren von Archiven und Institutionen des kulturellen Wissens. Entgegen dem Trend zu «globalen McMuseen» und austauschbaren Wanderausstellungen setzt sich Buchanan für die lokale Verbindung und Verwurzelung von (Kunst-)Geschichte, Sammlungen und Museen ein.

4. Was sollen diese Fragen?

Ruth Buchanan macht Fragen zu ihrer künstlerischen Methode, mit denen sie mit den Menschen, die sich im Museum bewegen, in Kontakt und Austausch tritt – und zwar auf Augenhöhe. Ob diese Menschen nun im Museum putzen, die Ausstellungsräume beaufsichtigen, die Ausstellung auf- oder abbauen, diese kuratieren oder auch einfach besuchen, spielt für sie keine Rolle. Ihre Fragen richten sich an «alle», wobei genau dieses «alle» immer auch wieder hinterfragt wird: Wer sind alle? Wann beginnt die Gegenwart? Gehört mein Körper hierein? Welche Geschichte wird erzählt? Werde ich wiederkommen?

Mit diesen Fragen werden die Besucher*innen der Ausstellung zum Nachdenken und Diskutieren animiert. Mit ihnen beschäftigen wir uns auch an fünf von the art of intervention mitorganisierten Abenden. Studierende der Geschlechterforschung verfassen im Rahmen des Proseminars «Wessen Wissen, Wessen Kunst?» Blog-Einträge zu einer dieser Fragen.

5. Von welcher Kunst träumst du? Wie würde das Kunstmuseum deiner Träume aussehen?

Unser aktueller Schwerpunkt zur «Bildenden Kunst» setzt sich fragend mit ihren Institutionen und Akteur*innen auseinander. Gleichzeitig entwickeln wir auch Visionen, wie Künstler*innen sichtbarer, Arbeitsbedingungen fairer, Kunstinstitutionen offener, weisse Wände inklusiver, Sammlungen queerer, kurz: wie das Kunstmuseum unserer Träume aussehen könnte.

Mit der Reihe «5 Fragen an die bildende Kunst» laden wir auf diesem Blog dazu ein, einen kritischen, feministischen Blick auf die Menschen, Praxen und Institutionen rund um die bildende Kunst zu werfen. Was wir wollen: Fragen, welche zum Nachdenken anregen, Neugierde wecken, den Austausch mit anderen suchen, Berührungsängste abbauen, ja eine Diskussion eröffnen und diese am Laufen halten. Anlässlich der Ausstellung «Heute Nacht geträumt» der Aotearoa neuseeländischen Künstlerin Ruth Buchanan reflektieren wir über die Repräsentationsfähigkeit, Zugänglichkeit und Zugehörigkeit von Kunst. Dabei geht es uns auch darum, das Bewusstsein zu schärfen für Geschlechterverhältnisse in der bildenden Kunst.

Wir stellen Fragen an Künstler*innen wie Ruth Buchanan, Kurator*innen wie Maja Wismer und Len Schaller, Akademiker*innen wie die Kunsthistorikerin Aden Kumler und an viele mehr. Auch Studierende des Proseminsars «Wessen Wissen, Wessen Kunst?» setzen sich mit den Fragen der Ausstellung «Heute Nacht geträumt» auseinander.  Kennst auch du Künstler*innen, Kunstinitiativen, Netzwerke oder off spaces, die für dich wichtig sind und an die du gerne erinnern möchtest? Welche (Kunst-)Träume hast DU?

Lade hier unsere Anleitung auf Deutsch oder Englisch herunter und sende uns deinen Beitrag per Mail an info@theartofintervention.blog

Dominique Grisard ist Historikerin und Geschlechterforscherin am Zentrum Gender Studies der Uni Basel und leitet das Swiss Center for Social Research. Mit Andrea Zimmermann hat sie die Forschungs-, Lehr- und Veranstaltungsplattform the art of intervention ins Leben gerufen.


[1] Datenquelle: Swissinfo-Studie 2019.

[2] Datenquelle: Swissinfo-Studie 2019.


Bild: Spiral Time, 2022, Ruth Buchanan mit Museumspersonal. Foto: Jonas Hänggi, Kunstmuseum Basel | Gegenwart. ©Ruth Buchanan.